Jüdische Kulturtage

Königlich in der Rykestraße

»Drei Könige der Musik«, kündigte Gideon Joffe, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, für diesen Abend an. Und tatsächlich, die Unterhaltung, die dem Publikum am Samstagabend in der Synagoge Rykestraße – Joffe nannte sie »die vielleicht schönste Synagoge Deutschlands« – geboten wurde, war nichts weniger als königlich.

Bevor jedoch der erste König, der King of Swing, Andrej Hermlin, mit seinem Swing Dance Orchestra den künstlerischen Teil der Jüdischen Kulturtage eröffnen konnte, gehörte die Bühne einstweilen noch der Politik. Klaus Lederer, Kultursenator von Berlin, fand als Schirmherr der zwölftägigen Veranstaltungsreihe lobende Worte und nannte sie »das größte Kulturereignis, das Berlin zu bieten hat«.

KONTRAST Seit 1987 finden die Jüdischen Kulturtage Berlin jedes Jahr statt, nur vergangenes Jahr mussten sie coronabedingt abgesagt werden. Dass sie in diesem Jahr möglich sind, dafür dankte Lederer insbesondere Sara Nachama, der Kulturdezernentin der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, sowie Gerhard Kämpfe, der als Intendant für die Kulturtage verantwortlich zeichnet.

Für Lederer sei das Festival Ausdruck der »Selbstbehauptung des Berliner Judentums« und zeige einen Mut, der ihm Hochachtung abringe. Jetzt aber – Swing! Mit dem Auftritt des Swing Dance Orchestra brach mit einem Mal die freche Eleganz der 1920er-Jahre in die Synagoge ein, die mit ihren hohen Decken und den Säulenbögen im neoromanischen Stil sakrale Ernsthaftigkeit ausstrahlt. Dieser Kontrast störte die Gruppe um den Pianisten Andrej Hermlin aber nicht, und mit jedem weiteren Song schien mehr von ihrer Ausgelassenheit auf Publikum und Gebäude überzugehen.

Für den »King of Klezmer« gab es in der Synagoge stehende Ovationen.

»Der Jazz würde ohne Juden und Schwarze nicht existieren«, erklärte Bandleader Hermlin und demonstrierte seine These sogleich mit Artie Shaws Stück »Diga Diga Doo«, bei dem spätestens durch das Klarinetten-Solo der Einfluss der Klezmer-Musik unverkennbar wurde. Es folgten eine Handvoll weiterer Songs, darunter eine Komposition des legendären Benny Goodman und – wie hätte er an diesem Abend fehlen können? – der wohl wichtigste Swing-Klassiker auf Jiddisch: »Bei mir bist du shein«.

KLARINETTE Als Nächstes betrat ein Musiker die Bühne, der weltweit als der »King of Klezmer« bekannt ist, und auch an diesem Abend machte der 85-jährige Klarinettist Giora Feidman seinem Namen alle Ehre.

Virtuos beherrscht er sein Instrument und schafft es mit diesem mühelos, den verschiedenen, für die traditionelle jüdische Musik typischen Stimmungen Ausdruck zu verleihen – von melancholisch zu heiter, von nachdenklich zu selbstvergessen. Begleitet wurde Feidman vom Jerusalem Duo, deren einer Teil niemand anderes als seine eigene Enkeltochter ist, die Harfenistin Hila Ofek.

Ihr Großvater zeigte sich zutiefst gerührt, zusammen mit ihr spielen zu können – und dann auch noch an einem solch besonderen Ort. In einer Mischung aus Deutsch, Englisch und Hebräisch sagte er: »I am a Jude, und ich bin in einer Beit Knesset in Berlin.« Ein Wunder, das nach einem Gebet verlange, fand Feidman und spielte »Halleluja« – nicht ohne darauf zu bestehen, dass das Publikum mit einstimmte. Für die Show des Altmeisters gab es stehende Ovationen.

BROADWAY Last but not least eine Performance vom König des Musicals: Dudu Fi­sher. Der Israeli hatte seine Karriere als Kantor begonnen, fing dann an, sich für Musicals zu begeistern, und schaffte es schließlich bis an den Broadway. Dort hinterließ er nicht nur mit seiner bemerkenswert lauten und variablen Stimme einen bleibenden Eindruck, sondern auch mit seiner Weigerung, am Schabbat und an jüdischen Feiertagen aufzutreten.

Es heißt, er sei der erste und einzige Sänger am Broadway, dem dieses Zugeständnis gemacht wurde. Folgerichtig dichtete er bei seinem Auftritt dem durch Frank Sinatra populär gemachten Klassiker »I Did It My Way« den Vers hinzu: »But never on Fridays«.

Beim Balagan-Day entführten Schauspieler die Gäste auf eine Fantasiereise nach Israel.

Das war der erste Tag der 34. Jüdischen Kulturtage, elf weitere Tage folgen, an denen gesungen, gelesen, gespielt und auch gegessen wird. Etwa am Balagan-Day im Gemeindehaus in der Fasanenstraße. »Balagan« ist Hebräisch und bedeutet Chaos oder Durcheinander und trifft das, was am vergangenen Sonntag im Festsaal des Gemeindehauses los war, ganz gut: An der Food-Ecke gab es Kaffee, Kuchen und Kartoffelauflauf, auf der Bühne hebräische Popmusik, Klezmer und Kreistanz, und nebenan tummelten sich die Kinder, die in einem Meer aus Luftballons bastelten und spielten.

Im Anschluss konnte man sich im Deutsch-Jüdischen Theater (DJT) auf eine Reise ins Heilige Land begeben. Die Intendantin des DJT, Alexandra Julius Frölich, und der Schauspieler Joachim Kelsch ließen das Publikum in Gedanken – »Stellen Sie die Rückenlehne aufrecht und schließen Sie Ihren Sitzgurt« – auf dem Flughafen Ben Gurion landen und gaben anschließend einen »Schnellkurs für Lebenskünstler«, bei dem man lernen konnte, wie man sich die komplizierten Jerusalemer Straßennamen am schlechtesten merken kann, wie man den überhitzten israelischen Wohnungsmarkt mit kleinen Betrügereien zum eigenen Vorteil nutzt oder sich auf fremden Barmizwas kostenlos den Bauch vollschlägt. Musikalisch begleitet wurden die Sketche vom Klezmer-Duo Alexander Gutman und Ilja Bondar.

JUBILÄEN Die diesjährigen Kulturtage sind gleich in mehrfacher Hinsicht besonders. Nach zwei Jahren Pause sind die Künstler mehr denn je darauf erpicht zu unterhalten, und das Publikum darauf, sich unterhalten zu lassen. Allen ist die Dankbarkeit über die Möglichkeit, endlich wieder vor Ort und live Kunst erleben zu können, ins Gesicht geschrieben.

Außerdem fallen die Kulturtage mit gleich zwei Jubiläen zusammen: dem 350. Jahrestag der Neugründung der Jüdischen Gemeinde zu Berlin und 1700 Jahren jüdischen Lebens in Deutschland, das erstmals in einer römischen Urkunde vom Jahr 321 für die Stadt Köln bezeugt ist. Gründe genug also, bis zum 18. November an 13 Standorten in Berlin zu feiern und sich allen Facetten jüdischer Kultur zu widmen.

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