Frankfurt/Main

Zerstörte Biografie

Autor Dieter David Seuthe bei der Buchvorstellung Foto: Rafael Herlich

Als Débussys wunderbare Klänge von Clair de Lune den Raum durchdringen, ist das Entsetzen greifbar, das Elise gefühlt haben muss, als pöbelnde Anhänger der Hitlerjugend mit Hasstiraden gegen Juden und ausländische Komponisten das Konzert der jungen talentierten Pianistin stören. 1929 werden sie von einem kunstliebenden, aufgebrachten Publikum und Bürgertum zum Schweigen gebracht und des Saales verwiesen.

Schon wenige Monate und Jahre später stellt sich den braunen Schergen niemand mehr in den Weg. Elise, die schöne Klavierstudentin am Hoch’schen Konservatorium in Frankfurt und Protagonistin des Romans, erhält 1933 einen Brief des Gauleiters. In dem wird ihr mitgeteilt, dass ihr Debütkonzert abgesagt und ihr als jüdische Kunstschaffende künftig Auftritte in Frankfurt und ganz Deutschland untersagt sind.

Frankfurt verboten heißt das Buch, das Autor Dieter David Seuthe am vergangenen Donnerstagabend in der Mainmetropole vorstellte – im Humperdinck-Saal des Dr. Hoch’s Konservatorium im Ostteil der Stadt. Ein Ort, der kaum besser passen könnte, selbst wenn die Musikhochschule unterdessen fünfmal umgezogen ist und längst nicht mehr an der Eschersheimer Landstraße residiert, wo Seuthe große Teile seiner Romanhandlung spielen lässt. »Wir freuen uns, dass das Buch am Ort des Geschehens vorgestellt wird«, betont Karin Frank-André vom Konservatorium bei der Romanpremiere. »Wir sind ein Institut mit langer, großer Tradition.« Und zu der gehört auch die NS-Vergangenheit.

Erfindung Im Roman studiert Elise Hermann dort Klavier. In Frankfurt erlebt sie als Jüdin Repressalien, Demütigung, Verfolgung und schließlich die Flucht nach Neuseeland. Auch wenn die Musikerin eine literarische Erfindung ist, Schicksale wie ihres gab es etliche am Konservatorium und anderen Kunsteinrichtungen. »Das Buch spricht für sich selbst«, sagt der Musikwissenschaftler Peter Cahn an diesem Abend.

»Doch ich sehe darin Parallelen zu meiner eigenen Geschichte«, erzählt er. Auch ihm blieb als Sohn eines jüdischen Vaters das Abitur in Frankfurt verwehrt und ebenso der Besuch des Konservatoriums. »Ich durfte hier nicht studieren«, sagt der 85-Jährige, der später Dozent an der Frankfurter Goethe-Universität und Professor an der Frankfurter Hochschule für Musik und Darstellende Kunst wurde. »Es ist wichtig, dass diese Geschehnisse nicht in Vergessenheit geraten«, betont er.

Dieser Meinung ist auch Simone Graumann, Vizepräsidentin der WIZO Deutschland. Sie sagt, selten habe sie ein Buch so bewegt und berührt: »Eigentlich ist es der erschütternde Detailbericht einer Zeit, in der die Menschlichkeit versagt hat – und trotzdem, oder gerade wegen dieses schweren Themas, schafft Dieter David Seuthe es am Ende des Buches, wenn der Kreis sich schließlich schließt, den Leser mit Hoffnung zurückzulassen. Ein wichtiges Buch – gerade für Frankfurt.«

Musiker Die Buchpremiere an diesem Abend im Orgel-Saal des Konservatoriums ist eine Mischung aus Lesung und Konzertbeiträgen junger Musiker des Instituts. Die Kompositionen, die Seuthe in seine Romanhandlung einbaut, bestimmen auch das Programm. Michelle Vuong spielt am Piano Débussy, Julius Asal entzückt das Publikum mit Bach, Busoni, und Mendelsohns »Zion, streckt die Hände aus« singen Katharina Schlungs und Rebecka Viehl, begleitet von den Klavierklängen von Mariam Dikhaminjia. Rebecca Ajnwojner leiht der jungen Elise Hermann ihre Stimme.

Dieter David Seuthe liebt Musik. Sie hat ihn zu dem Buch inspiriert, berichtet er. Durch seine Eltern hat er von vielen Schicksalen erfahren, die Elises gleichen. »Biografien, die durch die Nationalsozialisten zerstört wurden«, sagt der Autor. Diese vielen Schicksale hat er zu der Figur der jungen Pianistin verwoben.

Und natürlich ist es auch eine Liebesgeschichte, eine komplizierte. Die Jüdin Elise verliebt sich in den adligen »Arier« Max. Für beide ist es die Liebe ihres Lebens, doch ab 1933 ist nichts mehr, wie es war. Max tritt zu Elises Schutz in die Partei ein und verhilft ihr schließlich zur Flucht aus Deutschland – ohne ihn. Er selbst überlebt nicht. Elise muss alleine ein neues Leben in der Fremde beginnen. Ihre Tochter erfährt von der tragischen Geschichte ihrer Mutter erst nach deren Tod. In einer Schachtel unter dem Bett entdeckt sie ein Manuskript und das seit Jahrzehnten gehütete rote Abendkleid, das Elise 1933 eigentlich bei ihrem Debütkonzert tragen wollte und niemals trug.

Dieter David Seuthe: »Frankfurt verboten«. Weissbooks, Frankfurt 2013, 380 S., 22,90

Dialog

Freunde wie Berge

Juden und Kurden verbindet eine jahrtausendealte Freundschaft. Um ein Zeichen der Gemeinsamkeit zu senden und sich des gegenseitigen Rückhalts zu versichern, kamen sie nun auf Einladung der WerteInitiative in Berlin zusammen

von Katrin Richter  10.09.2025

Literatur

»Es wird viel gelacht bei uns«

Der Historiker Philipp Lenhard und die Schriftstellerin Dana von Suffrin über den von ihnen gegründeten Jüdischen Buchklub, vergessene Klassiker und neue Impulse

von Luis Gruhler  09.09.2025

Ausstellung

Lesen, Schreiben, Sehen, Handeln, Überleben

Im Literaturhaus München wird das Leben der amerikanischen Denkerin und Publizistin Susan Sontag gezeigt

von Ellen Presser  09.09.2025

München

Spur der heiligen Steine

Es war ein Sensationsfund: Bei Baumaßnahmen am Isarwehr wurden Überreste der früheren Hauptsynagoge entdeckt. Der Schatz wird nun vom Jüdischen Museum erforscht

von Michael Schleicher  07.09.2025

Dialog

Gemeinsam stark

Fatma Keser ist Mitbegründerin von »Pêk Koach – Jewish-Kurdish Women’s Alliance«. Der Frauenverein will jüdische und kurdische Perspektiven vermitteln

von Pascal Beck  07.09.2025

Fürth

Ruth Weiss ist gestorben

Sie engagierte sich ihr Leben lang gegen Rassismus und Menschenfeindlichkeit. Nun ist die in Franken geborene Schriftstellerin mit 101 Jahren gestorben

 05.09.2025 Aktualisiert

München

»In unserer Verantwortung«

Als Rachel Salamander den Verfall der Synagoge Reichenbachstraße sah, musste sie etwas unternehmen. Sie gründete einen Verein, das Haus wurde saniert, am 15. September ist nun die Eröffnung. Ein Gespräch über einen Lebenstraum, Farbenspiele und Denkmalschutz

von Katrin Richter  04.09.2025

Erfurt

Studiengang »Jüdische Soziale Arbeit« offiziell gestartet

Zentralratspräsident Josef Schuster: Die Einrichtung des Studiengangs ist ein starkes Zeichen für die Lebendigkeit jüdischen Lebens in Deutschland

 04.09.2025

Hannover

»Wir sind hier und wir bleiben hier«

Im September wird die Liberale Jüdische Gemeinde 30 Jahre alt. Gegründet wurde sie einst von drei Frauen. Ein Gespräch mit Geschäftsführerin Rebecca Seidler über Generationen, Sicherheit und eine große Portion Optimismus

von Katrin Richter  04.09.2025