Stadtgeschichte

Ein Stück Deutschland

Im Schatten der Türme: ehemaliges Wohnhaus in Sarona Foto: Flash 90

In der weißen Stadt ist jeder Schritt eine Zeitreise in die Geschichte. Eine Geschichte, die auch heute inmitten der heruntergekommenen Denkmäler und Häuser wiederbelebt wird. So auch in der Kaplanstraße, in der sich im Schatten der Militärzentrale in der Kirya und der Hochhäuser des Azrieli-Zentrums das Sarona-Gelände erstreckt – die erste und größte deutsche Kolonie in Palästina. Bald sollen die fast vergessenen Ruinen mit den gotischen Aufschriften zum neuen »place to be« in Tel Aviv werden und mit Fashionstores, Kunstgalerien, Bars und Restaurants bisherige Trendorte wie Neve Tzedek und die Tachana alt aussehen lassen.

Ähnliche Siedlungen wie die Sarona wurden zwischen 1869 und 1948 auch in Haifa, Jaffa, Jerusalem und in anderen Teilen des Heiligen Landes gegründet, dem die Einwanderer aus Deutschland sowohl landwirtschaftliches Heil als auch politisches Unheil brachten.

Einerseits bewirkten die rund 2.000 schwäbisch-pietistischen Templer die fortschrittlichsten Veränderungen im Bereich des Verkehrswesens, der Agronomie und der Architektur: Sie verlegten elektrische Leitungen, verbesserten die Bewässerungssysteme, gründeten erfolgreiche Unternehmen, experimentierten als ausgebildete Agronomen mit Avokadoanbau und halfen bei der Entwicklung der Jaffa-Orangen mit.

NS-VERGANGENHEIT Gleichzeitig haben sie auf der Landkarte einen dunklen braunen Fleck hinterlassen: Bereits 1938 gehörte jeder dritte in Israel lebende Templer der NSDAP an. Ihr laut Historikern religiös begründeter Antisemitismus soll einer der Hauptgründe für die überragend hohe Rate der NS-Mitgliedschaft der deutschen Einwanderer gewesen sein.

Nicht nur die Hakenkreuzfahnen und ihre Sympathie für Hitler machten die Templer, die nachts Araber an Waffen ausbildeten, zur Bedrohung für die jüdische Bevölkerung. Auch behinderte die Siedlung im Zentrum Tel Avivs die Entwicklung der Stadt, die nötig gewesen wäre, um jüdischen Flüchtlingen aus Europa ein neues Zuhause zu gewähren.

Die Renovierungsarbeiten an den 27 verbliebenen Häusern des 1871 gegründeten Sarona wirbeln auch heute, sowohl im wörtlichen als auch im übertragenen Sinne, viel Staub auf: Dass die Regierung rund 600 Millionen Schekel (121 Millionen Euro) investiert, um dieses Dorf genauso aussehen zu lassen wie vor dem Zweiten Weltkrieg, und die Eigentümer noch weitere 200 Millionen Schekel beisteuern, scheint ein Versuch der Investoren zu sein, den nationalsozialistischen Teil der Geschichte geradezu vergessen zu machen: »Dass die Templer Nazis gewesen sind, ist uns egal. Sie sind ja heute nicht mehr da. Jetzt soll jeder hierher kommen können, um unsere Freizeitangebote zu genießen«, erklärt Ran Steinman von der Verwaltungsgesellschaft Ganei Sarona, der sich wie viele Involvierte lieber auf die gewinnbringenden Aspekte des Templer-Erbes fokussiert.

»Jeder Baum hier ist noch von den Templern gepflanzt worden. Wir bemühen uns darum, dass alles sehr authentisch bleibt. Die Fassade der Häuser soll auf keinen Fall verändert werden«, verrät Ortal Ganot, die Sprecherin der Verwaltungsgesellschaft.

IRONIE Historische Ironie liegt auch darin, dass das Gelände während des Unabhängigkeitskrieges 1948 jüdische Untergrundkämpfer beherbergte, die sich später zur ersten israelischen Armee zusammenschlossen. Aus Sarona ging die HaKirya, der erste staatliche Regierungssitz Israels, hervor. Damals wurde die aus Sandstein erbaute Weinkellerei, die noch vor Rothschild und Zichron Yaakov die besten Weine Palästinas hervorbrachte, als eine Art Versteck und Werkstatt für Armeeflugzeuge genutzt.

Später war auch der israelische Geheimdienst Mossad für kurze Zeit im ehemaligen Templerviertel untergebracht. Jetzt soll auf dem Gelände, auf dem selbst Staatspräsident Chaim Weizmann und Ministerpräsident David Ben Gurion zeitweilig Quartier bezogen haben, auf 1.100 Quadratmetern unter anderem ein luxuriöses Restaurant entstehen.

Außerdem sollen sechs Wolkenkratzer um das ehemalige Dörfchen herum erbaut werden. Einer davon gehört den Inhabern des Azrieli-Komplexes und soll zu einem der höchsten Gebäude im ganzen Land werden. Da das prestigeträchtige Renovierungsprojekt schon bald für noch mehr Verkehrsaufkommen sorgen wird, hat man die Kaplanstraße bereits im Jahr 2006 vorsorglich erweitert: Die fünf Templerhäuser, die im Weg standen, wurden in einem aufwendigen Verfahren um 20 Meter verschoben.

»Wir hatten Besuch von den Nachkommen der Templer aus Deutschland und Australien, die sich noch genau daran erinnern konnten, wie das alles vorher ausgesehen hat«, erklärt Ganot, die sich bald über noch mehr Besuch freuen darf. In einem halben Jahr sollen die Tore der kleinen deutschen Siedlung nicht nur für ehemalige Templer, sondern auch für Stadtbewohner und Touristen geöffnet werden.

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