Interview

»Fotografie ist meine Sprache«

Rafael Herlich über die Attacke auf eines seiner Werke, die Liebe zur Fotografie und seine Familiengeschichte

von Sophie von Zitzewitz  13.08.2022 23:14 Uhr

»Die generelle Botschaft meiner Arbeit ist, selbstbewussten Juden ein Gesicht zu geben«: Rafael Herlich Foto: TR

Rafael Herlich über die Attacke auf eines seiner Werke, die Liebe zur Fotografie und seine Familiengeschichte

von Sophie von Zitzewitz  13.08.2022 23:14 Uhr

Herr Herlich, vor rund einem Monat riss ein Unbekannter eine Ihrer Fotografien von der Wand des Berliner Restaurants »Feinberg’s« und demolierte sie anschließend in der Toilette. Was ist seitdem passiert?
Das Bild befindet sich momentan beim Landeskriminalamt (LKA), wo die Spuren untersucht werden sollen. Außerdem habe ich Anzeige erstattet. Wer der Randalierer war, weiß bis heute niemand. Das Bild selbst werde ich nicht reparieren. In Frankfurt läuft eine Dauerausstellung von mir in einem Hochbunker, genau da, wo bis 1938 eine Synagoge stand. Gezeigt wird das jüdische Leben der Gegenwart. Sobald ich das Bild zurückerhalte, kommt es dorthin. Oder ich stelle es in Berlin als Warnung aus, gleich neben einer reparierten Kopie. Das könnte ich mir auch vorstellen.

Wie gehen Sie persönlich mit dem Vorfall um?
Ich fotografiere schon viele Jahre und bin durch meine Arbeit ständig unterwegs. Manchmal laufen zwei bis drei Ausstellungen in nur einem Monat. Nirgendwo, weder in West- noch in Ostdeutschland, ist mir so etwas wie im »Feinberg’s« zuvor passiert. Das tut natürlich weh. Dass so ein Motiv – jüdische Kinder – zerstört, getreten und kaputt gemacht wird, ja, das ist unangenehm.

Wofür stehen Ihre Bilder, und warum locken sie Antisemiten an?
Die generelle Botschaft meiner Arbeit ist, selbstbewussten Juden ein Gesicht zu geben. Zu zeigen, dass die jüdische Tradition in Deutschland weitergeht und ein schönes Leben beinhaltet. Das hat etwas mit Res­pekt zu tun, mit Achtung. Und damit, dass die Menschen sehen, es gibt uns noch. Unser Alltag ist mehr als nur Schoa und Tote. Jüdisches Leben spiegelt sich in den Kindern wider, die Schabbat feiern, ihre Barmizwa, eines Tages ihre Hochzeit. So wie alle anderen haben auch Juden hier ihr Zuhause. Das passt dem ein oder anderen wahrscheinlich nicht.

Nimmt Antisemitismus auch in der Kunstszene überhand – Stichwort documenta?
Die Ereignisse der documenta empfinde ich als schrecklich, aber als etwas anderes. Mein Werk wurde bewusst zerstört. Das Beispiel von Kassel ist eine große Schande und erreicht internationale Aufmerksamkeit. Für mich persönlich ist das Abhängen meiner Fotografie und der Umstand, dass sie in eine Toilette gestopft wurde, ebenso erniedrigend. Und genauso schlimm. Beide Vorfälle haben unterschiedliche Motive, aber beide beinhalten eines – und zwar Judenhass.

Sie setzen sich seit vielen Jahren mit Ihren Fotografien für Toleranz und ein Miteinander aller Religionen ein. Haben Sie inzwischen Angst, dass Ihre Kunst auch provoziert?
Mich motiviert das nur noch mehr, meine Arbeiten auch weiterhin zu präsentieren und noch mehr Leute zu erreichen, besonders Schulkinder. Ihnen meine Bilder zu zeigen und deutsches Judentum zu erklären. Gleichzeitig sollen meine Fotos von ganz normalen Familien erzählen, deren Geschichten in Auschwitz ein Ende fanden, und sich mit der großen Frage nach dem Warum auseinandersetzen. Viele Kinder wissen das nicht. Mir gibt das Aufklären darüber Kraft und Mut, weiterzumachen.

Als Künstler ist man heute online stets präsent. Haben Sie Erfahrungen mit Antisemitismus im Netz gemacht?
Ich fühle mich im Netz sehr stark mit Menschen verbunden. Alle zwei, drei Tage erhalte ich ein Feedback zu meiner Arbeit. Meistens geht es um Motive aus Israel. Bis jetzt habe ich nicht eine einzige Hassmail bekommen.

Das Restaurant »Feinberg’s« liegt in Schöneberg, in einem der liberalsten Kieze von Berlin – fragen Sie sich da nicht, wo man jüdische Kunst noch ausstellen kann?
Überhaupt nicht. Meine Ausstellungen waren im Landtag in Erfurt zu sehen, genauso in einem Zentrum für Flüchtlinge, organisiert vom Zentralrat der Muslime, in verschiedenen Rathäusern, Kulturhäusern, in sehr vielen Schulen. Und ich muss sagen, das Interesse ist unwahrscheinlich groß. Ich habe jetzt ein Buch veröffentlicht über Vielfalt. Und aktuell fährt in Frankfurt eine U-Bahn, die die Bilder zeigt. Ich glaube, es ist die erste U-Bahn, die man sieht, wenn man aus der Oper in Frankfurt kommt. Zu sehen sind Bilder von Moscheen neben Fotos von Rabbinern in Synagogen, also ein Mix aus verschiedenen Kulturen, und das auf einer U-Bahn, die durch die ganze Stadt fährt. Am meisten begeistern mich aber immer noch die Gespräche mit Schülern – vor allem, wenn sie sagen, dass sie durch meine Fotos erst verstehen, wie schön jüdisches Leben in Deutschland sein kann.

Ist Kunst ein gutes Mittel, um Augen zu öffnen?
Die Kinder sind neugierig. Zum Beispiel sieht man auf einer meiner Fotografien drei junge Leute, die bei Makkabi Fußball spielen, alle tragen das gleiche T-Shirt mit dem Davidstern, einer von ihnen ist Christ, ein anderer Muslim, und wieder ein anderer ist Jude. Und niemand weiß, wer wer ist. Über solche Fotos können wir ins Gespräch kommen. Und auf einmal stellen sie, die jungen Neugierigen, fest, wie wenig uns trennt. Sehen Sie, letztendlich hat meine Arbeit viel mit Vertrauen zu tun. Man kann nicht einfach Menschen fotografieren, die einem ihr Gesicht nicht zeigen. Familien zu porträtieren, das heißt, mit ihnen zu sprechen und ihnen auch offen zu sagen, dass man ihre Schicksalsschläge auch in Schulen thematisieren wird. Dafür brauche ich ihr Einverständnis. Und meine Linse fängt dann ein, wie die jüdische Tradition weitergeht. Die ältere Frau mit der Nummer von Auschwitz auf dem Arm, umgeben von ihren Enkeln, sie sind alle nicht in Israel zu Hause, sondern hier, in Frankfurt. Von dieser Kraft will ich in meinen Ausstellungen erzählen. Und wenn ich einer Gruppe von jungen Menschen gegenüberstehe und nur einer oder auch zwei von ihnen verstehen, worum es geht, dann habe ich für mich begriffen, dass ich meine Arbeit fortsetzen muss.

Was war Ihre bewegendste Geschichte hinter einem Bild?
Ich erinnere mich an einen Holocaust-Überlebenden, der nach Frankfurt zurückkam und für dessen Mutter ein Stolperstein verlegt wurde. Auf meinen Fotos steht dieser Mann mit seinen Enkeln am Hauptbahnhof und erzählt ihnen davon, wie er genau an diesem Ort von seiner Mutter Abschied nehmen musste. Solche Bilder machen Kinder neugierig. Das spielt sich mitten in Deutschland ab, am Frankfurter Hauptbahnhof. Alle kennen diesen Ort, aber gleichzeitig kommt die Frage auf, warum der Mann seine Mutter damals verlassen musste – was war passiert? Ich glaube, diese Bilder erzeugen eine große Verbindung, zwischen den Schülern und mir, weshalb die Jugendlichen auch meine Zielgruppe sind.

Auf welche Art von Unterstützung hoffen Sie am meisten?
Steht vor dem Restaurant! Egal, ob es im Feinberg’s passiert oder anderswo in Deutschland – ich wünsche mir, dass an einem Ort, wo es zu Antisemitismus kommt, Menschen protestieren. Egal, wie viele es sind, aber es geht darum, deutlich zu sagen: Wir wollen mit dieser Sache nichts zu tun haben. Zu zeigen, dass wir eine andere Zukunft in Deutschland vor uns haben. Und das meine ich nicht nur in Bezug auf Juden. Wenn ein Muslim beleidigt und sein Werk zerstört wird, lautet meine Aufforderung genauso: Stellt euch hin und protestiert!

Ihre eigene Familiengeschichte ist auf tragische Weise vom Holocaust geprägt – machen Sie sich mit Ihrer Kunst bewusst auch angreifbar?
Mein Großvater und meine Großmutter wurden beide in Auschwitz ermordet. Ich habe meinen Namen von diesem Großvater, Rafael. Mein Vater überlebte Auschwitz und andere Konzentrationslager, aber er verlor einen großen Teil seiner Familie, seine Geschwister, seine erste Frau, seinen ersten Sohn, einen gerade einmal zwei Monate alten Säugling. Er konnte nicht aus seiner Haut, aber ich fühle mich verpflichtet, zu erzählen, was unserer Familie passiert ist. Die Menschen dürfen nicht wieder sagen, sie hätten nichts gewusst.

Wie sind Sie zur Fotografie gekommen? Waren Sie immer schon jemand, der die Dinge beobachtet hat?
Fotografie ist meine Sprache. Durch sie bewegt sich etwas zwischen den Menschen. Ich versuche, etwas zu erklären, und das kommt dabei heraus. Wenn man durch meine Bildbände blättert, sieht man ganz normales jüdisches Leben in Deutschland, beispielsweise einen Kindergarten, eine Schule, einen Rabbiner, der Fußball spielt, Holocaust-Überlebende in der Küche. Vielleicht eine Großmutter, die Gefilte Fisch vorbereitet. Und wenn man ganz genau hinsieht, ist auf ihrem Arm noch eine Nummer zu erkennen. Diese Bilder können überall auf der Welt verstanden werden, ohne dass es viele Worte braucht. Fotografie ist genauso eindrucksvoll wie Sprache. Aber es ist eine universelle Sprache.

Was inspiriert Sie?
Ich bin auf der Suche nach gegenseitigem Respekt. Meine Arbeit ist nicht nur jüdisch, es gibt auch andere Projekte, die ich mache, aber ich suche den Respekt zwischen den Menschen, zwischen den Religionen. Ohne Respekt haben wir es schwer. Ohne Respekt für den jeweils anderen geht es nicht.

Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, Deutschland zu verlassen?
Nein. Ganz im Gegenteil!

Mit dem Fotografen sprach Sophie von Zitzewitz.

Friedrichshain-Kreuzberg

Antisemitische Slogans in israelischem Restaurant

In einen Tisch im »DoDa«-Deli wurde »Fuck Israel« und »Free Gaza« eingeritzt

 19.04.2024

Pessach

Auf die Freiheit!

Wir werden uns nicht verkriechen. Wir wollen uns nicht verstecken. Wir sind stolze Juden. Ein Leitartikel zu Pessach von Zentralratspräsident Josef Schuster

von Josef Schuster  19.04.2024

Sportcamp

Tage ohne Sorge

Die Jüdische Gemeinde zu Berlin und Makkabi luden traumatisierte Kinder aus Israel ein

von Christine Schmitt  18.04.2024

Thüringen

»Wie ein Fadenkreuz im Rücken«

Die Beratungsstelle Ezra stellt ihre bedrückende Jahresstatistik zu rechter Gewalt vor

von Pascal Beck  18.04.2024

Berlin

Pulled Ochsenbacke und Kokos-Malabi

Das kulturelle Miteinander stärken: Zu Besuch bei Deutschlands größtem koscheren Foodfestival

von Florentine Lippmann  17.04.2024

Essay

Steinchen für Steinchen

Wir müssen dem Tsunami des Hasses nach dem 7. Oktober ein Miteinander entgegensetzen

von Barbara Bišický-Ehrlich  16.04.2024

München

Die rappende Rebbetzin

Lea Kalisch gastierte mit ihrer Band »Šenster Gob« im Jüdischen Gemeindezentrum

von Nora Niemann  16.04.2024

Jewrovision

»Ein Quäntchen Glück ist nötig«

Igal Shamailov über den Sieg des Stuttgarter Jugendzentrums und Pläne für die Zukunft

von Christine Schmitt  16.04.2024

Porträt der Woche

Heimat in der Gemeinschaft

Rachel Bendavid-Korsten wuchs in Marokko auf und wurde in Berlin Religionslehrerin

von Gerhard Haase-Hindenberg  16.04.2024