München

Was bedeutet Jüdischsein in Deutschland?

Auf dem Podium: Andrea von Treuenfeld und Daniel Grossmann Foto: Astrid Schmidhuber

Jüdisches Leben im Nachkriegsdeutschland ist ein Themenfeld, das die Publizistin Andrea von Treuenfeld seit vielen Jahren beschäftigt. In dem Band Erben des Holocaust. Leben zwischen Schweigen und Erinnerung sammelte sie ihre Befragung von Kindern Holocaust-Überlebender. In vielen Gemeinden rücken die Kinder- und Enkelgeneration der Überlebenden in den Fokus; auch in München fanden dazu bereits Veranstaltungen statt.

Die Erfahrung der Vorfahren mit Verfolgung, ob ausgesprochen oder ausdrücklich verschwiegen, war präsent geblieben. Das galt für die dritte Generation, die der Enkel, ebenfalls, wenn auch anders, weil die Großeltern nun viel mehr preisgaben, in der Sorge, das ihnen Widerfahrene könnte vergessen oder endgültig verdrängt werden. Treuenfeld gab 2020 ihrem Buch dazu den Titel Erben des Holocaust. Leben zwischen Schweigen und Erinnerung und forschte weiter.

Ihre aktuelle Bestandsaufnahme Jüdisch jetzt! Junge Jüdinnen und Juden über ihr Leben in Deutschland stellte sie kürzlich auf Einladung des IKG-Kulturzentrums, des Jüdischen Museums München und des Verbandes Jüdischer Studenten in Bayern am Jakobsplatz vor.

Die Unterschiedlichkeit der drei Veranstalter korrespondiert mit der Vielfalt der 26 befragten Männer und Frauen.

Die Unterschiedlichkeit der drei Veranstalter korrespondiert mit der Vielfalt der 26 befragten Männer und Frauen, geboren zwischen 1974 und 1997 in Astrachan und Berlin, Budapest, Paris und Pforzheim. Stellvertretend stellte von Treuenfeld unter anderem die Biografien des Rappers Ben Salomo (eigentlich Jonathan Kalmanovich), des Schauspielers Garry Fischmann, in Dortmund geborener Sprössling aus Litauen emigrierter Juden, und der Autorin und Moderatorin Shelly Kupferberg, als Baby aus Tel Aviv nach Berlin verpflanzt, in Auszügen vor.

Obwohl die Interviewerin Themen wie Schoa, Antisemitismus und Nahostkonflikt nicht in den Fokus stellen wollte, ließen sich diese Bereiche nicht ausklammern. Judenhass bleibe allgegenwärtig.Kein Wunder, hege doch jeder fünfte Erwachsene und jeder Dritte unter 25 Jahren in Deutschland antisemitische Ressentiments.

Und auch die aktuelle Lage Israels war, seit dem 7. Oktober ohnehin, nicht auszuklammern. Nelly Kranz, die in Foren deutsch-israelischer Zusammenarbeit tätig ist, musste ihre Teilnahme kurzfristig absagen. Dafür bekam das Zwiegespräch zwischen Andrea von Treuenfeld und dem Dirigenten Daniel Grossmann mehr Raum. Auf die eine oder andere Weise waren auch in diesem Sammelband alle Befragten Nachfahren von Schoa- oder Gulag-Überlebenden.

So auch Grossmann, dessen Familie in Ungarn alle Facetten der Judenverfolgung erlitt. Schon mit drei Jahren wusste er, dass er Dirigent werden wollte. Sein Jüdischsein ist ebenso integraler Bestandteil seiner Identität wie seine Zugehörigkeit zur deutschen Kultur. Er fühlte sich sicher. Nach dem 7. Oktober hätten sich Abgründe aufgetan.
Konzerte danach hätten unter Polizeischutz stattgefunden. Statt zu schweigen, hat Grossmann seit der Gründung seines jüdischen Orchesters 2005 seine Identität, jüdische Geschichte und Musik miteinander verwoben: »Ich will über die Musik vermitteln, Geschichten erzählen«. Nora Niemann

Andrea von Treuenfeld: »Jüdisch jetzt! Junge Jüdinnen und Juden über ihr Leben in Deutschland«. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2023, 253 S., 22 €

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