Interview

»Unser Kochbuch kostete mich fast Freundschaften«

Oz Ben David (l.) und Jalil Dabit (r.) betreiben zusammen das »Kanaan« Foto: Elissavet Patrikiou/Südwest Verlag

Seit fast neun Jahren stehen Oz Ben David und Jalil Dabit in einer Küche, um die Gerichte für ihr gemeinsamen Restaurant »Kanaan« zu kochen. Oz Ben David, ein jüdischer Israeli, ist in Berlin, unterdessen wirbelt Jalil Dabit, ein arabischer Israeli, in der Küche seines Familienrestaurants in Ramla herum, das er nach dem Tod seines Vaters weiter betreibt. Während des Video-Calls wandert der Blick auch in blubbernde Kochtöpfe: Jalil Dabit schnippelt Gemüse, es sei Kochen »in the middle of war«, wie er sagt. Gemeinsam mit seiner Frau und seinem kleinen Sohn lebt Jalil auf israelischem Gebiet, ganz in der Nähe des Gazastreifens. Mit seinem Geschäftspartner Oz Ben David telefoniert er mehrmals täglich, wenn er nicht gerade in Berlin ist. Seit der Veröffentlichung ihres gemeinsamen Kochbuchs haben sich die Ereignisse überschlagen.

Ihr neues, fast 200-seitiges vegetarisches Kochbuch heißt schlicht: »Kanaan«. Genau wie das Restaurant, das Sie seit achteinhalb Jahren gemeinsam im Prenzlauer Berg betreiben.
Oz Ben David: Kanaan steht für das biblische Land, das Abraham, der Stammvater der Juden, Christen und Muslime, einst bewohnte. Der Name ist eine Erinnerung an unsere gemeinsamen Wurzeln. Kanaan ist auch eine kulinarische Einladung, all diese Köstlichkeiten kennenzulernen, mit denen wir aufgewachsen sind.

Kochbücher gibt es viele. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, ein israelisch-palästinensisches Kochbuch zu schreiben, und warum gerade jetzt?
Ben David: Als wir das Buch vor rund drei Jahren geplant haben, war die aktuelle Situation überhaupt nicht abzusehen. Kurz vor der Buchpremiere wurden wir von den schrecklichen Ereignissen des 7. Oktober eingeholt: von einem Krieg in Israel und Gaza, der durch den Überfall der Hamas ausgelöst wurde.

Der Krieg brach nur elf Tage vor dem geplanten Termin Ihrer Buchveröffentlichung aus. Wie haben Sie reagiert?
Ben David und Jalil Dabit (abwechselnd): Das war ein furchtbarer Schock! Natürlich haben wir sofort versucht, die Buchveröffentlichung am 18. Oktober zu stoppen. Das war dann leider nicht mehr möglich. Die Vorverkäufe im Netz und die Vorbestellungen waren bereits angelaufen. Der Verlag teilte uns mit, dass an einen Stopp zu diesem Zeitpunkt nicht mehr zu denken war. Die Freude über unser gemeinsames Kochbuch war erst einmal verflogen.

Man kann sich vorstellen, wie das bei einigen Menschen angekommen ist. Da bricht ein Krieg aus, und dann kommt zeitgleich ein israelisch-palästinensisches Kochbuch auf den Markt. Andererseits kann so ein Projekt auch als Aufruf zum Frieden und zur Versöhnung verstanden werden.
Ben David: Das haben einige Menschen offenbar auch so gesehen: Wir kochen ja schon seit achteinhalb Jahren zusammen in Berlin und zeigen damit, dass Frieden, Freundschaft und Versöhnung zwischen Palästinensern, Juden und allen anderen möglich ist. In unserem Restaurant arbeiten auch Geflüchtete aus Syrien, dem Libanon, Pakis­tan, Indien, aus der Ukraine und aus Afrika. Bei uns wird niemand aufgrund der Herkunft, des Glaubens oder der Gesinnung diskriminiert.

Wie war die erste Reaktion der Öffentlichkeit, als das Buch erschien? Es hat doch sicherlich auch kritische Stimmen gegeben.
Ben David: Einige Verwandte und Freunde waren kurz davor, mir die Freundschaft zu kündigen oder zumindest nicht mehr mit mir zu reden. Nach dem Motto: Hier herrscht Krieg, hier wurden Frauen vergewaltigt und Kinder getötet, und bei euch geht es um ein gemeinsames Kochbuch jener Völker, die gerade Krieg gegeneinander führen. Wir wussten zunächst überhaupt nicht, wie es weitergehen soll. Wir standen total neben uns. Man zweifelt irgendwann an den eigenen Ansichten. Die Idee vom Frieden zwischen Israelis und Palästinensern erschien plötzlich utopisch oder naiv.

Dann haben Sie Ihr Restaurant zunächst geschlossen.
Ben David: Ich habe alles infrage gestellt, es war eine Mischung aus Depression, Verzweiflung, Wut und Angst. Ein Teil meiner Familie lebt ja im Süden Israels in der Nähe des Gazastreifens, im Kibbuz Re’im, der von der Hamas brutal angegriffen wurde.
Dabit: Und ich habe tagelang nur noch geweint. Die Ereignisse waren wie ein Albtraum, es fühlte sich an wie ein Verrat an allem, woran wir glauben. Man fühlt sich komplett hilflos und ohnmächtig.
Ben David und Dabit: Die erste Reaktion war: Wir schließen das Restaurant erst einmal. Dann wuchs aber die Erkenntnis: Das Kanaan ist ein Ort, an dem Menschen wie wir, die sich für den Frieden einsetzen, eine Anlaufstelle haben. So ein Ort ist wichtig. Wir glauben weiter an diese Idee und lassen uns auch nicht einschüchtern.

Was hat diese belastende Situation mit Ihnen gemacht? Sie sind nicht nur Geschäftspartner, Sie haben sich vor vielen Jahren in Berlin kennengelernt, und seither verbindet Sie auch eine Freundschaft.
Ben David: Zunächst war es schwierig, ich habe Jalil im Zustand des Schocks erst einmal einiges an den Kopf geworfen. Jetzt ist es eher so, dass uns all diese Ereignisse und Reaktionen von außen eigentlich noch näher zusammengebracht haben.
Dabit: Wir haben immer Seite an Seite gestanden, egal, was da alles auf uns einprasselte und aus welcher Richtung Kritik kam. Aber unser gegenseitiger Respekt ist durch die jüngsten Ereignisse eher noch gewachsen.

Das ist schon erstaunlich, weil Ihr Hintergrund ziemlich unterschiedlich ist.
Ben David: Ich komme aus einer eher konservativen israelischen Siedlerfamilie, ich bin in Beer Sheva, in der »Hauptstadt des Negev«, aufgewachsen. Meine Eltern sind Zionisten, meine Großmutter ist zur Zeit des Nationalsozialismus aus Rumänien geflüchtet, und Jalil stammt aus einer christlich-arabischen Familie aus Ramla. Meine Familie hat immer versucht, mich vor ihm zu warnen. Ich habe im Militär gedient und war Offizier. Jalil hingegen war immer Pazifist.
Dabit:
Seit meinem zwölften Lebensjahr bin ich ein überzeugter Friedensaktivist, und daran wird sich auch nie etwas ändern. Für mich ist Kochen auch ein Zeichen von Frieden. Wer gemeinsam Hummus isst, hat keine Zeit zum Töten.

Im Kochbuch wird auch die Geschichte Ihrer Freundschaft erzählt.
Ben David: Unser Kochbuch sollte anders sein als alle anderen Kochbücher, die wir kannten. Es ist ein sehr persönliches Werk.

Neben farbenfrohen Fotos von Zutaten und Gerichten gibt es Schnappschüsse von Ihnen beim Kochen und Essen mit Freunden, gewürzt mit vielen persönlichen Anekdoten aus euren jeweiligen Herkunftsfamilien.
Ben David: Während wir die Gerichte beschreiben, erfahren die Leser einiges über die Regionen, aus denen die Rezepte stammen, über Menschen, die sie zubereitet haben. Wir teilen persönliche Familien­rezepte und erzählen, wie es bei der Vorbereitung von (Familien-)Feiern in Israel oder in Palästina zugeht. Man erfährt einiges über die Art, wie wir aufgewachsen sind.

Neben Tanten und Onkeln haben die Großmütter in Ihren Familien eine wichtige Rolle gespielt. Wenn man den Geschichten folgt, kommt man manchmal fast durcheinander. Von welcher Oma ist bei welchem Rezept die Rede, von der israelischen oder der palästinensischen?
Ben David: Das ist ja das Schöne an diesem Buch. Wir Juden denken immer, wir sind so anders als die Palästinenser. Aber als Jalil mir einige Geschichten aus seiner Kindheit erzählt hat, dachte ich, das hätte auch in meiner Familie sein können. Ähnlich verhält es sich mit den Gerichten, den Besuchen auf den Märkten, den Geräuschen und Gerüchen in der jeweiligen Küche. Diese Erlebnisse wollten wir mit anderen Menschen teilen.

Alle Rezepte sind einfach in der Zubereitung – im Gegensatz zu anderen Kochbüchern der levantinischen Küche, wo man Mühe hat, die Zutaten in Deutschland überhaupt zusammenzubekommen.
Dabit: Wir haben sehr darauf geachtet, dass man die Zutaten nicht lange suchen muss, man bekommt sie eigentlich überall. Die Gerichte sind so adaptiert, dass man sie ohne große Vorkenntnisse umsetzen kann.

Sie haben die Idee des Kanaan einmal als Dreieck beschrieben. Wie ist das gemeint?
Ben David: Das Kanaan bewegt sich nicht nur zwischen Israel und Palästina, wir befinden uns auch in Berlin. Es handelt sich also um die besondere Verbindung zwischen drei Ländern. Es geht um die Vergangenheit, um die Gegenwart und um eine gemeinsame Zukunft. Bei uns wird niemand ausgeschlossen, dadurch entsteht etwas Neues.

Was wäre zum Beispiel ein Gericht, das diese Entwicklung abbilden würde?
Ben David: Wenn es nach uns ginge, würden wir ein neues Nationalgericht kreieren, sagen wir mal einen »Hummus-Kartoffelpuffer«. Kulturen entwickeln sich weiter, Gesellschaften entwickeln sich, entsprechend entstehen auch neue Gerichte und Geschichten.

In Ihrem Kochbuch ist ein Foto von einem Tisch vor dem Kanaan zu sehen, an dem viele Menschen zusammensitzen. Wäre so ein israelisch-palästinensisches Restaurant-Konzept auch für Israel vorstellbar?
Ben David: Im Moment nicht. Aber als meine Großmutter vor den Nationalsozialisten aus Europa geflohen ist, war es auch nicht vorstellbar, dass ihr Enkel eines Tages in Berlin leben würde und ein Restaurant gemeinsam mit einem Palästinenser betreibt.

Mit den beiden Besitzern des »Kanaan« sprach Alicia Rust.
Oz Ben David, Jalil Dabit, Elissavet Patrikiou: »Kanaan. Das Kochbuch«. Südwest, München 2023, 192 S., 30 €

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