Biografie

Für die Enkel

»Das Erlebte weitergeben«: Lisa Strauß Foto: Rolf Walter

Biografie

Für die Enkel

Die Berlinerin Lisa Strauß hat aus der Überlebensgeschichte ihrer Großmutter ein Buch gemacht

von Christine Schmitt  15.02.2023 12:47 Uhr

Neun Stunden. So lange erzählte Peggy Berolsky ihren erwachsenen Enkelkindern von ihren ersten 23 Lebensjahren. Zwischen ihren Erlebnissen und den Video-Aufzeichnungen der Enkel lagen fast fünf Jahrzehnte. Viele Jahre später nahm ihre Enkeltochter Lisa Strauß sich die Videos vor, um die Überlebensgeschichte ihrer »Granny Peggy« mit all ihren Erfahrungen zu Papier zu bringen.

Das Besondere: die intensiven, detaillierten Berichte einer lebensfrohen jungen Frau, die es schaffte, sich lange Zeit vor den Nazis zu verstecken, und die mehrere Lager und einen Todesmarsch überlebte. Dabei erzählte sie auf eine sehr nüchterne Art und Weise. »Auch wenn es ihr nicht leichtfiel, war es immer Peggys Wunsch, das Erlebte weiterzugeben, es festzuhalten für die Zukunft.«

lebensgeschichten »Sie wollte darüber sprechen, was niemand anderes berichten konnte, was unvorstellbar ist für jemanden, der es nicht selbst erlebt hat«, betont Lisa Strauß, die aus den Lebensgeschichten ein Buch gemacht hat. Ergänzt werden ihre Berichte durch Kapitel, in denen die Erlebnisse in den historischen Kontext eingeordnet werden.

»Sie wollte darüber sprechen, was niemand anderes berichten konnte, was unvorstellbar ist für jemanden, der es nicht selbst erlebt hat.«

Lisa Strauss

Peggy Berolsky zeigte in ihrem Leben Courage, blieb ihren eigenen moralischen Ansprüchen treu, beispielsweise, als ein Bekannter ihr die Flucht aus dem Lager Plaszow bei Krakow ermöglichen wollte. Sie entschied sich dagegen, denn sie wusste, dass dann mindestens 50 andere Menschen ihretwegen ermordet worden wären. »Selbst wenn ich die Flucht überleben sollte, ich wäre nicht in der Lage, mit dieser Bürde zu leben«, berichtete sie 50 Jahre später mit Tränen in den Augen.
Sie musste mitansehen, wie andere hingerichtet, erschossen oder in die Gaskammer getrieben und gefoltert wurden – Letzteres musste sie selbst erleben.

1924 wurde Berolsky als Peska Weinstock in der Nähe von Krakow geboren. Ihr Vater hatte ein Spirituosengeschäft. Als die Nazis Polen besetzten, floh die siebenköpfige Familie und versteckte sich auf dem Land, bis es zu gefährlich wurde und sie in die Stadt zurückkehren musste.

auschwitz Sie wurden deportiert und ermordet – nur Peggy war weggelaufen und schlug sich durch, indem sie bei Freunden und ehemaligen Kunden unterkam, bis auch sie schließlich entdeckt und deportiert wurde. Von Auschwitz wurde sie auf den Todesmarsch nach Bergen-Belsen geschickt, wo sie an Typhus erkrankte. Damit es nicht auffiel, hakten zwei Freundinnen sie unter ihre Arme, sodass sie die stundenlangen Appelle überstehen konnte.

Nach der Befreiung kam ein Kontakt zu einem Bruder ihres Vaters zustande, der rechtzeitig nach Rhodesien emigriert war. Bis sie die Reisegenehmigung erhielt, vergingen noch einmal zwei Jahre. »Ich war sehr allein in Deutschland. Konfrontiert mit der Entscheidung, mir das Leben zu nehmen oder weiterzumachen und mir ein neues Leben aufzubauen.«

Kämpferisch blieb Peggy Berolsky immer.

In Johannesburg lernte sie ihren späteren Mann kennen. Das Paar bekam zwei Töchter. Kämpferisch blieb Berolsky immer: Als sie in einer Zeitung las, dass geleugnet wurde, wie viele Sinti und Roma in Auschwitz vergast wurden, rief sie bei der Redaktion an und erklärte, dass sie ihnen besseren Stoff liefern könne. »Das war typisch für Peggy, wann immer sie die Gelegenheit sah, etwas über den Holocaust richtigzustellen, nutzte sie diese Chance mit Entschlossenheit«, sagt Lisa Strauß.

Lisa Strauß ist nun dabei, das Buch ins Englische zu übersetzen. Sie würde sich wünschen, dass es auch in internationalen Gedenkstätten aufgenommen wird. »Ich hatte ein interessantes Leben. Ich habe immer das Beste daraus gemacht. Eines musst du verstehen: Du kannst nicht vergessen, aber du musst lernen zu vergeben. Hass hilft dir nicht weiter, er zerstört die Menschen.« Das gab sie ihren Enkelkindern mit auf den Weg.

Peggy Berolsky: »Von Krakau nach Kapstadt. Deportiert nach Auschwitz: Bericht einer Überlebenden des Holocaust«. Aufgeschrieben von Lisa Strauß, VSA, Hamburg 2023, 120 S., 12,80 €

Berlin

Margot Friedländer: Levit kämpft bei Deutschem Filmpreis mit Tränen

Beim Deutschen Filmpreis nutzt Igor Levit die Bühne, um der verstorbenen Holocaust-Zeugin Margot Friedländer zu gedenken. Dabei muss der Starpianist mehrmals um Fassung ringen. Im Saal wird es still

 09.05.2025

Zentralrat der Juden

»Margot Friedländer war eine mutige und starke Frau«

Josef Schuster hat mit bewegenden Worten auf den Tod der Holocaust-Überlebenden reagiert

 09.05.2025

Porträt

Ein Jahrhundertleben

Tausende Schüler in Deutschland haben ihre Geschichte gehört, noch mit über 100 Jahren trat sie als Mahnerin auf. Margot Friedländer war als Holocaust-Zeitzeugin unermüdlich

von Verena Schmitt-Roschmann  09.05.2025

Nachruf

Trauer um Holocaust-Überlebende Margot Friedländer 

Mit fast 90 kehrte Margot Friedländer zurück nach Berlin, ins Land der Täter. Unermüdlich engagierte sich die Holocaust-Zeitzeugin für das Erinnern. Nun ist sie gestorben - ihre Worte bleiben

von Caroline Bock  09.05.2025

Interview

Yorai Feinberg: »Die Wassermelone ist das Symbol von Judenhassern«

Der Restaurantbesitzer über den Wassermelonen-Eklat, die Welle des Antisemitismus, die regelmäßig das »Feinberg’s« trifft und über Zeichen der Solidarität

von Imanuel Marcus  09.05.2025

Berlin

Verleihung von Bundesverdienstkreuz an Margot Friedländer verschoben

Erst vor einem Monat erhielt die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer den Preis des Westfälischen Friedens. Die Verleihung einer weiteren hohen Auszeichnung findet kurzfristig jedoch nicht stat

 09.05.2025

Berlin

Margot Friedländer erhält Bundesverdienstkreuz

Erst vor einem Monat erhielt die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer den Preis des Westfälischen Friedens. Nun verleiht ihr der Bundespräsident die höchstmögliche Auszeichnung der Bundesrepublik

 09.05.2025

Interview

»Mir war himmelangst«

Die 96-Jährige Ruth Winkelmann überlebte die Novemberpogrome in Berlin. Bis heute geht sie in Schulen und spricht über ihr Schicksal - und darüber, was ihr den Glauben an die Menschheit zurückgegeben hat

von Nina Schmedding  09.05.2025 Aktualisiert

Urteil

Klage von jüdischem Erben gegen Sparkasse Hagen bleibt erfolglos

Der Großvater des Klägers hatte den Angaben zufolge 1932 ein Konto bei der Sparkasse in Hagen eröffnet und darauf Geld eingezahlt. Später floh er mit seiner Ehefrau in die Schweiz

 07.05.2025