Oldenburg

Geschichte im Dreiklang

Im Garten des Gemeindehauses: Vielen Menschen ist das gemeinsame Projekt – Gemeinde, Lehrhaus und Unistudien – zu verdanken. Foto: Markus Hibbeler

»Le’Chaim!« Unter diesem Titel wird derzeit in Oldenburg eine Ausstellung zu jüdischem Leben in der Stadt gezeigt. Schon seit Ende Mai ist sie im Landesmuseum zu sehen, nun wurde sie sogar bis zum 31. August verlängert. Die Ausstellung ist Teil des bundesweiten Festjahres »1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland« und eine Koproduktion des Kulturbüros der Stadt Oldenburg, der Jüdischen Gemeinde und der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg – »eine altbewährte Zusammenarbeit«, wie Gemeindevorsitzende Elisabeth Schlesinger betonte.

Die Ausstellung vermittelt keinen chronologischen Überblick über die lokale Geschichte, sondern setzt einzelne thematische Schwerpunkte. So werden auch Fotos oder andere Objekte aus dem Besitz der jüdischen Gemeinde präsentiert, um einem breiten Publikum die jüdische Liturgie, den historischen Ursprung und die Bedeutung des Schabbats wie auch der zentralen jüdischen Feste zu vermitteln. Erweitert wird dies durch einen allgemeinen Überblick über 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland.

Ausstellung Ein Kernstück der Ausstellung sind biografische Porträts der wichtigsten, in Oldenburg wirkenden Rabbinerinnen und Rabbiner. Detailliert geschildert werden dabei das Leben und Wirken von Nathan Marcus Adler, Samson Raphael Hirsch und Bernhard Wechsler im 19. Jahrhundert sowie von David Mannheimer, Philipp de Haas und Leo Trepp, dem letzten Oldenburger Rabbiner vor der Schoa.

Während der Pogrome 1938 wurde Trepp verhaftet und in das Konzentrationslager Sachsenhausen deportiert. 1940 gelangte er in die USA, wo er Professor am Napa College in Kaliforniern wurde. Ab den 50er-Jahren setzte sich Trepp für eine Aufarbeitung der NS-Vergangenheit und antisemitismuskritische Bildungsarbeit ein. Geehrt wird der 2010 Verstorbene heute unter anderem durch eine nach ihm benannte Straße, in der sich auch das Gemeindezentrum und die Synagoge befinden. Mit den Bildungsangeboten des Leo-Trepp-Lehrhauses möchte die Gemeinde Trepps »vorbildhafte, weltoffene und lehrende Tätigkeit weiterführen«, sagt Zentralratsvize Abraham Lehrer.

In der Ausstellung wird die enorme Bedeutung von Frauen für den Wiederaufbau der Gemeinde deutlich.

In der Ausstellung wird die enorme Bedeutung von Frauen für den Wiederaufbau und die aktuelle Arbeit der Gemeinde deutlich. Mit Bea Wyler amtierte in Oldenburg die erste ordinierte Rabbinerin nach der Schoa. Ihre Amtseinführung 1995, für die die langjährige Vorsitzende der Gemeinde, Sara-Ruth Schumann, gesorgt hatte, rief damals kontroverse Reaktionen hervor. Für viele war eine Frau in diesem Amt unvorstellbar, erzählte Wyler.

Pionierarbeit Im Gespräch mit Elisabeth Schlesinger gab Wyler Einblicke in ihre Zeit als Rabbinerin der 1992 neu gegründeten Gemeinde. In dieser Zeit haben Schumann und Wyler »enorm viel Pionierarbeit geleistet«, von der die Gemeinde heute noch profitiere, erzählt Schlesinger. Wyler blickte im Gespräch auch auf einige Herausforderungen zurück, die sie damals pragmatisch und durchaus improvisierend angingen. So fehlten zu Beginn noch liberale Siddurim, was durch bewusste Auslassungen oder Ad-hoc-Adaptionen der Texte aus den orthodoxen Gebetbüchern kompensiert wurde. »Wir haben einfach das gemacht, was wir für richtig hielten«, fasst Wyler ihren Ansatz mit einem Augenzwinkern zusammen.

Darüber hinaus herrschten damals auch in Oldenburg Sprachbarrieren gegenüber den aus Russland eingewanderten Gemeindemitgliedern. Auch zur egalitären Ausrichtung der Gemeinde, die in ihrer neuen Körperschaftssatzung festgeschrieben ist, trug Wyler bei. Hinzu kommt die Beteiligung eines Laienteams an Gottesdiensten, die ebenfalls bis heute fortgeführt wird.

»Wir haben einfach das gemacht, was wir für richtig hielten.«

Rabbinerin Bea Wyler

Teil der Ausstellung im Landesmuseum ist auch das Wirken der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit (GCJZ) Oldenburg, die die Neugründung der Jüdischen Gemeinde 1992 finanziell und ideell unterstützte und bis heute eine wichtige Institution für den interreligiösen Austausch und die Förderung jüdischen Lebens ist. Dies macht auch eine der drei eigens für die Ausstellung produzierten Video-Arbeiten deutlich, in der Elisabeth Schlesinger und GCJZ-Vorsitzende Elke Heger über das jüdische Leben in der Stadt früher und heute sprechen.

Jugend In weiteren Videos geben Jugendliche aus der Gemeinde Einblicke, sprechen darüber, was ihnen ihr Glaube bedeutet, und erzählen von der Synagoge und dem Gemeindezentrum als Orte der Gemeinschaft und Begegnung. Nicht zuletzt erklärt Alina Treiger ihre Aufgaben und Funktionen als aktuelle Gemeinderabbinerin. Sie erzählt von ihrer Ausbildung und ihrer Rolle als eine der immer noch wenigen weiblichen Rabbiner in Deutschland.

Eingebettet ist die Ausstellung in das umfangreiche Veranstaltungsprogramm des Leo-Trepp-Lehrhauses der Jüdischen Gemeinde. Das Lehrhaus kooperiert seit 2011 eng mit der Universität Oldenburg. Gefeiert wurde dieses Jubiläum im Anschluss an die Veranstaltung im Landesmuseum zusammen mit dem zehnjährigen Bestehen des Master-Zertifikatsprogramms »Interkulturelle Jüdische Studien« und dem 25-jährigen Bestehen der Jüdischen Studien an der Uni Oldenburg.

Universitätspräsident Michael Daxner hielt die Festrede, er gehört zu den Mitbegründern der Jüdischen Gemeinde zu Oldenburg.

Die Festrede hielt der ehemalige Universitätspräsident Michael Daxner, der während seiner Amtszeit die Gründung der Jüdischen Studien angestoßen hatte und zu den Gründungsmitgliedern der Jüdischen Gemeinde zu Oldenburg gehört. Daxner betonte, dass das akademische Klima an der Hochschule und der Kontakt zur Jüdischen Gemeinde in Oldenburg damals gute Voraussetzungen dafür geboten hätten. Diese nach wie vor ausgezeichneten Beziehungen hob auch die Gemeindevorsitzende Schlesinger hervor: »Nur durch die gute Kooperation mit der Universität können wir als Gemeinde Jahr für Jahr so viele Veranstaltungen auf diesem hohen intellektuellen Niveau anbieten.«

Kultur »Mit unseren Aktivitäten und Lehrangeboten möchten wir zeigen, dass das Judentum ein integraler Teil der europäischen und deutschen Geschichte und Kultur ist«, sagte Andrea Strübind, Hochschullehrerin für Kirchengeschichte und Vorsitzende der Interkulturellen Jüdischen Studien. »Unser Ziel ist, Studierende zu kulturellen Mittlern zwischen jüdischer und christlicher Tradition auszubilden.«

Als Erfolg bezeichnete auch der Vizepräsident des Zentralrats der Juden, Abraham Lehrer, diesen Dreiklang aus Universität, Gemeinde und Lehrhaus und gratulierte allen Beteiligten auch im Namen von Zentralratspräsident Josef Schuster. Mit dem Leo-Trepp-Lehrhaus habe die Jüdische Gemeinde zu Oldenburg ihrem ehemaligen Landesrabbiner nicht nur ein ehrendes Andenken bewahrt, sondern stehe damit auch in der »Tradition eines Wirkens, das von Weltoffenheit, Gelehrsamkeit, Zuversicht und dem Glauben an die Fähigkeit des Menschen, dazuzulernen, geprägt ist«. Sie leisteten vorbildliche Arbeit, »deren Bedeutung man gar nicht genug würdigen kann«, betonte Lehrer.

Mit Blick auf die vergangenen Wochen, die durch antisemitischen Hass geprägt waren, betonte der Vizepräsident: »Angesichts dieser Lage müssen wir uns täglich aufs Neue prüfen: Tun wir genug, um unsere offene Gesellschaft und ihre Errungenschaften zu bewahren? Tun wir genug, und tun wir das Richtige im Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus?« Es dürfe keine Toleranz jenen gegenüber geben, die an den Grundfesten der Demokratie rütteln. Bildung und Prävention seien »langfristig gesehen allemal nachhaltiger als Repressionen allein«.

Zu den Gästen im Gemeindezentrum gehörten unter anderem Oldenburgs Oberbürgermeister Jürgen Krogmann sowie hohe Vertreter der Kirchen.

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