Meinung

Nicht ohne meine Klimaanlage!

Foto: picture alliance / Newscom

Meinung

Nicht ohne meine Klimaanlage!

Warum sich Deutschland im Sommer an Israel ein Beispiel nehmen sollte

von David Harnasch  02.07.2025 09:16 Uhr Aktualisiert

Ich war Dutzende Male in Israel, doch noch nie im Juli oder August. In diesen beiden Monaten ist die Hitze in Israel unerträglich, was hauptsächlich an der Luftfeuchtigkeit liegt. Während ich dies schreibe, herrschen in Tel Aviv an sich angenehme 31 Grad – aber bei 60 Prozent Luftfeuchtigkeit ist das Folter.

Nun erlebt auch Deutschland einen außergewöhnlich trockenen und ziemlich heißen Sommer, und ausgerechnet jetzt hat eine israelische Freundin, die als Musikerin in Leipzig lebt, beschlossen, der deutschen Hitze in die israelische zu entfliehen. Ihre Antwort auf meine Frage, wieso sie ausgerechnet jetzt fliegen muss, hatte genau zwei Buchstaben: »AC«.

Standard Klimaanlagen – sie sind in Israel selbstverständliche Standardausstattung jeder Wohnung, jedes Geschäfts, jedes Einkaufszentrums und natürlich jeden Busses und Autos. In Deutschland sind Klimaanlagen hingegen eher selten zu finden.

In Israel sind Klimaanlagen selbstverständliche Standardausstattung.

Und das liegt nicht am Geld: Bereist man vergleichsweise arme Länder wie Portugal oder Ungarn, sieht man die Konverter der Klimaanlagen außen an noch den scheußlichsten Plattenbauten in den fiesesten Gegenden. Es handelt sich vielmehr um einen spezifisch deutschen Aberglauben, nach dem Zugluft und deren Steigerungsform, die trockene Klimaanlagenzugluft, krankheitserregend seien. (Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass auch in Südkorea an den »Ventilatortod« geglaubt wird.)

Einerseits ist es lustig zu beobachten, dass dieselben Menschen, die fest davon überzeugt sind, eine Klimaanlage hätte zu Hause negative Auswirkungen auf ihre Gesundheit, niemals einen Neuwagen ohne Klimaanlage kaufen würden und sich gehörig aufregen, wenn sie im ICE ausfällt. Dass man sich in einem bewegten Hohlraum befindet, scheint also das AC-bedingte Krankheitsrisiko magisch zu minimieren. Gar nicht lustig hingegen ist die Tatsache, dass aufgrund dieses Aberglaubens bei jeder Hitzewelle in Deutschland völlig vermeidbar alte und kranke Menschen sterben, weil ihnen – aus reiner Fürsorge und Fehlinformiertheit – Ventilatoren und Klimaanlagen vorenthalten werden.

Liebe Deutsche, bitte zuhören: Eine der wichtigsten Erfindungen des 20. Jahrhunderts sind Klimaanlagen!

Exzess In Israel tendiert man zum gegenteiligen Exzess. Hier werden Gesundheitsschäden nur dadurch verhindert, dass handelsübliche Klimaanlagen keine Einstellung unter 17 Grad anbieten. Man muss davon ausgehen, dass sonst flächendeckend mit derselben Selbstverständlichkeit minus 17 Grad gewählt und massenhaft Leute in Shopping Malls erfrieren würden.

Da wir in Deutschland von dieser Gefahr weit entfernt sind, es aber aufgrund des Klimawandels immer mehr immer wärmere Sommer geben wird, sollten wir auf Lee Kuan Yew hören. Der Gründer des stets feucht-heißen Stadtstaates Singapur wurde zusammen mit anderen Größen des 20. Jahrhunderts vom Wall Street Journal 1999 nach der wichtigsten Erfindung des Jahrtausends gefragt.

Für ihn war das weder der Buchdruck, noch die Elektrizität, der Verbrennungsmotor oder das Internet – es ist die Klimaanlage!

Auszeichnung

Die Frau mit den Blumen

Zwei Jahre lang ging Karoline Preisler auf anti-israelische Demonstrationen, um auf das Schicksal der Geiseln aufmerksam zu machen. Jetzt erhält sie den Paul-Spiegel-Preis des Zentralrats der Juden

von Michael Thaidigsmann  30.10.2025

Nachruf

Gestalter mit Weitblick

Für Jacques Marx war die Gemeindearbeit eine Lebensaufgabe. Eine persönliche Erinnerung an den langjährigen ehemaligen Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Duisburg-Mülheim/Ruhr-Oberhausen

von Michael Rubinstein  30.10.2025

Ehrung

Demokratiepreis für Graphic Novel über Schoa-Überlebende

Die Schoa-Überlebenden Emmie Arbel gewährte Zeichnerin Barbara Yelin vier Jahre lang Einblicke in ihr Leben

 30.10.2025

Interview

»Wir hatten keine Verwandten«

Erst seit einigen Jahren spricht sie über ihre jüdischen Wurzeln: Bildungsministerin Karin Prien erzählt, warum ihre Mutter davon abriet und wann sie ihre eigene Familiengeschichte erst begriff

von Julia Kilian  30.10.2025

Wittenberg

Judaistin kuratiert Bildungsort zur Schmähplastik

Die Darstellung der sogenannten »Judensau« an der Wittenberger Stadtkirche, der früheren Predigtkirche des Reformators Martin Luther (1483-1546), gehört in Deutschland zu den bekanntesten antisemitischen Darstellungen des Mittelalters

 29.10.2025

Schwielowsee

Shlomo Afanasev ist erster orthodoxer Militärrabbiner für Berlin und Brandenburg

Militärrabbiner gibt es bereits in Deutschland. Nun steigt der erste orthodoxe Rabbiner bei der Bundeswehr in Brandenburg ein

 29.10.2025

Essay

Vorsichtig nach vorn blicken?

Zwei Jahre lang fühlte sich unsere Autorin, als lebte sie in einem Vakuum. Nun fragt sie sich, wie eine Annäherung an Menschen gelingen kann, die ihr fremd geworden sind

von Shelly Meyer  26.10.2025

Stuttgart

Whisky, Workshop, Wirklichkeit

In wenigen Tagen beginnen in der baden-württembergischen Landeshauptstadt die Jüdischen Kulturwochen. Das Programm soll vor allem junge Menschen ansprechen

von Anja Bochtler  26.10.2025

Porträt

Doppeltes Zuhause

Sören Simonsohn hat Alija gemacht – ist aber nach wie vor Basketballtrainer in Berlin

von Matthias Messmer  26.10.2025