An diesen Besuch erinnert sich Chana Bennett besonders gern. Am Ende eines Gesprächs bekamen sie und ein weiterer ehrenamtlicher Helfer eine Rose geschenkt – so dankbar war die ältere Dame für ihre Unterhaltung und die kleinen Geschenke, die sie ihr zu den Hohen Feiertagen überreicht hatten. »Wir möchten die Feiertage ein Stück weit zu den Menschen nach Hause bringen«, sagt Bennett, treibende Kraft der Bikkur-Cholim-Besucheraktion zu Rosch Haschana und Purim in Köln.
Die Aufmerksamkeit gilt vor allem älteren oder kranken Gemeindemitgliedern, die allein in ihren Wohnungen leben, keine Angehörigen haben und es mittlerweile auch nicht mehr in die Synagoge schaffen.
»Wir erleben bei unseren Besuchen herzzerreißende Momente und spüren fast immer große Dankbarkeit«, so Chana Bennett. Meistens würden sie hereingebeten, die Seniorinnen und Senioren zeigen Fotos, erzählen Geschichten. »Manche weinen vor Freude über unseren Besuch.« Auch die Frau, die zum Abschied für jeden eine Rose aus einem Blumenstrauß zog, der auf dem Tisch stand, hatte Fotoalben hervorgeholt und aus ihrem Leben berichtet.
Die Geschenke für Rosch Haschana – ein Glas Honig, Apfelchips, Traubensaft, ein Zimtgebäck und ein magnetischer Jahreskalender – sind gepackt. »Etwa 280 Mitglieder der Synagogen-Gemeinde Köln leben allein. Mit unseren Besuchen und Geschenken möchten wir ihnen zeigen, dass wir sie nicht vergessen.« Damit sie nicht von einem spontanen Besuch überrascht werden, ruft Chana Bennett vorher an.
Am Anfang finanzierte sich Bikkur Cholim noch über Spenden
Vor 15 Jahren war sie Gründungsmitglied von Bikkur Cholim in Köln. Der damalige Rabbiner Jaron Engelmayer hatte den Anstoß gegeben. Ihm war aufgefallen, dass immer mehr Mitglieder kaum noch in der Lage waren, Gottesdienste und andere Veranstaltungen in der Gemeinde zu besuchen. Am Anfang finanzierte sich Bikkur Cholim über Spenden, seit einiger Zeit übernimmt der Vorstand der Synagogen-Gemeinde Köln diese Aufgabe.
Etwa 25 engagierte Menschen sind dabei und verteilen die Pakete im gesamten Stadtgebiet. »Besonders dankbar bin ich für die Unterstützung durch die Kolleginnen und Kollegen der Sozialabteilung und in den Begegnungszentren Porz und Chorweiler, die dafür Sorge tragen, dass die Menschen vor Ort ihre Pakete erhalten«, sagt Bennett. »Ohne diese wirklich wunderbare Zusammenarbeit wäre das nicht zu stemmen.« Zudem mache das Team Krankenbesuche, »und wir holen sie – wenn jemand möchte – an Chanukka zu den Gemeindefeiern ab, wann immer dies möglich ist. Die Menschen geben einem mehr zurück, als wir ihnen geben.«
Die Flensburger Gemeinde bietet »Koscheres Essen auf Rädern an
Diese Erfahrung hat auch Elena Skolovsky gemacht. »Die Senioren sind sehr dankbar für die Besuche und die Unterhaltungen«, sagt die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Flensburg. Dort sind in diesen Tagen ebenfalls viele Ehrenamtliche im Einsatz. »Wir bieten ›Koscheres Essen auf Rädern‹ an«, so Sokolovsky. Die Gemeinde zählt 25 Senioren und Holocaustüberlebende, von denen etliche nicht mehr mobil sind. Einmal im Monat stoppt der Wagen bei ihrer Adresse, um das koschere Essen zu bringen. »Zu Rosch Haschana natürlich auch, da gestalten unsere Köchinnen ein besonderes Festtagsmenü.«
Ebenso werden Pakete an die Senioren ausgeliefert. »Mit symbolischen Früchten darin, kleinen Geschenken, Gebäck und Honig.« Etwa 80 Mitglieder zählt die nördlichste Gemeinde in Deutschland, die über keine Synagoge, aber über einen Gebetsraum verfügt. »Immerhin besitzen wir zwei Torarollen und Gebetsbücher in Russisch, Hebräisch und Deutsch.«
Zu den Feiertagen reist Kantor Netanel Yavlovich, Vertreter der World Zionist Organization, aus Israel mit seiner Frau und seinen beiden Kindern an, um bei den Gottesdiensten zu amtieren. »Wir können uns keinen eigenen Rabbiner leisten, der am Schabbat und an den Feiertagen die Gottesdienste gestaltet, aber mit Kantor Yavlovich klappt es wunderbar. Er kommt schon seit mehreren Jahren zu uns.« Für ihn mietet die Gemeinde dann stets eine Ferienwohnung an. Zudem komme einmal im Monat ein Gastrabbiner.
Der israelische Kantor ist Opernsänger in Tel Aviv
1000 Kilometer südlich davon hat Kantor Moshe Haas eine Wohnung bezogen. Er ist zusammen mit seiner Frau im Sommer nach Freiburg gezogen. Nun wird er an den Hohen Feiertagen Kantor Moshe Hayoun in der Israelitischen Gemeinde Freiburg unterstützen. Seit zehn Jahren leitet Hayoun die Gottesdienste, aber da diese an Rosch Haschana und Jom Kippur sehr lang sind, leistet sich die Gemeinde zu seiner Entlastung einen weiteren. Der israelische Kantor ist auch Opernsänger in Tel Aviv, und er kennt die Gemeinde bereits von einigen Gottesdiensten. »Zu Rosch Haschana wird er allerdings zum ersten Mal amtieren«, sagt Irina Katz, Vorsitzende der Gemeinde. Viele Kantoren und Rabbiner aus Israel würden sich bei den Gemeinden in Deutschland melden und bewerben.
Auch Moshe Flomenmann, Landesrabbiner von Baden, kümmert sich darum, kleinere Gemeinden an den Hohen Feiertagen mit Rabbinern und Kantoren zu versorgen. Als Landesrabbiner ist er zwar für mehrere Gemeinden zuständig, kann aber zu den Gottesdiensten nur in einer Synagoge amtieren. »Mehrere Gemeinden aus verschiedenen Bundesländern haben mich angefragt«, sagt Moshe Flomenmann. Er ist zufrieden, denn allen konnte er bei der Vermittlung helfen.
Die meisten Gastrabbiner und Kantoren stammen aus Israel. »Sie werden hier in Wohnungen der Gemeinden oder in Hotels untergebracht.« Vorab werde der Ritus besprochen. Und die Bezahlung. »Seit 22 Jahren bin ich als Landesrabbiner im Amt und habe in der Zeit ein gutes Netzwerk aufgebaut, sodass es bisher immer geglückt ist, alle Wünsche zu erfüllen.«
Viele Kantoren und Rabbiner aus Israel werden amtieren.
Auch der Verband Jüdischer Kantoren bietet mit »Call a Kantor« eine Vermittlung an, die gern genutzt wird. »Es erfüllt uns stets mit großer Freude, wenn wir unserer Aufgabe nachkommen und einer Gemeinde eine passende Kantorin oder einen passenden Kantor vermitteln können«, sagt Amnon Seelig, Vorsitzender des Verbands. »Wir sind überzeugt davon, dass es für die Gemeinden von zentraler Bedeutung ist, Traditionen zu pflegen und ihre Gottesdienste auf hohem musikalischem Niveau zu gestalten.« Am Ende verbindet alle das gleiche Ziel: den Mitgliedern festliche Feiertage zu ermöglichen.