Leipzig

Kantoren-Schmiede

»Wenn Sie die Lieder kennen, singen Sie mit! Wenn nicht, tun Sie’s trotzdem«, fordert Kantor Joseph Malovany gleich am Anfang des Nachmittags im Leipziger Ariowitsch-Haus die Gäste auf. Denn wenn das Institut für traditionelle jüdische Liturgie (ITJL) an diesem Sonntag zu einem interaktiven Konzert einlädt, dann ist das auch so gemeint: Jeder darf mitmachen.

Der Anlass ist ein heiterer: Das Institut, das dem Rabbinerseminar zu Berlin angegliedert ist, feiert sein zehnjähriges Wirken. Deshalb sind neben Institutsdirektor und Landesrabbiner Zsolt Balla, einigen ITJL-Absolventen und dem Vorsitzenden der Leipziger Gemeinde, Küf Kaufmann, auch viele Freunde des Hauses gekommen. Joshua Spinner, Vorsitzender des Rabbinerseminars und CEO der Lauder Foundation, gibt sich genauso die Ehre wie Michael Grünberg, Kuratoriumsmitglied des Rabbinerseminars und Vorsitzender der Gemeinde Osnabrück, sowie der Beauftragte der sächsischen Landesregierung für jüdisches Leben, Thomas Feist.

»Wir sind keine Kultur-, sondern Kultusgemeinden«

Auch der Vizepräsident des Zentralrats der Juden, Abraham Lehrer, ist da und hebt in seiner Rede die Bedeutung der Liturgie hervor, denn: »Wir sind keine Kultur-, sondern Kultusgemeinden. Die Synagoge steht im Mittelpunkt.« Die Vorsänger sieht er als spirituelle Brückenbauer: »Kantoren lassen uns an ihrem Glauben teilhaben« – sogar dann, wenn man selbst eine gewisse Distanz zum Ewigen spüre. Ohne sie sei ein Gottesdienst kaum vorstellbar.

Die weiteste Anreise hatte wohl Joseph Malovany, der eigens aus New York anreiste. Allerdings ist er inzwischen auch ein bisschen in Leipzig zu Hause. Der international bekannte Kantor der Synagoge in der 5th Avenue und Professor für Liturgische Musik an der Belz School of Music der Yeshiva University ist auch Rektor und Mentor des ITJL – eine Aufgabe, die er gern angenommen hat: »Ich halte es für extrem wichtig, den Nussach wiederzubeleben, die traditionellen musikalischen Motive, wie man den Gottesdienst feiert«, so Malovany.

»Die Idee ist, das zurückzubringen, was verloren gegangen ist.« Deshalb kommt er seit Gründung des Instituts regelmäßig nach Leipzig, um diese Traditionen am Leben zu erhalten.

Anfangs verschämt mitgebrummelt, singt das Publikum später enthusiastisch mit.

Seit der Gründung des Instituts haben sich rund 80 Studierende eingeschrieben, im aktuellen Jahrgang sind es 25. Die Ausbildung selbst dauert ungefähr dreieinhalb Jahre. Bisher haben vier Studenten sie abgeschlossen und wurden Kantoren.

Was macht einen guten Kantor aus?

Was aber macht einen guten Kantor aus? Institutsdirektor Zsolt Balla zieht einen ungewöhnlichen Vergleich: »Ein guter Kantor ist wie Michal Jordan in der NBA. Der war nicht nur ein klasse Basketball-Spieler, sondern er hat jeden Einzelnen in seiner Umgebung zu einem besseren Spieler gemacht. Das ist ein guter Kantor. Derjenige, der betet, sodass die anderen inspiriert sind, mitzubeten.«

Laut Balla ist es weder schlimm noch überraschend, dass nur ein kleiner Teil der Studierenden am Ende tatsächlich Kantor wird: »Wir hatten viele, viele Ausbildungsprogramme, und nicht alle enden mit einem Diplom.« So gibt es neben der Kantorenausbildung am Institut auch Workshops für Gemeinden zur Vorbereitung auf die Hohen Feiertage. Seit einigen Jahren kooperiert das ITJL dabei auch mit der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST). Es gehe, sagt Balla, vor allem darum, die Liturgie in die Gemeinden zu tragen, ob mit Abschluss oder ohne.

Und so stehen auch an diesem Sonntagnachmittag diejenigen mit Abschluss – drei von ihnen sind Alumni des ITJL – auf der Bühne und versuchen, diejenigen ohne Abschluss oder Ausbildung dafür zu begeistern, die Lieder mitzusingen.

Dennoch muss sich das Ganze erst entwickeln: Wird zunächst eher verschämt mitgebrummelt, singen und klatschen große Teile des Publikums gegen Ende des Konzerts enthusiastisch mit. Und erfüllen damit genau das, was sich Kantor Malovany von seinen Schülern wünscht: »Ich will Herz. Damit die Menschen fühlen, dass dies nicht nur ein Konzert ist. Das ist keine Oper. Das ist etwas, das dem jüdischen Volk gehört und das vom Berg Sinai kommt.«

Berlin

Margot Friedländer: Levit kämpft bei Deutschem Filmpreis mit Tränen

Beim Deutschen Filmpreis nutzt Igor Levit die Bühne, um der verstorbenen Holocaust-Zeugin Margot Friedländer zu gedenken. Dabei muss der Starpianist mehrmals um Fassung ringen. Im Saal wird es still

 09.05.2025

Zentralrat der Juden

»Margot Friedländer war eine mutige und starke Frau«

Josef Schuster hat mit bewegenden Worten auf den Tod der Holocaust-Überlebenden reagiert

 09.05.2025

Porträt

Ein Jahrhundertleben

Tausende Schüler in Deutschland haben ihre Geschichte gehört, noch mit über 100 Jahren trat sie als Mahnerin auf. Margot Friedländer war als Holocaust-Zeitzeugin unermüdlich

von Verena Schmitt-Roschmann  09.05.2025

Nachruf

Trauer um Holocaust-Überlebende Margot Friedländer 

Mit fast 90 kehrte Margot Friedländer zurück nach Berlin, ins Land der Täter. Unermüdlich engagierte sich die Holocaust-Zeitzeugin für das Erinnern. Nun ist sie gestorben - ihre Worte bleiben

von Caroline Bock  09.05.2025

Interview

Yorai Feinberg: »Die Wassermelone ist das Symbol von Judenhassern«

Der Restaurantbesitzer über den Wassermelonen-Eklat, die Welle des Antisemitismus, die regelmäßig das »Feinberg’s« trifft und über Zeichen der Solidarität

von Imanuel Marcus  09.05.2025

Berlin

Verleihung von Bundesverdienstkreuz an Margot Friedländer verschoben

Erst vor einem Monat erhielt die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer den Preis des Westfälischen Friedens. Die Verleihung einer weiteren hohen Auszeichnung findet kurzfristig jedoch nicht stat

 09.05.2025

Interview

»Mir war himmelangst«

Die 96-Jährige Ruth Winkelmann überlebte die Novemberpogrome in Berlin. Bis heute geht sie in Schulen und spricht über ihr Schicksal - und darüber, was ihr den Glauben an die Menschheit zurückgegeben hat

von Nina Schmedding  09.05.2025 Aktualisiert

Urteil

Klage von jüdischem Erben gegen Sparkasse Hagen bleibt erfolglos

Der Großvater des Klägers hatte den Angaben zufolge 1932 ein Konto bei der Sparkasse in Hagen eröffnet und darauf Geld eingezahlt. Später floh er mit seiner Ehefrau in die Schweiz

 07.05.2025

Digitale Erinnerung

Neue App zeigt Deutschland-Karte mit Nazi-Verbrechen

Von 1933 bis 1945 haben die Nationalsozialisten Menschen enteignet, missbraucht, getötet. Die Untaten auf dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik versammelt eine neue App. Schon zum Start gibt es eine Erweiterungs-Idee

von Christopher Beschnitt  07.05.2025