München

Neues Miteinander

Die feierliche Eröffnung der »Synagoge Beth Shalom« im Münchner Stadtteil Sendling hatte etwas Beschwörendes, einen »Zauber«. Draußen im Treppenhaus riecht es nach frischer Farbe und nassem Putz. Die liberale Gemeinde Beth Shalom ist in einen Zweckbau eingezogen, nur wenige S-Bahnminuten vom Stadtzentrum entfernt. Parkplätze gibt es genügend.

Hier lässt es sich leben, lässt es sich aber auch neben dem ganzen Gemeindebetrieb trefflich weiterarbeiten an einem Traum, und der heißt »Libeskind-Synagoge«, ein Bethaus im Zentrum der Stadt. Es schwebte über allem am feierlichen Sonntagnachmittag, und wer die neue Synagoge betrachten wollte, konnte das im Kleinen tun. Auf einem Tisch stand sie als Modell, neben den Entwürfen von Daniel Libeskind, dem Stararchitekten aus New York, und alle waren sich einig.

Gegengewicht Seit 1995 gibt es die Gemeinde Beth Shalom. Eine Handvoll engagierter, amerikanisch-jüdischer Familien fühlte sich nicht heimisch in der orthodox geprägten Einheitsgemeinde, wünschte sich ein liberales Gegengewicht. Eine Unterkunft zu finden, in Zuhause für die Torarollen, von Anfang an war das nicht leicht.

Beth Shalom vagabundierte durch München, bis man 2003 zum ersten Mal eigene Räume bezog, im »Schlachthofviertel«. Seit Herbst 2006 wird die Gemeinde von einem fest angestellten Rabbiner, Tom Kucera, geführt, einem der ersten Rabbiner, die nach der Schoa in Deutschland ordiniert wurden.

Und dann brannte es. In der Nacht vom 24. auf den 25. September 2010. Es brannte, und das Stockwerk über der Synagoge wurde unbewohnbar. Ein »elektrischer Schaden« hatte das erste feste Zuhause von Beth Shalom zerstört. »Das war schlimm«, erzählt Jan Mühlstein, erster Vorsitzender der Gemeinde.

Zwölf Jahre stand er der Union Progressiver Juden in Deutschland vor. »Es war schlimm, aber wir hätten uns sowieso nach neuen Räumen umsehen müssen. Uns wurde es zu eng.« Beth Shalom wächst, hat gut 300 Mitglieder aus etwa 15 Ursprungsländern. »Wir werden mehr aus eigener Kraft«, freut sich Jan Mühlstein und meint damit die vielen Kinder in der Gemeinde.

Neben 20 weiteren liberalen Gemeinden in Deutschland knüpft Beth Shalom an die liberale Tradition der deutschen Vorkriegszeit an, will eine Verbindung schaffen zwischen jüdischer Tradition und Moderne.

Anteilnahme Etwa 160 Gäste sind in die neuen Räumlichkeiten geladen. Man hat ja Platz. Mit dem Einzug der Torarollen zieht auch die Feierlichkeit ein. Ralph Selig, Musikprofessor aus New York und zurzeit Gastdozent am Abraham-Geiger-Kolleg, sowie Amnon Seelig, Kantorenstudent, ebenfalls aus Berlin angereist, machen der liberalen deutschen Kantorentradition alle Ehre. Mehr noch, sie machen Lust aufs Mitsingen.

In der ersten Reihe sitzen die, die wichtig sind für die kleine Gemeinde und die sie wichtig nehmen. Und dort sitzt auch Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München. Israels Generalkonsul Tibor Shalev Schlosser ist da.

Aus dem Nebenraum duften die vorbereiteten Speisen. »Wir sind Realisten, also glauben wir an Wunder«, wandelt Jan Mühlstein Ben-Gurions Hoffnungssatz ab. Er erinnert an das »staunende Unverständnis«, das man einst IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch entgegengebracht hatte: ein repräsentatives Gebäude für die jüdische Gemeinde und das auch noch mitten in der Stadt?

Nach 20 Jahren stand es. »Wir hoffen«, sagt Mühlstein, »dass wir schneller sind«, und witzelt: »Immerhin haben wir es vom Souterrain in den ersten Stock geschafft.« Beth Shalom demonstriert an diesem Nachmittag Zufriedenheit über das Erreichte, beste Laune und Zuversicht. Man spricht aus, was einmal und immer wieder gesagt werden muss, vor allem bei dieser ersten Reihe.

Heiner Olmer, Vizepräsident des Landesverbandes der IKG in Bayern, der Präsident Josef Schuster vertritt, wünscht sich Pluralität in jeder Gemeinde. Rabbiner Kucera erinnert daran, dass er zu den wenigen Rabbinern in Deutschland zählt, die zwar fest angestellt sind, deren Gemeinden aber noch immer »keinen Platz im Landesverband gefunden haben«.

Unterstützung Bürgermeisterin Christine Strobl verspricht: »Wir werden versuchen, das, was wir beitragen können, beizutragen« und meint natürlich die »Libeskind-Synagoge«. Das Grundstück im Lehel, dort, wo die Traumsynagoge einmal stehen soll, gehört nämlich der Stadt. Die Bürgermeisterin sagt einen »langen Weg« voraus. Viele nicken, zumindest innerlich.

Leslie Bergman, Präsident der European Union for Progressive Judaism, der Beth Shalom als Mitglied angehört, weiß natürlich auch, worum es hier geht. »Wir als internationale Organisation werden das unterstützen«, eine internationale Organisation mit einigem Ansehen, möchte man meinen, die nächste Woche einen Termin in Washington bei Präsident Obama hat.

Viel erfahrener mit dem Thema »Wie baue ich in München eine Synagoge?« ist Charlotte Knobloch. Die große Gemeinde und die kleine mit dem großen Selbstbewusstsein. Das ist eine eigene Geschichte. Auf das, was die IKG-Präsidentin jetzt sagte, haben alle, ob sie es zugeben oder nicht, gewartet. Sie erlag dem Zauber, gab dem starken Wunsch Ausdruck, etwas miteinander, nicht gegeneinander zu schaffen.

»Wir sind auf einem guten Weg, Herr Mühlstein, gehen wir diesen Weg gemeinsam.« Aus dem »jahrelangen Nebeneinander« sei »ein Miteinander beider jüdischer Gemeinden« geworden. Und während so mancher noch darüber nachsinnt, was aus solchen Sätzen voller überraschender Nähe alles werden kann, sagt Charlotte Knobloch noch: »Sagen Sie, was Sie brauchen oder gerne hätten.« Im Übrigen besteht die Möglichkeit, sowohl Mitglied der Israelitischen Kultusgemeinde München als auch Mitglied von Beth Shalom zu sein.

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