Nachruf

Trauer um einen Chemnitzer

Hans Günter Flieg mit seiner Partnerin Foto: Sammlung Jürgen Nitsche

Nachruf

Trauer um einen Chemnitzer

Hans Günter Flieg starb 101-jährig in São Paulo

von Jürgen Nitsche  24.09.2024 12:08 Uhr

Der bekannte Dokumentarfotograf Hans Günter Flieg, der vor über 101 Jahren in Chemnitz als Sohn des Kaufmannsehepaars Karl und Eva Flieg geboren wurde, ist Anfang September in São Paulo gestorben. Der Cousin von Helmut Flieg, aka Stefan Heym, verbrachte seine Kindheit in Chemnitz.

Infolge der wachsenden Judenfeindlichkeit nahmen seine Eltern ihn vom Gymnasium und meldeten ihn an der Jüdischen Privatschule Leonore Goldschmidt in Berlin-Dahlem an. Er lebte fortan bei seinen Tanten in Berlin-Neukölln. Am 15. Mai 1937 wurde Hans Günter Barmizwa. Er erinnerte sich oft an die Worte, die Rabbiner Hugo Fuchs ihm auf den Weg gab: »Pflege deine Muttersprache und die Kultur deines Vaterlandes.«

Anfang 1939 beendete er die Schulausbildung, um einen halbjährigen Grundkurs bei der Fotografin Grete Karplus zu beginnen, die eine eigene Werkstatt in Berlin-Halensee hatte. Im August 1939 erhielt er das Zeugnis. Darin heißt es: »Hans Günter Flieg hat während eines halben Jahres unter meiner Aufsicht photographisch gearbeitet. Er hat Gegenstands- und Werbeaufnahmen gemacht, aber auch Porträt- und Außenaufnahmen. (…) Ich bin überzeugt, dass er es in dem Photographie-Handwerk zu etwas Gutem bringen wird, wenn er die Möglichkeit hat, sich weiter auszubilden, da er Freude, Lust und Begabung dafür hat!«

In São Paulo setzte Hans Günter seine berufliche Ausbildung fort und fand schnell Arbeit als Fotograf für Werbeaufnahmen.

Am 22. November 1939 konnte Hans Günter mit seinen Eltern und seinem Bruder Stefan Chemnitz verlassen, um fernab von der Heimat ohne Angst und Schrecken zu leben. Else Flieg-Fuchs, Heyms Mutter, hatte Karl Flieg, ihren Schwager, und seine Familie noch bis auf den Hauptbahnhof begleitet und sich unter Tränen von ihnen verabschiedet.

In São Paulo setzte Hans Günter seine berufliche Ausbildung fort und fand schnell Arbeit als Fotograf für Werbeaufnahmen. Nach Kriegsende machte er sich selbstständig und wurde zu einem der angesehensten Dokumentarfotografen Brasiliens. Er dokumentierte das deutsch-jüdische Exil in dem Land, vor allem aber die Entwicklung der Stadt São Paulo, die er vor seinem fotografischen Auge wachsen sah. Seine Industriefotografien zeigen ein modernes Brasilien.

Flieg erhielt 1965 die brasilianische Staatsbürgerschaft und lebte in São Paulo. Im Frühjahr 2008 reiste er anlässlich einer Werkschau in den Kunstsammlungen Chemnitz erstmals wieder nach Deutschland. 120 seiner Werke, die zwischen 1940 und 1970 in Brasilien entstanden waren, wurden gezeigt.

Bei der Verlegung zweier Stolpersteine in Chemnitz sagte Flieg später, dass »jedes Zusammenleben von Menschen in einer Wohnung, in einem Hause, einer Stadt, einem Land und schließlich auf einem Planeten Verständnis, Geduld und guten Willen erfordert«. Leider musste er in den vergangenen Jahren miterleben, dass sein Rat ungehört geblieben ist.

Teilnehmer des Mitzvah Day 2016 in Berlin

Tikkun Olam

»Ein Licht für die Welt«

Der Mitzvah Day 2025 brachte bundesweit Gemeinden, Gruppen und Freiwillige zu mehr als 150 Projekten zusammen

 23.11.2025

München

Nicht zu überhören

Klare Botschaften und eindrucksvolle Musik: Die 39. Jüdischen Kulturtage sind eröffnet

von Esther Martel  23.11.2025

Berlin

Gegen den Strom

Wie der Ruderklub »Welle-Poseidon« in der NS-Zeit Widerstand leistete und bis heute Verbindung zu Nachfahren seiner jüdischen Mitglieder pflegt

von Alicia Rust  23.11.2025

Porträt

Glücklich über die Befreiung

Yael Front ist Dirigentin, Sängerin, Komponistin und engagierte sich für die Geiseln

von Alicia Rust  22.11.2025

Berufung

Schau mal, wer da hämmert

Sie reparieren, organisieren, helfen – und hören zu: Hausmeister von Gemeinden erzählen, warum ihre Arbeit als »gute Seelen« weit mehr ist als ein Job

von Christine Schmitt  21.11.2025

Mitzvah Day

Im Handumdrehen

Schon vor dem eigentlichen Tag der guten Taten halfen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Zentralrats bei der Berliner Tafel, Lebensmittel zu prüfen

von Sören Kittel  20.11.2025

Interview

»Selbst vielen Juden ist unsere Kultur unbekannt«

Ihre Familien kommen aus Marokko, Libyen, Irak und Aserbaidschan. Was beschäftigt Misrachim in Deutschland? Ein Gespräch über vergessene Vertreibungsgeschichten, sefardische Synagogen und orientalische Gewürze

von Joshua Schultheis, Mascha Malburg  20.11.2025

Sachsen-Anhalt

Judenfeindliche Skulptur in Calbe künstlerisch eingefriedet

Die Kunstinstallation überdeckt die Schmähfigur nicht komplett. Damit soll die Einfriedung auch symbolisch dafür stehen, die Geschichte und den immer wieder aufbrechenden Antisemitismus nicht zu leugnen

 19.11.2025

Berlin

450 Einsatzkräfte schützen jüdische Einrichtungen

Zudem seien im laufenden Jahr zwei Millionen Euro in bauliche Sicherheitsleistungen für jüdische Einrichtungen investiert worden sowie 1,5 Millionen Euro in mobile Sicherheitsleistungen für jüdische Gemeindeeinrichtungen

 19.11.2025