Jüdisch Literarisches Rondeel

Panorama aus Geschichten und Menschen

Die neue Lesereihe im Centrum Judaicum tritt mit einem Titel an, der einer Erklärung bedarf: »Jüdisch Literarisches Rondeel«. Der aus dem Niederländischen stammende Begriff kommt eigentlich aus der Stadtplanung. Er bezeichnet einen runden Platz oder auch ein rundes Beet und tauchte hierzulande 1936 erstmalig im Kieler Adressbuch auf.

Etwa zu dieser Zeit tagten in Berlin die Repräsentanten der Jüdischen Gemeinde in einer runden Sitzanordnung. Und weil die nun ins Leben gerufene Lesereihe in ebenjenem runden Saal der Neuen Synagoge stattfindet, habe man diesen Begriff gewählt, erklärte Direktorin Anja Siegemund.

Diesmal sei zwar noch konventionell bestuhlt worden, für künftige Veranstaltungen aber sei das anders geplant. Jedenfalls werden die Rondeele regelmäßig in unregelmäßigen Abständen stattfinden, um jüdische Autoren und jüdische Literatur vorzustellen – was nicht zwingend dasselbe ist, wie bereits der erste Abend bewies.

Zur Eröffnung wurde Maxim Leo nebst Suhrkamp-Geschäftsführer Thomas Sparr, einem ausgewiesenem Experten für jüdische Autoren, aufs Podium gebeten. Im Fokus stand Leos neues Buch Wo wir zu Hause sind. Die Geschichte meiner verschwundenen Familie.

FAMILIENROMAN Der Autor, der als Kolumnist für die »Berliner Zeitung« schreibt, hat eine Art Familienroman in Form eines erzählenden Sachbuchs geschrieben, in dem es um die Verfolgung seiner weit verzweigten jüdischen Familie geht, aber eben nicht ums Judentum. Denn die vor den Nazis geflohenen Protagonisten sahen sich allesamt vor allem als Deutsche, in deren Leben die Religion kaum eine Rolle spielte.

Das macht das Buch nicht weniger lesenswert, und die privaten Schilderungen, mit denen der eloquente Maxim Leo die Lesung immer wieder unterbrach, ließ die erste Ausgabe des Jüdisch-Literarischen Rondeels zu einem kurzweiligen Erlebnis werden.

Der aus dem Niederländischen stammende Begriff Rondeel kommt eigentlich aus der Stadtplanung.

Alles begann mit der Hochzeit von Leos Bruder auf einem hochherrschaftlichen Anwesen irgendwo in Brandenburg. In den beiden letzten Jahrzehnten der DDR sozialisiert, war Familie für die beiden Brüder zur Wende nur die Eltern und sie selbst. Wenngleich sie wussten, dass auch sie Onkel, Tanten, Cousins und Cousinen hatten. Doch diese lebten in England und den USA, in Wien und vor allem in Israel – was aus DDR-Perspektive so exotisch war »wie der Mond«. Zur Hochzeit des Bruders aber kamen alle zusammen und schielten neidvoll auf das Leben des jeweils anderen.

Maxim Leo, der als Jugendlicher überhaupt erst durch eine Art unbeholfene Aufklärungsstunde seiner Mutter vom eigenen Jüdischsein erfuhr, war neidisch auf die israelische Verwandtschaft. Sein Vetter Amnon aber, Kampfpilot des IDF, entdeckte plötzlich Gefühle für die Heimat seiner Großeltern. Dessen Bruder, ein Kinderpsychiater in Jerusalem, hielt gar das ganze Land Israel für verrückt.

EMIGRATION Jenes Familienfest veranlasste Maxim Leo schließlich dazu, über die Mischpoche zu forschen. Er las Tagebücher und interviewte Cousins, ging in die Archive der Humboldt-Universität und erfuhr aus vergilbten Akten, dass seine Verwandten wegen marxistischer Umtriebe exmatrikuliert worden waren. Am Ende legte Maxim Leo auf 368 Seiten das vor, was Anja Siegemund zu Recht ein »wahnsinniges Panorama aus Geschichten und Menschen« nennt.

Da ist zum Beispiel Tante Hilde, deren Stimme einst verstummte, was ihrem Beruf als Schauspielerin nicht förderlich war. Und Tante Edith, die sich in Frankreich in einen SS-Offizier verliebte und er sich in sie. Mit all diesen Geschichten, die die Emigration nicht nur als fortgesetzte Leidensgeschichte erzählt, sondern auch einen Blick auf die komischen Aspekte wirft, ist dem Centrum Judaicum ein guter Einstieg in die neue Literaturreihe gelungen.

Die künftigen Rondeel-Veranstaltungen würden, erklärt Anja Siegemund, »mal mit einem, mal mit mehreren Experten, mal als Lesung, mal ohne Lesung« stattfinden. Das nächste Mal, so viel steht immerhin schon fest, wird dies am 26. Februar der Fall sein. Geplant sind unter anderem Lesungen mit Christian Berkel und Rafael Seligmann. Dann voraussichtlich in einer runden Bestuhlung.

Ehrung

Göttinger Friedenspreis für Leon Weintraub und Schulnetzwerk

Zwei Auszeichnungen, ein Ziel: Der Göttinger Friedenspreis geht 2026 an Leon Weintraub und ein Schulprojekt. Beide setzen sich gegen Rassismus und für Verständigung ein

von Michael Althaus  13.11.2025

Israel

Voigt will den Jugendaustausch mit Israel stärken

Es gebe großes Interesse, junge Menschen zusammenzubringen und Freundschaften zu schließen, sagt der thüringische Regierungschef zum Abschluss einer Israel-Reise

von Willi Wild  13.11.2025

Karneval

»Ov krüzz oder quer«

Wie in der NRW-Landesvertretung in Berlin die närrische Jahreszeit eingeleitet wurde

von Sören Kittel  13.11.2025

Jüdische Kulturtage Berlin

Broadway am Prenzlauer Berg

Vom Eröffnungskonzert bis zum Dancefloor werden Besucherrekorde erwartet

von Helmut Kuhn  13.11.2025

Justiz

Anklage wegen Hausverbots für Juden in Flensburg erhoben

Ein Ladeninhaber in Flensburg soll mit einem Aushang zum Hass gegen jüdische Menschen aufgestachelt haben. Ein Schild in seinem Schaufenster enthielt den Satz »Juden haben hier Hausverbot«

 12.11.2025

Interview

»Niemand hat Jason Stanley von der Bühne gejagt«

Benjamin Graumann, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, weist die Vorwürfe des amerikanischen Philosophen zurück und beschuldigt ihn, Unwahrheiten über den Abend in der Synagoge zu verbreiten

von Michael Thaidigsmann  12.11.2025

Hessen

Margot Friedländer erhält posthum die Wilhelm-Leuschner-Medaille

Die Zeitzeugin Margot Friedländer erhält posthum die höchste Auszeichnung des Landes Hessen. Sie war eine der wichtigsten Stimme in der deutschen Erinnerungskultur

 12.11.2025

Berlin

Touro University vergibt erstmals »Seid Menschen«-Stipendium

Die Touro University Berlin erinnert mit einem neu geschaffenen Stipendium an die Schoa-Überlebende Margot Friedländer

 12.11.2025

Jubiläum

»Eine Zierde der Stadt«: Vor 30 Jahren wurde das Centrum Judaicum in Berlin eröffnet

Es ist einer der wichtigsten Orte jüdischen Lebens in Deutschland: Vor 30 Jahren wurde das Centrum Judaicum in der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin eingeweiht. Am Dienstag würdigt dies ein Festakt

von Gregor Krumpholz, Nina Schmedding  11.11.2025