Porträt der Woche

»Ich bin ein Sonnentyp«

»Um konzentriert arbeiten zu können, muss mir gefallen, wie es um mich herum aussieht«: Merav Barnea Foto: Christian Rudnik

Porträt der Woche

»Ich bin ein Sonnentyp«

Merav Barnea ist Opernsängerin und möchte irgendwann einen Blumenladen eröffnen

von Katrin Diehl  16.02.2015 21:06 Uhr

Ich drehe gerade meine zweite Runde in Deutschland. Vor gut 18 Jahren bin ich in Berlin gelandet, dieses Mal in Ulm, von wo wir weitergezogen sind nach München. Hier haben wir ein wunderbares Zuhause gefunden, eine Wohnung, die früher ein Laden war.

Unser Wohnzimmer mit Klavier, Mozartbüste, vielen Bildern und Kerzen liegt hinter zwei großen Schaufenstern. Wenn es im Sommer warm wird, öffne ich die Ladentür und lasse das ruhige Straßenleben herein. Ich brauche Schönheit, um mich wohlzufühlen. Und eigentlich brauche ich auch Helligkeit und Wärme. Ich bin ein Sonnentyp.

Wüste Was also wird nach München kommen? Wieder Israel? Dort bin ich geboren, in Kfar Saba. Eines meiner Lebensthemen ist die Suche nach Heimatgefühl. In der Wüste in Israel meinte ich, es tatsächlich einmal gespürt zu haben. Ich habe dort den prägendsten Teil meines Lebens verbracht, an einem Ort also, wie er gegensätzlicher nicht sein könnte zur Opernwelt, zu der es mich später gezogen hat.

Getanzt habe ich schon immer. Und ich hätte mir durchaus vorstellen können, eines Tages Tänzerin zu werden, eine Tänzerin, die mit vielen Kindern und Tieren in der Wüste lebt. Aber es ist anders gekommen. Die Musik hat mich gefunden und ist bei mir geblieben. Menschen, die mich auf der Bühne singen hören, sagen mir oft, dass ihnen meine Emphase, mein Ausdruck bis unter die Haut gegangen sei. Dass das so ist, hat, glaube ich, immer noch mit meinen starken Erfahrungen in der Wüste zu tun. Die Wüste hat eine dramatische Sopranistin aus mir gemacht.

Nachdem ich 1992 bis 1996 in Tel Aviv Gesang studiert hatte, wollte ich mehr von der Welt sehen, Erfahrungen sammeln. Viele meiner Mitstudenten sind nach Amerika gegangen, nach New York, wo an der Metropolitan Opera immer diese Sommerkurse für uns Sänger stattgefunden haben. Ich war als Stipendiatin auch einige Male dort. Aber im Grunde hat mich Europa schon immer mehr fasziniert.

Mein Ästhetikempfinden findet in der europäischen Kultur seine Entsprechung und Inspiration. Ich bin also von Israel nach Berlin an die Universität der Künste, um dort meinen Master zu machen, hatte tolle Lehrer, wie Dietrich Fischer-Dieskau oder Ingrid Figur. Und weil ich bei einem Gesangswettbewerb gewonnen habe, konnte ich 1999 mit Olivier Messiaens »Chant de Terre et de Ciel« in der Berliner Philharmonie auftreten.

Das war ein ganz großartiges Erlebnis. Die Moderne, die so modern gar nicht mehr ist, spricht mich einfach an: Richard Strauss, Alban Berg, Hugo Wolf. Auch Wagner singe ich sehr gerne. Wagner und Israel, das ist natürlich ein eigenes Kapitel. Ich lasse, was dieses Thema anbelangt, ganz einfach mein Herz sprechen, und mein Herz sagt: Solange es Menschen gibt, die aufgrund ihrer schrecklichen Erlebnisse die Musik von Wagner ablehnen, solange habe ich diese Gefühle zu akzeptieren. Niemanden zu verletzen, ist mir bei allem, was ich tue, wichtig.

In die Berliner Zeit fällt auch die Geburt meiner ersten Tochter. 2000 sind wir dann aber erst einmal wieder zurück nach Israel, und zwar, weil ich an der Oper in Tel Aviv ein Engagement bekommen habe. Wer würde da Nein sagen? In Israel kamen meine Zwillinge zur Welt, wieder Mädchen. 2006 folgte mein erstes festes Engagement in Europa. Man rief mich vom Ulmer Theater an. Ich kam zum Vorsingen und wurde angenommen. Also zurück nach Deutschland. Auf Ulm folgte vor eineinhalb Jahren München. Im Moment ist München mein Zuhause.

Alltag Um halb sieben stehe ich auf und wecke meine Mädchen, jetzt zwölf und 16 Jahre alt. Und weil sie superbrave Mädchen sind, machen wir etwas aus der kurzen gemeinsamen Zeit vor der Schule. Auch in der Routine darf Schönheit schließlich nicht zu kurz kommen. Jeden Morgen zünde ich Kerzen an und stelle sie auf den hübsch gedeckten Tisch. Zum Frühstück gehören neben allem anderen immer Äpfel, Kuchen und Tee.

Und weil ich im Grunde, und wenn nicht wirklich etwas Dringendes ansteht, ein Slow-Motion-Typ bin, nehme ich mir, wenn die Kinder aus dem Haus sind, erst einmal eine Stunde ganz für mich. Ich lese, ich höre Musik. Danach ist ein bisschen Fitness angesagt. Jahrelang habe ich Ballett gemacht, dann Aikido, Yoga. Heute jogge ich.

Etwa eine halbe Stunde bin ich unterwegs, mache mich frisch und bin bereit für meine Schüler. Sie kommen zu mir nach Hause. Ich unterrichte sie in Gesang, und seit einiger Zeit gebe ich auch Hebräisch. An jedem Dienstag mache ich mich ganz früh Richtung Ulm auf, wo ich erst in Ehingen in einer Musikschule Gesang lehre, später dann, in Ulm, noch für ein paar Privatschüler da bin.

Ich gebe gerne Unterricht, gebe gerne von meinen Erfahrungen weiter. Es ist mir wichtig, meinem Gegenüber mit Sensibilität zu begegnen. Dabei habe ich festgestellt, dass Kindern wie auch Erwachsenen in Deutschland fürs freie Singen oft eine gewisse Lockerheit fehlt. Sie sind hart und zu, können einem fast nicht in die Augen sehen. Das ist in Israel anders. Umso glücklicher macht es mich, wenn ich es schaffe, die Menschen zu »befreien«. Wenn ich es schaffe, sie wie eine Blume zu öffnen. Das hinterlässt ein großartiges Gefühl.

Eine gewisse Zeit nimmt natürlich auch mein eigenes tägliches Gesangspensum ein. Ich bereite mich ausgiebig auf meine Konzerte vor. Vergangenen Herbst habe ich zum Beispiel in Moskau in der Tschaikowsky-Konzerthalle gesungen, aber auch in der Münchner Gemeinde zu Jom Haazmaut. Meine Agentur in London kümmert sich um meine Auftritte. Ich halte mich bereit und nehme regelmäßig mein Coaching an der Münchner Staatsoper wahr. Mein Traumauftritt wäre im Moment Richard Strauss’ Elektra.

Das Leben einer Sängerin verläuft nach eigenen Gesetzen. Keine Woche sieht aus wie die nächste. Und wenn es da jemanden gibt, dem es gelingt, ein wenig Struktur in die Sache zu bringen, dann sind das wirklich meine Kinder, und das ist gut so.

hip-hop Kommen die Mädchen von der Schule, herrscht ein ganz anderer Musikgeschmack. Hip-Hop ist angesagt – auch das liebe ich –, und wir tanzen zusammen durch die Zimmer. Dass ich die Kinder schon am frühen Nachmittag wieder um mich habe, ist etwas, was ich in Deutschland genieße. In Israel essen fast alle Kinder in der Schule.

Wir aber können als Familie zusammen um einen Tisch sitzen. Auch wenn das nicht immer einfach zu organisieren ist, empfinde ich das als ein Geschenk. Aus diesem Grund versuche ich tatsächlich, meine Konzertvorbereitungen und Gesangsübungen auf den Nachmittag zu legen. Ich singe einfach viel konzentrierter, wenn ich die Kinder um mich weiß. Und noch etwas finde ich gut in Deutschland: An fast jeder Schule gibt es einen Chor. Das hat in Israel keine Tradition.

Um konzentriert arbeiten zu können, muss mir gefallen, wie es um mich herum aussieht. Ich kann zum Beispiel nicht im Wohnzimmer singen, wenn ich weiß, dass in der Küche das große Chaos herrscht. Das Verlangen, in meiner unmittelbaren Umgebung Schönheit herzustellen, begleitet mich durch die Tage. Donnerstags versuche ich es immer einzurichten, dass es mir gelingt, die Wohnung durchzuputzen.

Wir haben jeden Freitag ein Schabbatdinner – mit Freunden, ohne Freunde –, und da soll alles sauber und schön sein. Dazu gehören auch Blumen. Nach Blumen bin ich ein bisschen süchtig. Und wenn ich manchmal darüber nachdenke, was ich machen werde, wenn ich in vielen Jahren nicht mehr auf der Bühne stehe und singe, dann weiß ich: Ich werde endlich meinen Blumenladen eröffnen. Und das meine ich ernst.

Aufgezeichnet von Katrin Diehl

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