Neukölln

Liebeserklärung auf Jiddisch

Moderne Klezmer-Musik: Sängerin Sasha Lurje stammt aus Lettland. Foto: Stephan Pramme

Neukölln

Liebeserklärung auf Jiddisch

Die Sängerin Sasha Lurje lebt in Berlin und mischt Klezmer mit Rock

von Jonathan Scheiner  24.08.2015 19:23 Uhr

Es gibt Momente auf der Bühne, da scheint Sasha Lurje nur noch aus Haaren zu bestehen. Dann ähnelt sie einem Beter, der Kopf und Oberkörper vollständig mit einem Schal verhüllt hat. Dann vergisst man für einen Augenblick, dass es sich bei dieser jungen Frau mit der üppigen Frisur um eine der ausdrucksstärksten Sängerinnen jiddischer Lieder handelt.

Lurje, die gerade 30 Jahre alt geworden ist, singt, seit sie drei ist. Aber zur jiddischen Musik kam sie erst viel später. Mittlerweile ist sie zu einem festen Bestandteil der internationalen Klezmerszene geworden: Sasha Lurje ist Frontfrau ihrer Band Forshpil, leitet Seminare beim Yiddish Summer in Weimar und tritt weltweit bei Klezmerfestivals auf. Zwischendrin findet sie auch noch Zeit für einen Workshop am Institut Européen des Musiques Juives in Paris, um mit der Geigerin Eléonore Biezunski zusammen zu spielen. Das habe sie schon immer machen wollen – jetzt habe es endlich geklappt, sagt sie.

wurzeln Sasha Lurje stammt aus Riga. Dort hat sie mit ukrainischen und russischen Liedern angefangen. Eine Freundin nahm sie irgendwann mit ins Jüdische Theater, wo Lurje bald darauf als Sängerin debütierte. »Ich habe diese Musik immer schön gefunden«, erinnert sich die junge Frau. »Ich konnte von Anfang an eine Verbindung mit ihr fühlen – und dann wollte ich mehr dazu wissen.«

Die Chance dazu ergab sich 2003, als Sasha Lurje von der Rigaer Geigerin Inna Raykhman gefragt wurde, ob sie nicht gemeinsam mit ihr und dem Keyboarder Ilya Shneyveys eine Klezmerband gründen wolle: die Geburtsstunde der Band Forshpil, mit der sie jiddischen Psychedelic-Rock spielt.

»Wir sind mehr und mehr auf die verschiedenen Festivals gefahren, aber irgendwie kamen wir auch Berlin immer näher«, beschreibt Lurje ihre Annäherung an die deutsche Hauptstadt. »In Berlin gab es immer eine Menge Freunde und Kollegen, mit denen wir viel Spaß hatten – das hat uns 2006 schließlich hergebracht.«

Doch die Übersiedelung nach Berlin zog sich über einen längeren Zeitraum hin, zumal Sasha Lurje in ihrer Heimatstadt noch bis 2011 »so etwas wie Kulturwissenschaft und kognitive Lingustik« studierte. Sie habe schon immer Musik gemacht, begründet die Sängerin ihre Studienwahl: »Ich habe die Abendmusikschule in Riga besucht und dort Jazz und klassischen Gesang studiert. Als Kind habe ich im Chor und in Ensembles gesungen. Und ich habe unterschiedliche Instrumente studiert, wobei ich diese fast nie spiele, außer für mich selbst.« Keine Notwendigkeit also für ein weiteres Studium.

stil Ihre Band Forshpil hat sich im Laufe der Jahre verändert: Die Geigerin hat die Band verlassen, und auch das Repertoire ist ein anderes. Im Laufe der Zeit seien dann weitere Einflüsse hinzugekommen, die jedoch mit jüdischer Musik nichts zu tun haben, etwa von den Rockbands The Doors oder Pink Floyd.

»Mit Forshpil stellen wir uns vor, wie jiddische Musik klingen würde, wenn sie von einer Rockband beeinflusst wäre«, sagt Lurje, »oder wenn sie damals im Schtetl Strom für elektrische Instrumente gehabt hätten – damals spielten sie Klarinette und Geige, heute spielen wir E-Gitarre.« So handelt es sich bei den zehn Songs des Debütalbums zwar noch immer um traditionelle jiddische Lieder, doch die werden in einen zeitgenössischen Sound verpackt.

Jiddisch kennt Sasha Lurje noch aus Kindertagen, denn es war die Muttersprache ihres Großvaters. »Ich habe nicht das Gefühl, dass es sich bei Jiddisch um etwas Altes handelt«, meint sie. »Denn was wir bei Forshpil machen, ist nicht alt, sondern findet im Jetzt statt.« Die meisten alten jiddischen Balladen seien Liebeslieder – und somit zeitlos und universell.

»Auch wenn die Menschen verschiedene Sprachen sprechen oder in unterschiedlichen Ländern leben – unsere Gefühle sind doch die gleichen: Wir wollen glücklich sein, eine Familie, gute Arbeit und Erfolg haben. Liebe ist Liebe. Das ist in allen Kulturen dasselbe.«

impulse Ein entscheidender Impuls im Leben von Sasha Lurje ging 2006 vom Yiddish Summer in Weimar aus, weil ihr dort ein bis dahin unbekannter Zugang zur jiddischen Musik eröffnet wurde. »Jeder einzelne Künstler dort ist eine unerschöpfliche Inspirationsquelle«, sagt sie begeistert.

»Wenn diese Musiker auch noch zusammenarbeiten, bringen sie das Beste aus allem hervor – diese Zusammenarbeit hilft, die jiddische Kultur und Musik auf eine höhere Ebene zu heben«, schwärmt die Sängerin noch heute über ihr Aufeinandertreffen mit der Weimarer Szene.

Doch Sasha Lurje ist nach ihrem Weimardebüt nicht etwa in die Goethestadt, sondern nach Berlin gezogen. »Berlin ist eine sehr interessante Stadt. Es gibt so viele Kulturen hier – es passiert viel, und ist doch ganz entspannt«, schwärmt die Klezmermusikerin von ihrer Wahlheimat. Ein paar der Bandmitglieder von Forshpil haben ihren Lebensmittelpunkt zwar nach wie vor in St. Petersburg und Riga, doch die übrigen leben in Berlin oder pendeln.

Für Sasha Lurje war die Festlegung auf Berlin vor allem deshalb entscheidend, weil in dieser Stadt einige der Projekte entstanden, mit denen die Sängerin inzwischen auftritt, etwa mit der Berliner Band mit dem etwas kuriosen Titel »You should know from it: It’s Klezmer!« Berlintypisch ist auch das Studio R am Maxim-Gorki-Theater, wo die neuesten Trends der Klezmerszene präsentiert werden.

Dazu zählt auch der Initiator der Reihe, Daniel Kahn – gemeinsam mit ihm präsentiert Sasha Lurje wilde, vielsprachige Liebeslieder. Selbst die Band Semer Label Reloaded um Alan Bern, den Gründer des Yiddish Summer Weimar, ist eigentlich eine Berliner Band, weil die meisten der acht Musiker in Berlin leben.

stadt Schließlich war ja auch das Semer-Label eine Berliner Institution: ein Plattenverlag, unter dessen Fittichen noch bis 1937 jüdische Musik aller Genres publiziert wurde – eine vergessene Welt, die nun die Allstar-Band Semer Label Reloaded wieder ans Tageslicht befördert.

»Das Semer-Label ist das letzte Porträt jüdischen Lebens in Berlin vor dem Zweiten Weltkrieg«, begründet Lurje ihre Berlin-Faszination. »Diese Aufnahmen stammen aus der Zeit vor dem Holocaust – man kann diese unglaublich bunte Kultur sehen, alle möglichen Sprachen und Musikstile.« Und irgendwie spüre sie »eine Verbindung zum heutigen Berlin«.

Kein Wunder also, dass Sasha Lurje Berlin liebt. Diese Vielvölkerstadt ist seit der Wende in einem Maße kosmopolitisch geworden, wie sie es vor dem Krieg einmal gewesen ist. Wenn Sasha Lurje von ihrem neuen Zuhause spricht, klingt es wie eine Liebeserklärung: »Wenn ich in Berlin-Neukölln, wo ich wohne, durch die Straßen gehe, kann ich alle möglichen Sprachen hören – das ist so schön.«

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