Festkonzert

»Uns vereint die Musik«

Der Leipziger Synagogalchor bei der Abschlussveranstaltung des Louis Lewandowski Festivals 2013 in der Synagoge Rykestraße in Berlin Foto: Rolf Walter

Als der Leipziger Synagogalchor vor einigen Jahrzehnten eine Einladung nach Straßburg bekam, um dort ein Konzert zu geben, war für Reinhard Riedel schnell klar: Er wollte mitmachen. Sowohl die Reise als auch der Gesang lockten den damals 18-Jährigen. »Ich sang schon immer gerne und spürte große Lust, in diesem Chor nun mitzuwirken.« Die Fahrt fand zwar nicht statt, aber Riedel blieb im Ensemble. Das war 1969. Noch heute kommt er zu den wöchentlichen Proben und hat als Vorstandsvorsitzender viel mit der Organisation zu tun.

Und er freut sich auf den 12. November, wenn der Chor im Leipziger Gewandhaus auftritt. Denn an diesem Samstagabend feiert das Ensemble sein 60-jähriges Bestehen und hat Solisten und Kantoren wie Assaf Levitin, Kantor der jüdischen Gemeinde Hamburg, eingeladen. Das Mendelssohn Kammerorchester Leipzig wird den Chor begleiten. Auf dem Programm stehen unter anderem Werke von Samuel Lampel (1884-1942), Johann Stephan Rittangel (1606–1652), Kurt Weill (1900–1950) und Salomone Rossi (1570–1630).

Tradition Das Ensemble ist kein Synagogen-, sondern ein Konzertchor, und neben der jüdischen sakralen Musiktradition hat es sich auch der jiddischen und hebräischen Folklore verschrieben. A cappella oder mit Orgel-, Klavier- oder Geigenbegleitung, mit und ohne Solisten. Die rund 35 Sängerinnen und Sänger sind allesamt Nichtjuden.

»Vom Studenten über Berufstätige bis zum Rentner«, so Riedel. »Uns vereint die Musik, die ist etwas Besonderes.« Knapp 800 Konzerte hat das Ensemble in sechs Jahrzehnten gegeben.

Die jüdische sakrale Musiktradition wieder zu beleben, war das Ziel von Oberkantor Werner Sander, als er den Chor gründete.

Riedels Eltern waren mit dem damals amtierenden Oberkantor Werner Sander befreundet, der den Synagogalchor 1962 gründete. Riedel spürte selbst auch eine Affinität zum Judentum und hatte als Elfjähriger einen Brief an Martin Buber geschrieben. Ausgerechnet diesen Brief sah er vor ein paar Wochen in Jerusalem in der Nationalbibliothek, als er jüngst in Israel war, um eine Konzertreise zu organisieren. Er hatte damals Buber um eine Brieffreundschaft gebeten. Allerdings bekam er keine Antwort.

Die jüdische sakrale Musiktradition wiederzubeleben, zu pflegen und einem größeren Hörerkreis zu erschließen, war das Ziel von Oberkantor Werner Sander. Im Mai 1963 fand das erste Konzert in Dresden statt. Vermittelt durch die Konzert- und Gastspieldirektion Leipzig sang der Chor in Halle, Erfurt, Karl-Marx-Stadt, Dresden, Berlin und Leipzig. Auch in jüdischen Gemeinden war der Chor zu Gast. Nach der Erweiterung des Chorrepertoires um jüdische Folklore erschien 1965 die erste Platte Meisterwerke der Synagoge und das jüdische Volkslied, die in die Bundesrepublik Deutschland und die USA übernommen wurde. Für den Berliner Rundfunk gestaltete der Chor eine Reihe von Schabbatfeiern.

Leitung Nach Sanders Tod im Juli 1972 wurde der Tenor Helmut Klotz, der bereits als Solist mit dem Chor aufgetreten war, zum künstlerischen Leiter berufen. Er übernahm die Rolle des jüdischen Kantors und sang die Tenorsoli aus dem Dirigat heraus. Im April 2012 übernahm Ludwig Böhme die künstlerische Leitung des Leipziger Synagogalchores.

Beim Festkonzert wird der Staffelstab von Ludwig Böhme auch öffentlich an Philipp Goldmann, den seit dem 1. September 2022 nunmehr vierten Leiter des Ensembles, übergeben. Böhme leitet seit September 2022 den Windsbacher Knabenchor.

Bis zur deutschen Wiedervereinigung war der Verband der Jüdischen Gemeinden in der DDR der Träger des Chores; zur Unterstützung des Ensembles erhielt er Fördermittel aus dem Kulturfonds der DDR. »Damals bekamen wir sogar ein Probenentgelt von fünf Ostmark«, so Riedel. Seit 1991 ist der Chor ein eingetragener, gemeinnütziger Verein und wird seit vielen Jahren institutionell vom Kulturamt der Stadt Leipzig gefördert.

In Israel gastierte der Leipziger Synagogalchor mehrmals.

Konzertreisen ins Ausland gehören seit den 70er-Jahren und verstärkt seit der Wiedervereinigung 1990 zu den wichtigen Aktivitäten des Leipziger Synagogalchores. »Sie zeugen von der nationalen und internationalen Ausstrahlung und der Botschafterfunktion des Ensembles«, so Riedel. Die erste Konzertreise ins westliche Ausland unternahm eine Delegation von acht Sängern nebst Chorleiter und Pianist 1985 nach Paris. Ab 1986 durften fast alle Sänger des Chores als »Reisekader« der DDR in nichtsozialistische Länder reisen. Erste Auftritte in der Bundesrepublik fanden 1988 statt.

In Israel gastierte der Leipziger Synagogalchor mehrmals. Als Zeichen der Versöhnung war es dem Ensemble 2010 durch einen Knesset-Beschluss gestattet, in der Synagoge der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem zu singen.

Botschafter Zehn bis 20 Konzertauftritte pro Jahr sind üblich. Auch die großen Häuser wie Dresdner Philharmonie, Frauenkirche, Leipziger Gewandhaus und das Konzerthaus am Berliner Gendarmenmarkt standen schon auf dem Programm. Und längst sei der Laienchor international bekannt, sagt Reinhard Riedel. Auf seinen zahlreichen Auslandsreisen sei das Ensemble Botschafter für die jüdische Kultur.

Der Chor wurde mit zahlreichen Auszeichnungen geehrt, unter anderem erhielt er 2017 den Sonderpreis der Obermayer German Jewish History Awards. Der Chor hat federführend dazu beigetragen, dass die »Revitalisierung synagogaler Chormusik des 19. und 20. Jahrhunderts Mittel- und Osteuropas« 2020 in das Register guter Praxisbeispiele des Bundesweiten Verzeichnisses des Immateriellen Kulturerbes aufgenommen wurde.

Reinhard Riedel kann viele Anekdoten aus den vergangenen Jahren erzählen. Beispielsweise von einem Konzert in Krakaus alter Synagoge vor vielen Jahren, bei dem die Zuhörer bis »vor unseren Füßen« saßen. Sie hätten Kassettenrecorder dabei gehabt, damit sie alles aufnehmen konnten. »Die Leute haben geweint. Es war unglaublich.«

Justiz

Anklage wegen Hausverbots für Juden in Flensburg erhoben

Ein Ladeninhaber in Flensburg soll mit einem Aushang zum Hass gegen jüdische Menschen aufgestachelt haben. Ein Schild in seinem Schaufenster enthielt den Satz »Juden haben hier Hausverbot«

 12.11.2025

Interview

»Niemand hat Jason Stanley von der Bühne gejagt«

Benjamin Graumann, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, weist die Vorwürfe des amerikanischen Philosophen zurück und beschuldigt ihn, Unwahrheiten über den Abend in der Synagoge zu verbreiten

von Michael Thaidigsmann  12.11.2025

Hessen

Margot Friedländer erhält posthum die Wilhelm-Leuschner-Medaille

Die Zeitzeugin Margot Friedländer erhält posthum die höchste Auszeichnung des Landes Hessen. Sie war eine der wichtigsten Stimme in der deutschen Erinnerungskultur

 12.11.2025

Berlin

Touro University vergibt erstmals »Seid Menschen«-Stipendium

Die Touro University Berlin erinnert mit einem neu geschaffenen Stipendium an die Schoa-Überlebende Margot Friedländer

 12.11.2025

Jubiläum

»Eine Zierde der Stadt«: Vor 30 Jahren wurde das Centrum Judaicum in Berlin eröffnet

Es ist einer der wichtigsten Orte jüdischen Lebens in Deutschland: Vor 30 Jahren wurde das Centrum Judaicum in der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin eingeweiht. Am Dienstag würdigt dies ein Festakt

von Gregor Krumpholz, Nina Schmedding  11.11.2025

Vertrag

Jüdische Gemeinde Frankfurt erhält mehr Gelder

Die Zuwendungen durch die Mainmetropole sollen bis 2031 auf 8,2 Millionen Euro steigen

von Ralf Balke  11.11.2025

Berlin

Ein streitbarer Intellektueller

Der Erziehungswissenschaftler, Philosoph und Publizist Micha Brumlik ist im Alter von 78 Jahren gestorben. Ein persönlicher Nachruf

von Julius H. Schoeps  11.11.2025

Hannover

Ministerium erinnert an 1938 zerstörte Synagoge

Die 1938 zerstörte Neue Synagoge war einst mit 1.100 Plätzen das Zentrum des jüdischen Lebens in Hannover. Heute befindet sich an dem Ort das niedersächsische Wissenschaftsministerium, das nun mit Stelen an die Geschichte des Ortes erinnert

 10.11.2025

Chidon Hatanach

»Wie schreibt man noch mal ›Kikayon‹?«

Keren Lisowski hat die deutsche Runde des Bibelquiz gewonnen. Jetzt träumt sie vom Finale in Israel

von Mascha Malburg  10.11.2025