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Berlin

Mitten in Neukölln

Tel Aviv, Ya Habibi, Tel Aviv» – Tel Aviv, meine Liebe! Mit diesem fröhlichen, rhythmuslastigen Lied des israelischen Mizrahi-Pop-Sängers Omar Adam von 2013 veranschaulichte Sigmount A. Königsberg, Beauftragter der Jüdischen Gemeinde zu Berlin für die Bekämpfung des Antisemitismus, worum es den Teilnehmern der Kundgebung ging. «Dieses Lied hat Menschen provoziert», erläuterte Königsberg bei seiner Rede vor dem Rathaus Neukölln. «Es kam zu Übergriffen, weil junge jüdische Menschen es auf ihrer Radiobox gespielt haben.»

Wenn Menschen in Prenzlauer Berg eine Kippa tragen, in Friedrichshain Hebräisch sprechen oder in Neukölln eine Davidstern-Kette um den Hals haben, werde das immer wieder als Provokation gewertet, so Königsberg. Das erinnere ihn an die Rechtfertigung von Vergewaltigungen, weil die Frauen angeblich die falsche Kleidung getragen hätten.

Zusammenschluss Um gegen derartige Wahrnehmungen jüdischen Lebens zu protestieren, versammelten sich am vergangenen Sonntag zahlreiche Menschen auf dem Platz vor dem Rathaus Neukölln. Die Veranstalter zählten etwa 350 bis 400 Teilnehmer, ehe sich die Reihen nach eineinhalb Stunden wegen Starkregens und Gewitter merklich lichteten.

Aufgerufen zu der Kundgebung hatte das neu gegründete Bündnis gegen Antisemitismus Neukölln, ein Zusammenschluss aus Vertretern des Jungen Forums der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG), der Jüdischen Studierendenunion Deutschland (JSUD), dem Mideast Freedom Forum Berlin und der Gruppe «Ehrlos statt wehrlos».

Kurdische und iranische Exilgruppen erklärten sich solidarisch.

Das Bündnis wollte mit der Veranstaltung die Stimme gegen Antisemitismus dort erheben, «wo er uns alltäglich begegnet», hieß es im Aufruf. Die DIG, das Jüdische Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus sowie andere jüdische Organisationen unterstützten die Kundgebung. Auch kurdische und iranische Exilgruppen erklärten sich solidarisch.

normalität Der Bezirksbürgermeister von Neukölln, Martin Hikel, sagte, bisher sei jüdisches Leben in seinem Bezirk nicht ausreichend sichtbar gewesen. «Ich bin fest davon überzeugt, dass der Kampf gegen Antisemitismus immer ein Kampf für Demokratie ist», sagte der SPD-Politiker. Es dürfe nicht als Normalität gelten, dass Menschen mit Kippa oder Davidstern Angst vor Übergriffen haben müssen.

Offener Antisemitismus sei weder in Neukölln noch irgendwo anders in Berlin zu tolerieren. Der Antisemitismus zeige sich zwar auch immer noch in seinem traditionellen Muster. Immer öfter trete er aber auch in Gestalt des Israelhasses, der Dämonisierung und Delegitimierung des Staates Israel auf. Das dürfe man nicht akzeptieren, so Hikel.

Insgesamt ein gutes Dutzend Ansprachen gab es, dazu Grußworte unter anderem von den Bundestagsabgeordneten Petra Pau (Die Linke) und Fritz Felgentreu (SPD). Das Bündnis gegen Antisemitismus Neukölln forderte mit der Kundgebung, dass jeglicher Antisemitismus als Hassverbrechen bestraft und Veranstaltungen, die Judenhass in Deutschland fördern, gestoppt werden müssten. Außerdem sollten jährlich zusätzlich 25 Millionen Euro aus dem Bundeshaushalt fließen, um Antisemitismus zu bekämpfen.

schlagzeilen Der Berliner Bezirk Neukölln mit seinen rund 330.000 Einwohnern war zuletzt mehrfach wegen antisemitischer Vorfälle in die Schlagzeilen geraten. Im Mai war es am Rande einer israelfeindlichen Kundgebung auch zu Beleidigungen und Drohungen gegen Juden gekommen.

Am Samstag hatten mehrere Tausend Menschen an einem Demonstrationszug mit dem Titel «Internationalist Queer Pride for Liberation» vom Neuköllner Hermannplatz nach Kreuzberg teilgenommen. Aufgerufen hatten mehrere teils einschlägig bekannte Gruppen wie «BDS Berlin» und «Palestine Speaks». Wie Jörg Reichel, der Landesgeschäftsführer der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union, auf Twitter berichtete, beschimpften Teilnehmer Medienvertreter als «Zionistenpresse» und wiegelten auf Englisch auf: «Seid vorsichtig, das sind Zionisten.»

Der Bezirk sorgt oft mit antisemitischen Vorfällen für Schlagzeilen.

Ein Ordner habe Ansagen per Megafon direkt in das Ohr von Journalisten geschrien. Die Polizei teilte später mit, ein 42 Jahre alter Ordner sei mehrfach vergeblich von der Polizei aufgefordert worden, dieses Verhalten zu unterlassen. Deswegen sei er vorläufig festgenommen worden. Das Jüdische Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus berichtete auf Twitter von einer auffällig starken Fokussierung auf Israel bei der Demons­tration. Immer wieder sei «das Narrativ einer angeblichen israelischen Apartheid verbreitet» und der Slogan «Free Palestine – From the River to the Sea» skandiert worden, der indirekt zur Auslöschung Israels aufruft.

Festnahmen Auch von der Kundgebung am Sonntag fühlten sich wiederum Menschen provoziert. Die Berliner Polizei teilte am Montag mit, sie habe am Rande der Demonstration zwei Männer wegen Volksverhetzung vorübergehend festgenommen. Beide hätten antisemitische Parolen gerufen. Jonathan Guggenberger, ein Sprecher des Bündnisses gegen Antisemitismus Neukölln, sprach gegenüber der Jüdischen Allgemeinen von insgesamt vier Anzeigen wegen Volksverhetzung.

Er kritisierte, die Polizei habe sich zunächst gegen eine Erfassung des antisemitischen Inhalts der Rufe gesperrt. «Erst auf Drängen des Sicherheitspersonals wurden antisemitische Straftaten aufgenommen und als solche im Protokoll vermerkt.» Die Polizei habe die Ordner gerügt, «zu viel Einsatz zu zeigen» und dadurch zum Aufwiegeln der Situation beitragen zu wollen, monierte Guggenberger.

Insgesamt sei er aber mit dem Verlauf der Kundgebung «recht zufrieden». Er hoffe nun auf «tatsächliche Veränderungen hier im Bezirk, aber natürlich auch darüber hinaus», sagte Guggenberger.

Jom Haschoa

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