Interview

Fünf Minuten mit

»Ein religiöses Bekenntnis darf keine negativen Rechtsfolgen haben«: Jürgen Richter Foto: Rafael Herlich

Interview

Fünf Minuten mit

Jürgen Richter über Urlaubstage an den Hohen Feiertagen, Lohnfortzahlung und wichtige Anträge

von Philipp Peyman Engel  26.08.2013 18:43 Uhr

Herr Richter, haben jüdische Arbeitnehmer an den Hohen Feiertagen Anrecht auf Urlaub?
Im Prinzip ja. Die Landesurlaubsgesetze sehen zwar vor, dass diesem Gesuch »dringliche betriebliche Belange« nicht entgegenstehen dürfen. Wenn diese Bedingung jedoch erfüllt ist, kann man sich wie kommende Woche an Rosch Haschana theoretisch freinehmen.

Und praktisch?
Nun, ob es tatsächlich klappt, ist vom jeweiligen Berufsfeld des Arbeitnehmers abhängig. In einem Krankenhaus beschäftigte Gemeindemitglieder können sich mitunter nicht so ohne Weiteres freinehmen. Die Pflege muss ja weiter gewährleistet sein.

Letztlich obliegt es also dem Arbeitgeber, ob er dem Urlaubsantrag stattgibt.
Schwer zu sagen. Es gibt den oben genannten Punkt in den Landesurlaubsgesetzen. Andererseits ist die Religionsausübung grundgesetzlich geschützt. Ein religiöses Bekenntnis darf keine negativen Rechtsfolgen haben. Wie ein Gericht im Fall der Fälle urteilen würde, weiß ich nicht. Mir ist kein Rechtsstreit bekannt. Bisher galt: Wenn ein Arbeitnehmer etwa an Jom Kippur zur Synagoge gehen will, kann er das auch tun.

Welche Feiertage betrifft das noch?
Das sind vor allen Pessach, Rosch Haschana, Jom Kippur, Sukkot, Schemini Azeret und Simchat Tora.

Benötigt der Arbeitnehmer eine Bescheinigung, um sich freinehmen zu können?
Er muss die Urlaubstage beim Vorgesetzten beantragen und in aller Regel ein Schreiben der zuständigen jüdischen Gemeinde oder des Landesverbandes einreichen. Aus diesem muss hervorgehen, um welchen jüdischen Feiertag es sich handelt und welchen Stellenwert er hat. Die Zeiten, in denen beispielsweise in Frankfurt am Main jeder Christ wusste, was Jom Kippur ist, sind bekanntlich lange vorbei.

Erfolgt eine Lohnfortzahlung, wenn man zu Rosch Haschana Urlaub beantragt?
Da es sich bei den jüdischen Feiertagen nicht um gesetzliche Feiertage handelt, erfolgt normalerweise keine Lohnfortzahlung seitens des Arbeitgebers. Zudem werden die freigenommenen Tage vom Urlaubskonto des Arbeitnehmers abgezogen.

Welche Regelungen gibt es in jüdischen Einrichtungen?
Dort wird den Arbeitnehmern der Feiertag gutgeschrieben und nicht abgezogen. Beim Landesverband der Jüdischen Gemeinden in Hessen ist es anders, da haben die Mitarbeiter Anrecht auf Lohnfortzahlung. An den jüdischen Feiertagen aus religiösen Gründen, an den christlichen, weil es gesetzliche Feiertage sind.

Dürfen sich Schüler freinehmen?

Schüler können an den betreffenden Feiertagen ebenfalls freigestellt werden. Bei Bedarf werden sie auch nur für mehrere Stunden vom Unterricht befreit, um am Gottesdienst teilnehmen zu können. Eine Bescheinigung der jüdischen Gemeinde für den Schuldirektor reicht vollkommen aus.

Wie handhaben Sie persönlich das Freinehmen über Neujahr?
Ich beantrage der Einfachheit halber zu Beginn jeden Jahres ganz normal Urlaub, etwa an Jom Kippur. Es wäre bei meinem Arbeitgeber zwar überhaupt kein Problem, freizubekommen. Unserer Personalabteilung möchte ich aber den ganzen bürokratischen Aufwand ersparen.

Mit dem Vorsitzenden des Landesausschusses der Jüdischen Gemeinden in Hessen und Geschäftsführer der AWO, Kreisverband Frankfurt/Main sprach Philipp Peyman Engel.

Antisemitismusverdacht

Ermittlung wegen Plakat »Juden haben hier Hausverbot« läuft

Ein antisemitischer Aushang in einem Flensburger Geschäft sorgt für Entsetzen. Politiker und Bürger reagieren deutlich. Die Staatsanwaltschaft schaltet sich ein

 18.09.2025

Nürnberg

Annäherung nach Streit um Menschenrechtspreis-Verleihung

Die Israelitische Kultusgemeinde hatte den diesjährigen Träger des Nürnberger Menschenrechtspreises nach Bekanntgabe des Juryvotums kritisiert. Nach Gesprächen gibt es nun offenbar eine Verständigung

 18.09.2025

Berlin

Zwölf Rabbiner blasen das Schofar

Die Jüdische Gemeinde Chabad Berlin lud zum Neujahrsempfang. Zu Gast war auch der Regierende Bürgermeister Kai Wegner

von Detlef David Kauschke  18.09.2025

Kommentar

Die Tränen des Kanzlers

Bei seiner Rede in München gab Friedrich Merz ein hochemotionales Bekenntnis zur Sicherheit jüdischen Lebens ab. Doch zum »Nie wieder dürfen Juden Opfer werden!« gehört auch, den jüdischen Staat nicht im Stich zu lassen

von Philipp Peyman Engel  18.09.2025 Aktualisiert

Berlin

Zentralrat der Juden begeht sein 75. Jubiläum

Die Dachorganisation der jüdischen Gemeinden lud zahlreiche Gäste aus Politik und Zivilgesellschaft nach Berlin. Der Bundeskanzler hielt die Festrede

von Imanuel Marcus  17.09.2025

München

Knobloch lobt Merz-Rede in Synagoge

Am Montagabend wurde in München die Synagoge Reichenbachstraße wiedereröffnet. Vor Ort war auch der Bundeskanzler, der sich bei seiner Rede berührt zeigte. Von jüdischer Seite kommt nun Lob für ihn - und ein Appell

von Christopher Beschnitt  16.09.2025

Auszeichnung

Düsseldorfer Antisemitismusbeauftragter erhält Neuberger-Medaille

Seit vielen Jahren setze sich Wolfgang Rolshoven mit großer Entschlossenheit gegen Antisemitismus und für die Stärkung jüdischen Lebens in Düsseldorf ein, hieß es

 16.09.2025

Erinnerung

Eisenach verlegt weitere Stolpersteine

Der Initiator des Kunst- und Gedenkprojekts, Gunter Demnig aus Köln, die Stolpersteine selbst verlegen

 16.09.2025

Porträt der Woche

Passion für Pelze

Anita Schwarz ist Kürschnerin und verdrängte lange das Schicksal ihrer Mutter

von Alicia Rust  16.09.2025