Trauer

Der alles wusste

Seine Berichterstattung wird man schmerzlich vermissen: Ulrich Sahm (1950–2024) Foto: privat

Er war der Inbegriff eines Israel-Korrespondenten: der deutsche Diplomatensohn Ulrich Sahm. Knapp 37 Jahre sollte Sahm aus Israel für unterschiedlichste deutsche Medien berichten, also fast die Hälfte der Zeit seit der Gründung des jüdischen Staates.

Und er berichtete stets für Israel, egal, ob ihm eine politische Linie in seinem selbst gewählten Heimatland passte oder nicht. Sahm war stets kritisch, aber immer unerschütterlich in seiner Loyalität zum jüdischen Staat – sozusagen die inkarnierte Staatsräson. Auf Israel ließ er nichts kommen, Israel war ihm Lebenszweck und häufiges Leiden zugleich; wie das halt so ist mit großen und aufrichtigen Lieben.

Ob den Alltag im Land oder die Attacken seiner Kollegen auf Israel – er erlebte alles mit.

Jetzt ist Ulrich Sahm in Bremen gestorben. Wir waren häufig und gern Weggefährten, wenn es darum ging, Israel in Deutschland publizistische Gerechtigkeit zu verschaffen. Deshalb ist dies ein Nachruf auf einen Kollegen und Freund, der ein menschliches wie charakterliches Bollwerk war.

Weltläufigkeit war Ulrich Wilhelm Hermann Heinrich Sahm, den alle nur Uli nannten, geradezu in die Wiege gelegt, die erstaunlicherweise in Bonn stand – war sein Vater Ulrich doch viel beschäftigter deutscher Diplomat. Ulrich junior wuchs in London und Paris auf, lernte als Diplomatensohn auch Moskau und Ankara kennen. 1970 begann er ein Studium der evangelischen Theologie, der Judaistik und Linguistik in Deutschland. Im selben Jahr noch ging er nach Jerusalem, um dort an der Hebräischen Universität Hebräische Literatur zu studieren.

Vortragsredner vor deutschen Journalisten und Autor

Schnell wurden ihm Land und Leute zur neuen Heimat, zweimal war er dort verheiratet, drei Kinder sind das Zeugnis davon. Doch die einzige Beziehung, die alles überdauerte, war die zum Judenstaat. Zunächst als Vortragsredner vor deutschen Journalisten, später selbst als Autor. Gegenüber dieser Zeitung schilderte Sahm im vergangenen Jahr seinen Start als Medienmensch folgendermaßen: »Einer von der Mainzer Allgemeinen sagte: ›Dann schreib doch mal auf, was du uns alles erzählt hast.‹ Dann habe ich mich hingesetzt und alles aufgeschrieben, und dann haben die das auch prompt veröffentlicht. Das war mein erster Zeitungsartikel.«

Wortgewandt und vor allem über die Maßen sachkundig zog Ulrich Sahm seitdem publizistisch gegen so manche Ungerechtigkeit zu Felde. Häufig ging es dabei um politisches Kleinklein in Israel – noch öfter aber um die zahlreichen ungerechten Attacken von deutschen Journalisten auf Israel. Engagiert und kenntnisreich ließ Sahm seine deutschen, österreichischen, Schweizer und Luxemburger Leser teilhaben am Leben und Überleben im Judenstaat, an der Schönheit und Fragilität des Landes, an Lebensfreude, Resilienz und dem ewigen Kampf gegen Vorteile dem kleinen Land gegenüber.

Sahm war einer der wenigen deutschen Journalisten, die ungerührt von kollektiver Schnappatmung hierzulande die arabische Erzählung der palästinensischen staatlichen und ethnischen Identität anzweifelten – ohne aber jemals den Pfad der Empathie gegenüber dem einzelnen Menschen zu verlassen. Seine humanistische Grundeinstellung war ihm stets Leitlinie und Verpflichtung zugleich.

Nicht nur parieren, sondern ignorieren

Deshalb gelang es ihm auch mit großer Gelassenheit, all die Angriffe auf seine Person und seine zionistische Haltung nicht nur zu parieren, sondern zu ignorieren. Ob Jom-Kippur-Krieg oder Terror, ob israelischer Alltag oder die alltäglichen Attacken seiner meist orts- und sprachfremden Kollegen auf das angebliche Kons­trukt Israel, Ulrich Sahm erlebte alles hautnah vor Ort und gab es so weiter, wie er es erlebte.

Das verschaffte Ulrich Sahm eine treue Anhängerschar, egal, ob er fürs Fernsehen (ntv), Radio oder zahlreiche Zeitungen und Websites berichtete. Nachdem er nicht mehr für ntv aus Israel sendete, bildete sich auf Facebook sogar eine Gruppe mit dem Titel »Ulrich Sahm zurück ins deutsche Fernsehen«.

Über ein halbes Jahrhundert verlängerte er Jahr für Jahr sein israelisches Visum.

Dazu kam es nicht mehr. Aber gern reiste Ulrich Sahm durch Deutschland und machte das, was er zu Beginn seiner jahrzehntelangen Karriere auch getan hatte: Er hielt Vorträge über Israel. Besonders gern redete er übers Essen; nicht nur in seinem Kochbuch Wundersa(h)mes aus Jerusalem. Ulrich Sahm war ein Genussmensch. Doch am Ende seiner langen Karriere musste er der Tatsache Tribut zollen, dass das Herz Probleme machte und er als ausländischer Staatsbürger – er verlängerte über ein halbes Jahrhundert lang Jahr für Jahr sein Visum – ohne israelischen Personalausweis und Versicherungskarte durch die bürokratischen Raster fiel.

Schließlich holte ihn seine Lebensfreundin Elisabeth Lahusen nach einem Spendenaufruf unter Freunden auf Facebook, der mehr als 6000 Euro erbrachte, im Herbst 2022 nach Deutschland zurück.

Eine kleine Wohnung mit Betreuung in Bremen sollte zur letzten Station des Kosmopoliten werden. Nach einem Treppensturz verschlechterte sich sein Gesundheitszustand, dann kam noch ein Krebsleiden hinzu, dem Ulrich Sahm am vergangenen Mittwochabend schließlich erliegen sollte. So manche publizistische Schlacht haben wir zusammen geschlagen. Möge seine Erinnerung ein Segen sein.

Andrea Kiewel

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