Frankfurt am Main

Licht im Dunkeln

Hier versteckt sich niemand. Mit einem knallroten Doppeldeckerbus fahren die Makkabäer auf dem Römerberg ein. Sie singen »Am Israel Chai« und halten die blau-weiße Fahne des jüdischen Staates aus dem Fenster. Einige Passanten bleiben erstaunt stehen. Drei junge Frauen rufen »Free Palestine«, eine zeigt den Mittelfinger. Englische Kneipengänger grölen Fußballlieder, deren Texte unverständlich bleiben. Eine solche Szene dürfte es in Frankfurt am Main so wohl noch nicht gegeben haben.

Die etwa 100 Athletinnen und Athleten von Makkabi Deutschland, dem jüdischen Sportdachverband, sind gekommen, um mitten auf dem zentralsten Platz der Mainmetropole Hawdala zu feiern. Trotz starken Regens. Sie tragen schwarze Hosen, gelbe T-Shirts, rote Pullover um die Hüften gelegt – die Farben des Landes, das sie seit Dienstag bei den European Maccabi Youth Games in London repräsentieren. Neben der israelischen Flagge haben sie daher auch den Union Jack dabei. Bunter geht nicht.

Die Gruppe formt einen Kreis

Es ist noch etwas Zeit, bis Rabbiner Avichai Apel kommt. Genug Gelegenheit, Fotos und Videos für die Social-Media-Kanäle von Makkabi zu machen. Also gehen alle Makkabäer mit ihren Fahnen auf die Treppe des Frankfurter Rathauses, des Römers. Alon Meyer, Präsident von Makkabi Deutschland, erklärt, was zu tun ist. Seine letzte Anweisung: »Und dann rasten alle aus!« Gesagt, getan. Video im Kasten. Wenn es um die Lautstärke geht, lässt man sich bei Makkabi nicht lumpen.

Die Gruppe formt den für eine Hawdala typischen Kreis. In der Mitte der Tisch mit Kerzen und Wein. Neben den Sportlerinnen und Sportlern sind auch viele Gäste aus Politik und Gesellschaft dabei. Der Rabbi ist auf dem Weg.

Der Davidstern wird zunehmend zu einem Sicherheitsrisiko für seine Träger.

»Diese lächerlichen paar Regentropfen machen uns nichts aus«, sagt Meyer in ein Mikrofon, während das Wasser den Anwesenden von Schirmen, Mützen und Jacken fließt. Der Makkabi-Präsident erinnert an die allererste deutsche Teilnahme an einer Makkabiade, dem alle vier Jahre in Israel stattfindenden globalen jüdischen Sportwettbewerb. Das war 1969. »In der Delegation war keiner bereit, die deutsche Fahne zu tragen«, erzählt Meyer. »Ich freue mich, dass sich das geändert hat, dass wir alle stolz sind, deutsche Juden zu sein und als Vertreter Deutschlands nach London zu fahren.« Die Makkabäer jubeln.

Sich mit Schwarz-Rot-Gold öffentlich zu zeigen, ist heute kein großes Problem mehr. Dagegen wird der Davidstern zunehmend zu einem Sicherheitsrisiko für seine Träger – mehr denn je seit dem Hamas-Massaker vom 7. Oktober 2023. »Eine Situation, die inakzeptabel ist«, findet Meyer. »Dagegen werden und müssen wir immer kämpfen.« Die Makkabäer jubeln noch lauter. »Es ist ein Glück«, so Meyer, »dass wir so viele Menschen haben, die uns unterstützen.«

Der Oberbürgermeister bringt ein Kissen mit

Einer dieser Unterstützer ist Mike Josef (SPD), Oberbürgermeister von Frankfurt. Er ist aus seinem warmen Büro hinunter in den Regen gekommen, um bei der besonderen Hawdala dabei zu sein. Mitgebracht hat er ein rot-weiß kariertes Kissen, auf das die Silhouette seiner Stadt gestickt ist. »Falls ihr mal müde seid und ausruhen müsst, dann könnt ihr das auf der Frankfurter Skyline machen.«

Er schaut in die Runde, in die Gesichter der Jugendlichen, die aus ganz Deutschland nach Frankfurt gekommen sind, um sich gemeinsam beim »Pre-Camp« auf die Spiele in London vorzubereiten. »Es ist ein schönes Bild an einem Samstag hier auf dem Römerberg«, sagt Josef. »Das ist ein klares Zeichen für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus.« Dass dieses Zeichen von Frankfurt ausgeht, mache ihn besonders stolz.

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Der Rabbi ist da. Avichai Apel spricht den Segen über Wein und Gewürze. Es ist eine kurze Zeremonie, deren Höhepunkt das Löschen der geflochtenen Hawdala-Kerze ist. Die neue Woche hat offiziell begonnen. Apel, Gemeinderabbiner in Frankfurt, ist sichtlich bewegt. »Die Selbstverständlichkeit, mit der wir hier feiern dürfen, ist einfach großartig für die Kinder«, sagt er. »Es ist ein Licht in der Dunkelheit.« Ein Licht, so Apel, das die jugendlichen Sportler in diesen Zeiten gut gebrauchen können.

Wie immer endet die Hawdala im kreisförmigen Schunkeln der Teilnehmenden. »Na nai na na nei nei«, singt man dazu. Das kann jeder. Für den richtigen Pegel sorgt Gregor Peskin. Der 19-jährige Schwimmer mit beeindruckender Stimme heizt den Makkabäern ein. »NA NAI NA NA …« Es geht immer noch ein bisschen lauter.

Als einen »richtig schönen, besonderen Moment« wird Peskin die Hawdala auf dem Römerberg später bezeichnen. »Wir haben gezeigt, dass wir uns nicht verstecken«, sagt der Vorsitzende der Makkabi Jugend. Er wird in London als Coach dabei sein. Dort treten nur Jugendliche im Alter von zwölf bis 18 Jahren an. Aus 18 europäischen Ländern werden 1000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer erwartet, 120 davon aus Deutschland.

Auf dem Römerberg ist noch nicht Schluss

Hannah Stolyar ist eine von ihnen. Beim großen Show-Laufen aller Delegationen in London ist die 16-jährige Berlinerin eine der zwei Fahnenträgerinnen von Makkabi Deutschland. »Für mich ist das eine große Ehre, aber auch eine Verantwortung«, sagt die Tischtennisspielerin. »Man repräsentiert nicht nur die ganze Delegation, sondern auch das Land, das hinter einem steht.«

Auf dem Römerberg ist noch nicht Schluss. Alon Meyer bittet weitere Unterstützer, ein paar Worte zu sagen. Der FDP-Bundestagsabgeordnete Thorsten Lieb ist selbst Vereinsmitglied und setzt sich in der Politik für die Interessen von Makkabi ein. »Das ist mir eine echte Herzensangelegenheit«, sagt er, »weil diese Organisation so tolle Arbeit macht.« Im Bundestag bekennt er buchstäblich Farbe. Beim letzten Trikottag, bei dem sich einmal im Jahr die Parlamentarier im Dress ihrer Lieblingsvereine zeigen, trug Lieb die blau-weiße Makkabi-Tracht.

Immer wieder fühlen sich Passanten offenkundig von der jüdischen Gruppe mit ihren Israelflaggen provoziert.

Uwe Becker (CDU) war im Rennen um das Oberbürgermeisteramt Frankfurt 2023 noch der unterlegene Konkurrent von Mike Josef. Doch an diesem Abend passt kein Blatt zwischen die beiden. »Unter dem stolzen Namen Makkabi Deutschland tragt ihr den Teamgeist, der Brücken baut zwischen Religionen und Kulturen, nach London«, sagt Becker, der der Antisemitismusbeauftragte des Landes Hessen ist. Umso wichtiger sei das »in einer Zeit, in der jüdisches Leben überall angefeindet wird«.

Der Preis für ein selbstbewusstes Judentum

Anfeindungen gibt es auch an diesem Abend. Immer wieder fühlen sich Passanten offenkundig von der jüdischen Gruppe mit ihren Israelflaggen provoziert. Zu den Rufen nach einem freien Palästina kommen auch wiederholt Beleidigungen.

»Das gehört dazu«, zuckt der 15-jährige Emil mit den Achseln. Ein kleiner Preis für das selbstbewusste Auftreten als Jude. Er lasse sich jedenfalls nicht einschüchtern. Sein Mitspieler in der U18-Fußballmannschaft, Jonathan, auch nicht. Und doch: »Ein bisschen gewundert habe ich mich schon, dass wir die Hawdala mitten auf dem Römerberg machen«, so der 16-Jährige aus Heidelberg. Zum Glück, sagt er, sei alles friedlich verlaufen. Dafür, dass das so blieb, sorgte nicht zuletzt die Präsenz der Polizei und eines Sicherheitsteams.

Der Abend ist schon fast zu Ende, da nähert sich eine ältere Frankfurterin der auffälligen Gruppe. Was hält sie davon, dass Juden hier öffentlich eine Zeremonie abhalten? »Is des a angemeldet?«, fragt sie zurück. Ihr wird versichert, dass alles seine Richtigkeit hat. »Na dann. Warum net?« Sie überlegt kurz und sagt dann: »In Frankfurt, do gibt’s alles.«

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