Lehre

Fromm heißt nicht weltfremd

Rabbiner Uri Gamson Foto: Gregor Zielke

Lehre

Fromm heißt nicht weltfremd

Rabbiner Uri Gamson unterrichtet Tora und Talmud – und hält Vorträge zu Medizin, Halacha, Psychologie und Ethik

von Detlef David Kauschke  16.08.2010 19:16 Uhr

»Man lehre die Schüler ruhig, freundlich und ohne viel Gerede«, rät der Rambam. Dieser Weisheit des großen jüdischen Denkers des Mittelalters scheint er zu folgen: Rabbiner Uri Gamson, der neue Leiter der Yeshiwa Gedola von Chabad Lubawitsch Berlin. Der 32-Jährige ist ein ausgesprochen freundlicher Mann mit ruhiger Stimme. In Hebräisch, Englisch und schon ein wenig Deutsch findet er schnell eine gemeinsame Sprache mit seinem Gegenüber. Er ist humorvoll und zugleich tiefgründig.

Vor gut zwei Wochen kam Rabbiner Gamson aus Israel nach Berlin. Dort war er Leiter der Meorot Yeshiva in Jerusalem und Gemeinderabbiner in Holon. Zusätzlich studierte er Psychologie an der Tel Aviver Bar-Ilan-Universität, besuchte Fortbildungen zu Fragen der Ehe- und Familienberatung, vertiefte sich in Themen der Medizin-Ethik, sollte nächstes Jahr seinen Bachelor-Abschluss machen.

Der richtige Ort Dies alles ließ er jetzt hinter sich. Rabbiner Yehuda Teichtal, Direktor des Jüdischen Bildungszentrums Berlin, hat ihn zu diesem Schritt bewegt. »Er hat mir deutlich gemacht, dass die Gemeinschaft in Deutschland immer mehr wächst, und dass wir gerade jetzt noch mehr für die jüdische Bildung tun müssen«, erzählt Rabbiner Gamson. Er habe danach zahlreiche Gespräche geführt, und sich im Mai auch selbst ein Bild von der Stadt und ihrer Gemeinde gemacht. »Und als wir bei diesem Besuch die mehr als tausend Menschen sahen, die bei der Lag-BaOmer-Parade mitten in Berlin auf den Straßen unterwegs waren, dachten wir: Das ist für uns der richtige Ort, hier wollen wir am Aufbau des jüdischen Lebens mitwirken.«

Mit seiner Frau Channa und dem anderthalbjährigen Sohn Moishe verbrachte er die vergangenen Tage mit der Wohnungssuche. Bislang lebten sie nur aus Koffern, doch der Container mit ihrem Hab und Gut ist bereits auf dem Seeweg in Deutschland angekommen. »Aber es wird noch eine Weile dauern, bis wir uns eingerichtet haben.« Zeitgleich nahm Rabbiner Gamson seine Arbeit auf. Jeden Tag ist er im Bildungszentrum an der Münsterschen Straße, gibt erste Schiurim und trifft Vorbereitungen für das neue Unterrichtsjahr. Zehn Studenten werden in Kürze im Beit Midrasch
eRabbanim eintreffen. Hier lernen seit 2003 angehende Rabbiner, vertiefen während ihres ein- bis zweijährigen Aufenthaltes in der Jeschiwa ihr Wissen.

Aus aller Welt »Die Studenten kommen aus aller Welt, lernen hier in Berlin. Und einige von ihnen kehren als Rabbiner auch wieder nach Deutschland zurück.« Zum Beispiel waren der Hamburger Rabbiner Shlomo Bistritzky und sein Düsseldorfer Kollege Chaim Barkahn Studenten der Berliner Jeschiwa. Auch ein junger Mann, der bislang im Tora-Kolleg lernte, wird demnächst ins Midrasch wechseln. Das Kolleg gehört zur Jeschiwa. Es ist eine Art Internat, in dem in diesem Jahr zehn Oberschüler und Studenten unterrichtet werden. »Sie lernen bei uns – neben ihrem regulären Schulunterricht oder Studium – die Grundzüge des Judentums kennen.« Und das sei ein Beispiel dafür, wie Materielles und Spirituelles miteinander verbunden sind. »Ein guter Rabbi ist nicht nur einer, der weiß, was in der Tora steht, sondern auch, was die Welt da draußen darüber denkt.« Uri Gamson lädt alle Interessierten ein, sich bei einem Besuch davon zu überzeugen. »Unsere Rabbiner und Jeschiwa-Studenten geben allen Interessierten Unterricht auf höchstem Niveau.« Zudem wird er bald mit Vorträgen beginnen, unter anderem zu aktuellen Themen aus Halacha, Medizin und Ethik.

Sehen!

Die gescheiterte Rache

Als Holocaust-Überlebende das Trinkwasser in mehreren deutschen Großstädten vergiften wollten

von Ayala Goldmann  04.05.2025 Aktualisiert

Nachruf

»Hej då, lieber Walter Frankenstein«

Der Berliner Zeitzeuge und Hertha-Fan starb im Alter von 100 Jahren in seiner Wahlheimat Stockholm

von Chris Meyer  04.05.2025

Essay

Das höchste Ziel

Was heißt es eigentlich, ein Mensch zu sein? Was, einer zu bleiben? Überlegungen zu einem Begriff, der das jüdische Denken in besonderer Weise prägt

von Barbara Bišický-Ehrlich  04.05.2025

Zusammenhalt

Kraft der Gemeinschaft

Die Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern feierte das Fest der Freiheit im Geiste von Tradition und Herzlichkeit

von Rabbiner Shmuel Aharon Brodman  03.05.2025

Porträt der Woche

Die Zeitzeugin

Assia Gorban überlebte die Schoa und berichtet heute an Schulen von ihrem Schicksal

von Christine Schmitt  03.05.2025

München

Anschlag auf jüdisches Zentrum 1970: Rechtsextremer unter Verdacht

Laut »Der Spiegel« führt die Spur zu einem inzwischen verstorbenen Deutschen aus dem kriminellen Milieu Münchens

 02.05.2025

Auszeichnung

Margot Friedländer erhält Großes Verdienstkreuz

Die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer erhält das große Verdienstkreuz der Bundesrepublik. Steinmeier würdigt ihr Lebenswerk als moralische Instanz

 02.05.2025

Berlin

Tage im Mai

Am Wochenende beginnt mit »Youth4Peace« ein Treffen von 80 jungen Erwachsenen aus 26 Ländern. Sie wollen über Frieden und Demokratie sprechen. Auch Gali und Yuval aus Israel sind dabei

von Katrin Richter  01.05.2025

Frankfurt

Zwischen den Generationen

2020 führten Jugendliche gemeinsam mit Überlebenden der Schoa ein »Zeitzeugentheater« auf. Nathaniel Knops Dokumentarfilm »Jetzt?« zeigt dessen Entstehung und feierte nun Premiere

von Eugen El  01.05.2025