Wilmersdorf

Unter Denkmalschutz

Sträucher statt Tennisbälle: Der Innenhof des Woga-Komplexes Foto: Chris Hartung

»Weltkulturerbe«: Reinhard Brüggemann nennt den sogenannten Woga-Komplex des jüdischen Architekten Erich Mendelsohn an der Ecke Ku’damm/Cicerostraße bei dem Namen, den es seiner Meinung nach verdient. »Es ist sein einziges städtebauliches Bauensemble. Es weist den Aufbruch in die moderne Bauzeit und ist in Architektur und Nutzungsmischung genial«, sagt der Anwohner.

Brüggemann ist selbst Architekt und setzt sich in einer Bürgerinititative für den Erhalt des Ensembles ein. Der denkmalgeschützte Komplex im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf besteht aus Kulturstätten, Läden, Garagen, Wohngebäuden und einer Tennisanlage. Bezirksbaustadtrat Oliver Schruoffeneger (Die Grünen) konstatiert: »Es handelt sich um die bedeutendste urbanistische Gesamtgestaltung in den Formen der Neuen Sachlichkeit in Berlin.« Doch nun könnte die Gesamtanlage gefährdet sein – und anstelle der Tennisplätze ein Wohnhaus oder eine Kita entstehen.

Makkabi Der Tennistrainer Leonid Geismann sagt über den möglichen Abbau der Plätze: »Schade. Ich habe damals nachgefragt, ob ich sie pachten kann.« Das war im Jahr 2007. Die Antwort lautete, es werde nicht mehr vermietet. Bis 2007 stand Geismann mehr als zwölf Jahre für den jüdischen Sportverein TuS Makkabi Berlin auf Tennisplätzen, als Lehrer und als Spieler. Mehrmals nahm Makkabi auch an Turnieren auf der Tennisanlage des Woga-Komplexes teil.

Hier hatte schon
der Tennisclub Blau-Weiß
vor 101 Jahren seine Plätze.

Doch dann verkaufte das Land Berlin die knapp 6000 Quadratmeter – nicht als Bauland, sondern als Spiel- und Bewegungsfläche – für knapp eine halbe Million Euro an einen Investor. Dieser Investor hat allerdings andere Pläne und möchte eine Wohnanlage bauen – die Anwohner sprechen von einer »gated Community«.

Schon seit zwölf Jahren gibt es auf dem Gelände keinen Ballwechsel mehr. Stattdessen wachsen Kiefern, Birken und Sträucher ungestört. Auf dem Grundstück stehen an diesem Morgen Ende Januar Reinhard Brüggemann und Christiane von Trotha, Sprecher der Bürgerinitiative des Woga-Komplexes. Brüggemann schüttelt den Kopf: »Ich finde es skandalös, was hier passiert ist.«

Landesdenkmalamt Im Eintrag des Landesdenkmalamtes Berlin wird das gesamte Areal als Denkmalart »Gesamtanlage« aufgeführt. Und das scheint zu einer Kernfrage zu werden. Denn was gehört alles zur Gesamtanlage? Brüggemann holt eine Seite aus seinem dicken Ordner. Darin teilt das Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf einem Anwaltsbüro in einem Schreiben vom 12. Dezember 2005 mit, dass der Erwerber über folgenden Sachverhalt unterrichtet werden soll: »Das Grundstück ist als Teil des Denkmalbereiches (...) in der Denkmalliste der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung verzeichnet. Die vorhandenen Tennisplätze sind Bestandteil des Schutzgutes. Die Vorschriften des Denkmalschutzgesetzes Berlin (...) sind zu beachten.« Ein paar Jahre später scheint sich der Sachverhalt geändert zu haben: »Ich weiß aber nicht warum, ich weiß nur, dass viel hinter verschlossenen Türen über den Woga-Komplex verhandelt wurde.«

Mittlerweile ist der Sachverhalt so komplex geworden, dass auf Drängen von Johannes Heyne (FDP), Mitglied der BVV Charlottenburg-Wilmersdorf, ein Untersuchungsausschuss einberufen wurde. Heyne, der erst seit der Berlin-Wahl 2016 in der BVV sitzt, hofft auf ein Ergebnis in dieser Legislaturperiode, die 2021 endet.

Bebauungsplanverfahren »Das Bezirksamt hat ein Bebauungsplanverfahren eingeleitet und auf dieser Grundlage keine Baugenehmigung erteilt. Dagegen klagt der Bauherr vor dem Verwaltungsgericht Berlin«, so Schruoffeneger auf Nachfrage. Der Investor könnte Schadenersatzforderungen in Millionenhöhe geltend machen, da ihm jahrelang signalisiert wurde, seine Pläne umsetzen zu dürfen. Eigentümer des Innenhofes ist eine Immobilienfondsgesellschaft, die sich von Shore Capital beraten lässt. Bei Shore Capital heißt es, es gebe zahlreiche Rechtsgutachten vonseiten des Bezirks und des Bauherrn. Man gehe davon aus, dass auch das Gericht das Baurecht bestätigen wird. Das Landesdenkmalamt habe keine Bedenken gehabt.

Das Bezirksamt hat mittlerweile eine eigene Idee: eine Kita in einem Flachbau zu errichten. Entweder müsste man dafür das Grundstück zurückerwerben oder von der Gesellschaft mieten, so Schruoffeneger. Die Anwohner halten indes daran fest, in Mendelsohns Sinne die Tennisplätze wieder in Betrieb nehmen zu lassen. Unterstützung bekommen sie auch von Regina Stephan, Mendelsohn-Expertin und Professorin für Architekturgeschichte am Architekturinstitut der Hochschule Mainz, die betont, dass die Tennisplätze zum Gesamtensemble gehören. An der Stelle hatte schon der Tennisclub Blau-Weiß vor 101 Jahren seine Plätze, so Brüggemann.

Komödie Erst vor wenigen Monaten wurde die Komödie am Kurfürstendamm abgerissen, die von dem jüdischen Architekten Oskar Kaufmann geplant worden war. Dort hatte sich der Investor vor Jahrzehnten vom Denkmalschutz freigekauft. Damit so etwas nicht noch einmal vorkommt, »haben wir den Denkmalschutz am Woga-Komplex nicht aufgehoben«, so Schruoffeneger.

Erich Mendelsohn (1887–1953) hatte die Anlage von 1925 bis 1931 gebaut, im Auftrag des Verlegers Hans Lachmann-Mosse, dessen Frau Felicia Mosse die Wohnungs-Verwertungs-Aktiengesellschaft (Woga) besaß. Der Mosse-Verlag musste Ende der 20er-Jahre aufgrund der Weltwirtschaftskrise Konkurs anmelden. Mendelsohn floh vor den Nazis nach England und schließlich ins damalige Palästina.

Auf der Anlage
des Woga-Komplexes
fanden auch Tennisturniere
von Makkabi statt.

Der Woga-Komplex wurde von den Nazis annektiert, Lachmann-Mosse ging nach New York. In den 50er-Jahren wurde der Familie der Komplex zurückübertragen. Berlin erwarb 1980 das Areal und bot die Wohnungen zur Miete an. Als sich das Land 1999 davon trennen wollte, konnten die Mieter die Wohnungen kaufen. Die restlichen Wohnungen gingen an einen Investor – mittlerweile auch die Fondsgesellschaft –, mit der Auflage, dass die Mieter Wohnrecht haben. Auch der Innenbereich wurde verkauft. Bis dahin konnte jeder die Tennisplätze stundenweise beim Pächter an sieben Tagen die Woche mieten. »Man musste in keinem Verein sein, jeder hatte Zugang, es war also ein sehr demokratisches Prozedere«, so Christiane von Trotha.

Kreuzhäuser Doch ab 2014 merkten die Bewohner, dass etwas im Gange war. Shore Capital arbeitete an Plänen, nach denen die Tennisplätze einem sechsgeschossigen Wohnhaus weichen sollen. Die Investoren haben das Planungsbüro Grüntuch-Ernst Architekten beauftragt, die mit ihrem Entwurf Mendelsohns Idee sogenannter Kreuzhäuser aufgreifen. Der Architekt hatte dafür einen Bauantrag eingereicht, der damals genehmigt wurde, entschied sich aber 1932 doch für Tennisplätze.

»Der Denkmalschutz der Gesamtanlage wurde zu keiner Zeit in Frage gestellt«, sagte der FDP-Bezirkspolitiker Johannes Heyne nun auf Nachfrage. Es habe Einigkeit bestanden, dass eine Bebauung des Innenhofes denkbar sei, aber nicht mit dem zuletzt diskutierten Entwurf. Die Eigentümer und Mieter, es sind mehrere hundert, haben mittlerweile auf einer Versammlung beschlossen, sich von einem Rechtsanwalt vertreten zu lassen.

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