Emanzipation

Pionierin der Frauenbewegung

Fasziniert bis heute: Hedwig Dohm (1831–1919) Foto: Edition Hedwig Dohm

Emanzipation

Pionierin der Frauenbewegung

Die Autorin Hedwig Dohm setzte sich im 19. Jahrhundert für die Gleichstellung ein. Dafür wird sie nun geehrt

von Jérôme Lombard  17.01.2019 12:07 Uhr

»Ich bin des Glaubens, dass die eigentliche Geschichte der Menschheit erst beginnt, wenn der letzte Sklave befreit ist, wenn das Privilegium der Männer auf Bildung und Erwerb abgeschafft, wenn die Frauen aufhören, eine unterworfene Menschenklasse zu sein.« Dieses Plädoyer für die bedingungslose Gleichstellung von Mann und Frau ist programmatisch für das Werk der Philosophin und Autorin Hedwig Dohm.

Die sogenannte Natur der Frau entlarvte Dohm – fast ein Jahrhundert vor Simone de Beauvoir – als soziales Konstrukt. Dem biologistisch begründeten Geschlechterdualismus vom »rationalen Mann« und der »emotionalen Frau« hält Dohm den »Ganzmenschen« als von mannigfaltigen Gefühlen und Eigenschaften geprägtes Individuum jenseits geschlechtsspezifischer Zuordnungen entgegen.

Bereits 1873 forderte Dohm als eine der ersten deutschen Frauen überhaupt das Frauenwahlrecht.

Aus diesen überaus modernen Gedanken leitete Hedwig Dohm in ihren Schriften politische Forderungen wie die nach gleichberechtigten Bildungschancen für Jungen und Mädchen, die freie Berufswahl für Frauen und das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung ab. Bereits 1873 forderte Dohm als eine der ersten deutschen Frauen überhaupt das Frauenwahlrecht.

REVOLUTIONÄRIN Die Bremer Historikerin Nikola Müller, die seit 2006 Dohms Gesamtwerk herausgibt, sieht die Schriftstellerin als eine der bedeutendsten und radikalsten Vertreterinnen der frühen Frauenbewegung in Deutschland. »Hedwig Dohm war eine Revolutionärin«, sagt Müller. »Als Pionierin hat sie wie keine andere Frauenrechtlerin ihrer Zeit so vehement die rechtliche, soziale und ökonomische Gleichstellung der Geschlechter eingefordert.«

Hedwig Dohm wurde am 20. September 1831 in eine wohlhabende jüdische Familie in Berlin geboren. Sie war die älteste Tochter des Tabakfabrikantensohns Gustav Adolph Schlesinger und seiner Frau Wilhelmine Henriette Jülich.

Insgesamt hatte Hedwig 16 Geschwister. Nachdem der Vater zum Protestantismus konvertiert war, änderte er 1851 den jüdisch klingenden Familiennamen Schlesinger in Schleh. Während die Familie großen Wert auf die Ausbildung der Söhne legte, durfte Hedwig nur bis zu ihrem 15. Lebensjahr eine Mädchenschule besuchen.

In dem jungen Mädchen steckte früh rebellischer Geist:

In dem jungen Mädchen steckte früh rebellischer Geist: Hedwig bekniete ihre Eltern mit Erfolg, sodass sie ein weiteres Jahr ein Lehrerinnenseminar besuchen konnte. Eine höhere Schulbildung – geschweige denn der Besuch einer Universität – blieb ihr jedoch zeitlebens verwehrt.

Erst als sie im Alter von 22 Jahren den Schriftsteller Ernst Dohm heiratete, bekam die junge Frau Zugang zu intellektuellen Kreisen. Ernst Dohm, Sohn einer zum Christentum konvertierten jüdischen Kaufmannsfamilie, lud regelmäßig Autoren und Gelehrte in seinen Berliner Salon ein, darunter Theodor Fontane und Franz Liszt.

ESSAY Unter dem Titel Was die Pastoren von den Frauen denken veröffentlichte Hedwig Dohm 1872 ihren ersten feministischen Essayband. Dieser machte die junge Autorin mit einem Schlag berühmt. In ihrem Text greift Dohm den damaligen gesellschaftlichen Mainstream an, der von einer »natürlichen Ungleichheit« der Geschlechter ausging.

»Dohm fasziniert uns bis heute, weil sie mit einer überaus bissigen Sprache zu einem sehr frühen Zeitpunkt für die Frauenemanzipation eintritt«, sagt Historikerin Müller. Auf weitere Essaybände sollten zahlreiche feministische Romane, Novellen und Theaterstücke folgen.

Vielen ihrer Zeitgenossinnen war Hedwig Dohm zu radikal. Erst mit der Jahrhundertwende bekam sie für ihre Ideen breitere Unterstützung. Politisch näherte sich Dohm der SPD an. Über ihre jüdische Herkunft hat sich die Schriftstellerin in ihrem Werk nur selten geäußert.

Vielen ihrer Zeitgenossinnen war Hedwig Dohm zu radikal.

»In ihren Texten lassen sich fast keine Aussagen über das Judentum oder den Glauben finden«, erläutert Müller. »Allerdings hat Dohm sich immer dagegen verwahrt, dass die Religionen dazu genutzt werden, um Frauen zu unterdrücken.«

Als im November 1918 das Frauenwahlreicht in Deutschland eingeführt wurde, war Hedwig Dohm bereits 87 Jahre alt. Die Schriftstellerin starb am 1. Juli 1919 in Berlin. Anlässlich ihres 100. Todestages wird Hedwig Dohms Grab auf dem Alten St.-Matthäus-Kirchhof in Schöneberg im März zum Ehrengrab des Landes Berlin erklärt.

München

Das Schweigen brechen

Stephan Lebert und Louis Lewitan stellten ihr neues Buch »Der blinde Fleck« über ein deutsches Tabu und seine Folgen vor

von Helen Richter  03.07.2025

Sport

Fit mit Makkabi

Schmerzt der Rücken? Fehlt die Kraft? Wir haben vier Übungen für alle, die fit im Alltag werden wollen. Gezeigt hat sie uns Noah von Makkabi

von Katrin Richter  03.07.2025

Berlin

»Wie vorm Berghain«

Avi Toubiana über das Kosher Street Food Festival, organisatorische Herausforderungen und Warteschlangen

von Helmut Kuhn  03.07.2025

Lesung

Familiengeschichten

Der Autor Daniel Zylbersztajn-Lewandowski stellte im »taz-Café« zwei Bücher über seine Vorfahren vor – und lernte bislang unbekannte Verwandte kennen

von Alicia Rust  03.07.2025

Chemnitz

Marx und Mikwe

Die Jüdische Gemeinde präsentiert sich im Kulturhauptstadtjahr zwischen Baustelle, Geschichte und Begegnung. Ein Ortsbesuch

von Anett Böttger  02.07.2025

Meinung

Nicht ohne meine Klimaanlage!

Warum sich Deutschland im Sommer an Israel ein Beispiel nehmen sollte

von David Harnasch  02.07.2025 Aktualisiert

Interview

Das hilft wirklich gegen zu viel Hitze und Sonne

Yael Adler über die Frage, wie wir uns am besten schützen können und was wir im Sommer von den Israelis lernen können

von Philipp Peyman Engel  02.07.2025 Aktualisiert

Bayern

Als Rassist und Antisemit im Polizeidienst? Möglich ist es …

Der Verwaltungsgerichtshof München hat geurteilt, dass Beamte sich im privaten Rahmen verfassungsfeindlich äußern dürfen, ohne deswegen mit Konsequenzen rechnen zu müssen

von Michael Thaidigsmann  01.07.2025

München

Gedenken in schwerer Zeit

Die Stadt erinnerte an jüdische Opfer des NS-Regimes. Die Angehörigen aus Israel konnten wegen des Krieges nicht anreisen

von Luis Gruhler  01.07.2025