Berlin

Musik und Performance

Die Jugendlichen wirkten entspannt. Sollte der eine oder die andere aufgeregt gewesen sein, wussten sie es zumindest zu kaschieren. Am Mittwochabend vergangener Woche stellten 55 Jugendliche aus Israel, der Ukraine und Deutschland vor, woran sie in den vergangenen zehn Tagen intensiv gearbeitet hatten. Das »Solidaritätsfest« war der letzte Abend eines zehntägigen Sommercamps für jüdische Jugendliche, organisiert von der Jugendbildungsstätte »Jewish ArtEck« in Berlin. Dort konnten sie sich in verschiedenen Workshops ganz nach Belieben mit Musik, Theater, Bildender Kunst, Medien oder Tanz beschäftigen; und das mittlerweile zum 19. Mal.

Seit 2006 öffnet die Bildungsstätte ihre Türen für jüdische Jugendliche im Alter von zwölf bis 16 Jahren. Viele von ihnen kommen regelmäßig wieder. Die meisten lernen sich hier erst kennen. »Es sind so viele talentierte Leute auf der Bühne«, strahlte eine junge Lübeckerin stolz. »Und ich bin so glücklich, dass ich die habe kennenlernen dürfen.« Für die nächsten Jahre wünsche sie sich »sogar noch mehr talentierte junge Teilnehmer«.

Israelis, Deutsche, Russen und Ukrainer

Am Austausch waren in der Vergangenheit vor allem junge Israelis, Deutsche, Russen und Ukrainer beteiligt. Seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine vor zwei Jahren gibt es allerdings keine russischen Teilnehmer mehr, und die Ukrainer sind Geflüchtete, die mittlerweile in Deutschland leben.

Kultur, Tradition und Geschichte des jüdischen Volkes sollen über die Kunst erzählt werden.

»Es ist nicht einfach Kunst der Kunst wegen«, erklärt Ella Nilova, Direktorin der Bildungsstätte, im Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen. Mit Kunst habe man die Möglichkeit, etwas Neues zu erfahren und eigene Emotionen auszudrücken. Weil sich Ausdrucksformen weiterentwickeln, gab es in diesem Jahr neben den klassischen auch Projekte, in denen mit Virtual Reality gearbeitet wurde. Die Jugendlichen wurden dabei unterstützt von einem Team professioneller Künstler aus Israel.

Das Ferienlager fand wie in jedem Jahr unter einem bestimmten Motto statt: Finde deinen Weg! »Das ist ein Befehl, den Gott an Abraham gegeben hat«, so Nilova. Abraham habe diesen erhört und sein Volk ins heutige Israel geführt. »An diesem Punkt begann unsere Geschichte beziehungsweise die des Staates Israel.«

Die Jugendlichen beschäftigten sich mit Geschichten diverser Künstler, die nach Israel emigrierten, wie zum Beispiel Marc Lavry. Der berühmte Komponist und Dirigent wurde 1903 in Riga geboren und studierte in Deutschland an einer Musikakademie. 1933 floh er vor den Deutschen und kehrte erst einmal an seinen Geburtsort zurück. Als der Antisemitismus auch in Lettland stärker wurde, emigrierte er mit seiner Frau ins heutige Israel, wo er maßgeblich an der mediterranen Schule der Komposition beteiligt war, die Elemente der orientalischen jüdischen und arabischen Musik mit moderner europäischer klassischer Musik verband.

Forschen und kuratieren

Die Jugendlichen lernten nicht nur die Geschichten dieser Persönlichkeiten kennen, sondern sie forschten selbst und kuratierten eigene Ausstellungen. Im Rahmen dessen suchten sie sich eigene Persönlichkeiten heraus, beschäftigten sich mit deren Schicksalen und stellten sie den anderen Gruppen vor. Jewish Art­Eck will den Teilnehmern auf diese Weise Kultur, Tradition und Geschichte des jüdischen Volkes näherbringen und die Bildung einer jüdischen Identität bei den Heranwachsenden fördern.

Das Motto zog sich durch den gesamten Abend. Mehrere Darbietungen der Jugendlichen griffen es auf. Als Requisiten kamen immer wieder Koffer und Umzugskartons zum Einsatz. Das Virtual-Reality-Projekt etwa hatte fast etwas Bedrohliches, aus dem man seinen Weg herausfinden musste.

Zu Beginn war ein Davidstern zu sehen, der von mehreren kleinen Bränden umgeben zu sein schien. Die Farbgebung insgesamt war eher dunkel. Es wirkte wie eine Reise. Allmählich wurden die Farben kräftiger und heller, und die Bedrohung war offenbar gebannt.

In einem Tanzstück versuchte zuerst eine Darstellerin, eine schwere Last zu heben. Eine Tänzerin nach der anderen kam hinzu, um zu helfen, bis sie schließlich genug waren, um gemeinsam die Last heben zu können; ein Zeichen der Gemeinschaft und der gegenseitigen Unterstützung.

Gemeinschaftsgefühl und Sozial­atmosphäre

Nilova erzählt, dass einer der israelischen Gruppenleiter in einem Kibbuz lebe und nicht einfach nur Musik, sondern auch das Gemeinschaftsgefühl und die Sozial­atmosphäre vermitteln wolle, wie sie in einem Kibbuz üblich seien. Dieses Gemeinschaftsgefühl zeigte sich auch an anderer Stelle. Ein junger Tänzer wirkte unsicher, schien hin und wieder den nächsten Schritt vergessen zu haben. Für seine Mittänzer kein Problem: Sie gaben ihm kleinere Hinweise.

Ein paar Tage vor dem Abschlussabend gedachten die Jugendlichen bei einer Gedenkzeremonie gemeinsam der Opfer der Schoa sowie des 7. Oktober. Für Letztere entwickelten sie im Laufe des Sommercamps eigens eine Ausstellung. Auf einem leeren Tisch wurden die Geschichten der Opfer und der Geiseln der Hamas sowie von deren Angehörigen erzählt.

Der 7. Oktober hatte einen Einfluss auf das Jugendlager.

Der 7. Oktober hatte einen Einfluss auf das Jugendlager. Es sei üblich, dass zu Beginn die Polizei informiert werde, so Nilova. Eher provisorisch schaue sie »ab und zu« vorbei und vermittle, dass alles in Ordnung sei. Nicht so in diesem Jahr: Als sie das Ferienlager im Dezember bei der lokalen Polizei hatte anmelden wollen, habe man ihr gesagt, dass die Polizei es zwar kontrollieren werde, ihr aber empfohlen, zusätzlich eine Sicherheitsfirma zu engagieren.

Zum ersten Mal seit 2006 mussten somit Sicherheitsleute rund um die Uhr präsent sein. »Unsere Veranstaltungen waren immer offen«, sagte Nilova traurig. Plötzlich habe man den Ort der Abschlussveranstaltung erst nach der Anmeldung mitteilen und nicht wie sonst üblich über die Aktivitäten der Jugendlichen in den sozialen Medien berichten können.

Die Jugendlichen ließen sich davon jedoch nicht verunsichern. Am Ende des Abends erhoben sich alle Teilnehmer und Gäste von ihren Stühlen. Kleine Israelfähnchen gingen durch die Reihen. Und zum Abschluss sangen sie gemeinsam die israelische Nationalhymne. Ganz selbstbewusst und getreu dem Motto: »Wir lassen uns nicht unterkriegen.«

Jom Haschoa

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