Neueröffnung

Leidenschaft für Quark

Manchmal entstehen die besten Ideen durch Mangel. Und durch den Wunsch, diesen zu beheben. Ausgelöst durch einen Heißhunger auf frischen koscheren Joghurt und Quark zum Beispiel. »Meine Mutter liebt Milchprodukte«, erzählt Tema Gruschow. Doch sie habe nichts gefunden, was ihr schmecke, denn bei der koscheren Milch, die man in Berlin bekomme, handele es sich um H-Milch, so die 21-jährige Jura-Studentin. Dadurch sei die Idee entstanden, frische koschere Milchprodukte selbst herzustellen.

Das Mutter-Tochter-Team begann, an verschiedenen Herstellungsmethoden für Quark und Joghurt in der heimischen Küche zu tüfteln. Geeignete Milchsäurebakterien mussten aus Israel importiert werden. Etliche Versuche später war ein stichfester Quark und ein trinkbarer Joghurt entstanden.

Alle paar Minuten schneien Gäste herein, kaufen kleine Kuchen und trinken einen Kaffee.

Nun galt es, eine Molkerei für die Produktion zu finden. Die Suche führte nach Flensburg. Mit von der Partie: Rabbi Yehuda Teichtal, Gründer und Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Chabad Berlin. »In Flensburg haben wir ein Familienunternehmen gefunden, das unsere Milchprodukte nach unseren Qualitätsstandards herstellt«, erzählt Elina Kardon. Die kleine Molkerei »Meyn Hof« mit rund 120 Kühen in artgerechter Haltung sei inzwischen ein fester Partner in ihrem Projekt.

Ein Schritt führte zum nächsten. Warum nicht ein koscheres Café mit frischen Milchprodukten in Berlin eröffnen, ein sogenanntes Dairy? »Alles, was wir zu Hause zubereiten, schmeckt total lecker, ist gesund und koscher, deshalb konnten wir uns so etwas vorstellen«, sagt Tema. Binnen eines Jahres stellte das Mutter-Tochter-Team neben einem Konzept für ein koscheres Café auch eine Produktpalette auf die Beine. Im Zentrum standen Milchspeisen.

»Jeden Tag lernen wir etwas Neues«, erklären beide

»Jeden Tag lernen wir etwas Neues«, erklären beide. Abläufe werden optimiert. Inzwischen werden die Quark-Joghurt-Produkte zweimal pro Woche nach Berlin geliefert, wo sie zunächst vom Rabbiner koscher zertifiziert werden müssen. Auch eine Kaffeerösterei in Rom wurde gefunden, ein eigener »Blend« für das Frühstückscafé entwickelt. Eine passende Immobilie in der Brandenburgischen Straße im Kiez fand sich ebenfalls. »Dabei finanzieren wir alles durch eigene Ersparnisse«, sagt Gründerin Elina Kardon.

Etwas Mut gehöre schon dazu, doch von ihrem Konzept sind beide überzeugt. Seit Ende Februar steht die Tür von »Good Morning kosher Chalav Israel« offen. Noch fehlt ein Schild an der Fassade, doch das tut dem kleinen Café keinen Abbruch. Alle paar Minuten schneien Gäste in den Laden, kaufen Quarktaschen (Watruschki), Granola-Joghurts, Blätterteigkuchen oder einen Kaffee auf die Hand.

Einige Passanten betreten das neue Café aus Neugier und erkundigen sich, was »koscher« bedeute und was das Sortiment umfasse. »Schön, dass es so etwas jetzt hier gibt«, freut sich eine ältere Dame. Ein Paar gibt zu, nur wegen der Küchlein gekommen zu sein, die zum Abkühlen im Schaufenster standen.

Erste Stammgäste gibt es bereits

Erste Stammgäste gibt es bereits. »Wir wohnen gleich nebenan«, sagt Katharina, die eine Akademie für Sprecher betreibt. »Seit dem ersten Tag kommen wir täglich her, der Kaffee schmeckt sehr gut, die Backwaren sind hochwertig, es ist einfach nett hier«, ergänzt Rudi. Neben Zufallsbesuchern kommen auch zahlreiche Gäste aus der Jüdischen Gemeinde Chabad Berlin, darunter viele aus der Ukraine.

Inhaberin Kardon, die hauptberuflich in der Hotelbranche arbeitet, begrüßt sie auf Ukrainisch. »Ich lebe seit 22 Jahren in Berlin, meine Tochter wurde hier geboren, aber natürlich geht mir alles sehr nahe, was in der Ukraine passiert«, sagt Kardon. Sie könne sich in die Menschen hineinversetzen. Genau wie ihre Tochter Tema, die an der FU Jura studiert.

»In meiner Freizeit kümmere ich mich um die ukrainischen Kinder unserer Community«, sagt die 21-Jährige. Während der restlichen Zeit helfe sie im Café aus. Wo bleibt noch Zeit zum Lernen, und wie betreibt man ein Café neben einem Vollzeitjob? »Irgendwie schaffen wir alles, das Café ist schließlich unser Traum!«, antworten beide. Neben der professionellen Kaffeemaschine steht ein großer Kühlschrank mit rund 300 Joghurt- und Quark-Gläsern.

»Das komplette Sortiment war nach der ersten Woche ausverkauft, wir mussten schnell bei unserer Molkerei nachbestellen«, sagt Kardon. »Mit so einem Run auf unseren koscheren Joghurt haben wir nicht gerechnet«, ergänzt Tochter Tema. Bei einem Preis von rund 2,40 Euro pro 475-Gramm-Glas, inklusive Pfand, ist das Milchprodukt mit Demeter-Joghurt aus dem Bio-Laden vergleichbar. Inzwischen werde auch an einer laktosefreien Variante auf der Basis von Soja gearbeitet. »Wir haben uns nicht vorstellen können, dass so viele Menschen an einer Laktoseintoleranz leiden«, gibt Tema zu.

Und wie schmeckt das Frühstücksangebot?

Und wie schmeckt das Frühstücksangebot? Frühstück Nr. 1 besteht aus einem Bureka aus Blätterteig, dazu gibt es ein hart gekochtes Ei und passierte Tomaten. Das herzhafte Frühstück ist lunchtauglich und mit 4,50 Euro erschwinglich. Frühstück Nr. 2 ist ein Becher mit einer Joghurt-Quark-Mischung, gekrönt von frischen Blaubeeren, dazu geröstetes Granola und Dattel-Honig-Sirup. Eine cremige Konsistenz, mild, leicht säuerlich, die Knusper-Krümel und das Obst machen fit für einen gesunden Start in den Tag.

Bäckermeisterin Dorin Amar kommt von der Backstube hoch. Die gebürtige Ukrainerin trägt ein Backblech mit frischen Küchlein mit Ahornsirup oder mit einer Schokoladenglasur. Zwei Jahre hat sie in einer Bäckerei in Israel gearbeitet, eine Erfahrung, die ihr heute zugutekommt. »In Zukunft wollen wir in unserer Backstube auch Kindergeburtstage und Workshops anbieten«, sagt Elina Kardon.

Das kleine Café soll auch Berührungsängste mit der jüdischen Kultur abbauen.

Mit der wärmeren Jahreszeit soll sich das Caféleben auch ins Freie verlagern. Die koscheren Frühstücksdelikatessen dürften gut in der Nachbarschaft ankommen, die sich sukzessiv erneuert. In die Jahre gekommene Nachkriegsbauten werden nach und nach durch moderne Apartmentgebäude ersetzt, ein neues Kiezleben entsteht.

Das kleine »Good Morning kosher Chalav Israel«-Café, so der Wunsch der Betreiberinnen, soll auch dazu beitragen, Berührungsängste mit der jüdischen Kultur abzubauen. Elina und Tema werden nicht müde, Fragen nichtjüdischer Gäste zu beantworten.

Und für die jüdische Community dürften frische koschere Milchprodukte ein Segen sein, folgt man den Bestellungen, die einlaufen.

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