Projekt

Heimat – was ist das?

Was bedeutet das Gefühl von Heimat in einer globalisierten Welt, die zunehmend von Migration, Flucht und Vertreibung geprägt ist? Darüber drehen Jugendliche aus Israel und Deutschland in Frankfurt gemeinsam vier Kurzfilme. Eine Woche lang kommen die 16- bis 18-Jährigen für dieses Projekt zusammen, das vom jüdischen Kinderhilfswerk, der Kinder- und Jugend-Aliyah und dem deutschen Filminstitut schon im zweiten Jahr veranstaltet wird.

Nur noch wenige Tage bis zur Aufführung. Danielle, Yasir und Hendrik sind ziemlich aufgeregt. Am Sonntag soll ihr Film gezeigt werden, eine mehrere Minuten lange Dokumentation über ein junges Mädchen aus Eritrea und einen Jugendlichen aus dem Iran. Beide sind Flüchtlinge, die nach langer Reise quer durch ihr früheres Heimatland und Europa in Deutschland einen Platz gefunden haben. Es sind authentische Schicksale, »das war uns wichtig«, sagt der 18 Jahre alte Yasir.

fremde Der junge Iraner aus ihrem Film ist sein Klassenkamerad in der Frankfurter Max-Beckmann-Schule. Barfuß und mit Kapuze, damit man ihn nicht erkennen kann, wandert er allein durch die Straßen der Großstadt, erzählt von seiner Einsamkeit und dem Leben ohne seine Familie in der oftmals so abweisenden Fremde.

Ein paar letzte Filmschnitte sind noch nötig, und der Soundtrack muss eingespielt werden. »Die Musik machen wir selbst«, sagt Danielle, die Gitarre spielt. Auch das Thema des Films hat die Gruppe gemeinsam ausgewählt. Zwölf israelische Jugendliche aus dem von der Aliyah betriebenen Jugenddorf Ayanot in der Nähe von Tel Aviv und 14 Schülerinnen und Schüler aus der Frankfurter Max-Beckmann-Schule arbeiten seit dem 2. November an insgesamt vier Kurzproduktionen für das interkulturelle Filmprojekt »My home is …«. Ein Austausch, an dem Deutsche und Israelis, Juden, Muslime und Christen teilnehmen, betont Pava Raibstein, Geschäftsführerin der Kinder- und Jugend-Aliyah, »und in dem es um Toleranzerziehung und Begegnung geht.« Nicht selten haben die Teilnehmer selbst einen Migrations- oder Flüchtlingshintergrund.

trilogie Die Liebe zum Film ist das verbindende Element. Pava Raibstein hatte die Idee für das Projekt, das als Trilogie angelegt ist. 2013 hat es mit dem Thema »Gefühle und Werte« begonnen und endet 2015 unter dem Motto »Deutschland – Israel, gestern und heute«. Im kommenden Jahr jährt sich zum 50. Mal die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Deutschland und Israel. »Der Dialog zwischen Kulturen und Religionen wird in einer Zeit, in der alte Konflikte überall auf der Welt neu hervorbrechen, immer wichtiger«, sagt auch Claudia Dillmann, Direktorin des Deutschen Filminstituts und Mitveranstalterin des Austauschs.

Die Jugendlichen haben in der einen Woche schnell zueinander gefunden. In vier Gruppen haben sie unterschiedliche Motive für ihre Filme gewählt. Ein Team befasst sich etwa mit dem Thema Scheidung und Entscheidung für ein neues Zuhause, eine Gruppe hat sich auf die Suche nach der Identitätsfindung zwischen den Kulturen gemacht, und ein weiterer, eher experimenteller Ansatz thematisiert den Verlust der Heimat.

Yasir und Danielle war der Flüchtlingsaspekt besonders wichtig, weil er Teil ihres eigenen Lebens ist. Der 18-Jährige ist als Kind mit seiner Familie vor dem Krieg in Afghanistan zunächst in die Niederlande und später nach Deutschland geflohen. »Ich habe als Kind im Asylbewerberheim gelebt.« Yasir kennt den Verlust der Heimat, die für ihn heute nicht mehr an einen Ort gebunden ist. »Ich bin zu Hause, wo meine Familie und meine Freunde sind«, sagt der junge Muslim.

GESCHICHTEN Danielles Großeltern sind jüdische Iraker und flohen kurz nach Beginn des Zweiten Weltkriegs nach Israel. Ihre Geschichten, erzählt sie, sind in der Familie allgegenwärtig. Seit drei Jahren lebt Danielle in dem Jugenddorf Ayanot und hat sich dort für eine Ausbildung zur Filmemacherin entschieden. Sie ist das erste Mal in ihrem Leben außerhalb Israels, das erste Mal überhaupt in einem Flugzeug geflogen. »Das war sehr aufregend und auch beängstigend.« Die Woche in Frankfurt und Deutschland empfindet sie als sehr intensiv, sehr emotional. »Es ist ein Geschenk.«

Zwischen ihr und Yasir haben sich zarte Bande entwickelt. Die Religion, die unterschiedliche Kultur sind nebensächlich für beide. »Ich bin gerne mit Menschen anderer Kulturen zusammen«, erzählt Yasir, der von sich selbst sagt, mittlerweile deutsch zu denken und zu träumen. Die deutsche Vergangenheit und der Holocaust spielen in ihrem Film eine Rolle, nicht aber im täglichen Miteinander.

sprachbarrieren
Die Nationalitäten und Religionen verschwimmen in dieser Woche, findet auch Hendrik. Sogar Sprachbarrieren fallen, »irgendwie redet man mit Händen und Füßen und versteht sich«, sagt der Frankfurter Schüler. Er ist das erste Mal mit Israelis seines Alters zusammen und findet viele Gemeinsamkeiten. Und Danielle hat eine Eigenart ihrer deutschen Gastgeber entdeckt, die sie schätzt: »Deutsche sind sehr direkt und konzentriert.«

Itamar Hadari unterrichtet das Fach »Film« im Jugenddorf Ayanot. Er ist zum zweiten Mal bei dem Austausch dabei und sehr berührt, zu sehen, »wie sich seine Schüler entwickeln, wie sie wachsen, sich auf andere Kulturen einstellen und sie aufsaugen«. Im Alltag in Israel seien Themen wie Religion oder die Unterschiede der Kulturen allgegenwärtig und präsent. Während der Woche in Frankfurt spiele das keine Rolle. »Hier zu sein, ist wie eine frische Brise«, freut er sich. Seine Schüler seien geduldiger, entspannter, ruhiger. »Ich hoffe, dass sie diese Erfahrung mit nach Hause nehmen.«

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