Schum-Städte

Epizentrum der Juden

Die Synagoge in Worms Foto: imago

Schum-Städte

Epizentrum der Juden

Speyer, Worms und Mainz arbeiten an ihrer Bewerbung als Weltkulturerbe

von Astrid Ludwig  26.10.2016 13:44 Uhr

Vor einiger Zeit traf Stella Schindler-Siegreich in Worms eine Gruppe von Schülerinnen. Die Mädchen einer jüdischen Schule waren mit dem Bus aus London angereist, um den Friedhof »Heiliger Sand« zu sehen, der mit mehr als 2500 Gräbern der älteste und am besten erhaltene jüdische Friedhof in Europa ist. Er wurde im 11. Jahrhundert zeitgleich mit der ersten Synagoge in Worms angelegt.

Schindler-Siegreich ist Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Mainz, wohnt aber in der Nähe von Worms und führt oftmals selbst Besuchergruppen über den Heiligen Sand. Hier sind bedeutende Rabbiner begraben, wie Schlomo ben Jizchak, der »Raschi«, einer der bedeutendsten Gelehrten des Judentums im Mittelalter.

Touristen
Der Wormser Friedhof ist für die Gemeindevorsitzende »eine Brücke in die Vergangenheit und zu den Rabbinern, die heute noch unser Alltagsleben prägen. An Worms kommt man einfach nicht vorbei«. Die Stadt sei Anziehungspunkt für jüdische Besucher und viele Touristen aus Israel. »Im Sommer treffe ich fast täglich israelische Gruppen in Worms und Mainz«, berichtet Schindler-Siegreich.

Die SchUM-Städte stehen seit 2014 auf der Vorschlagsliste Deutschlands für Weltkulturerbestätten. 2020 soll die Bewerbung bei der UNESCO in Paris eingereicht werden, ein Jahr später könnte bereits eine Entscheidung fallen. SchUM ist ein Akronym aus den Anfangsbuchstaben der mittelalterlichen Namen Schpira, Warmaisa und Magenza für Speyer, Worms und Mainz. Die drei Orte galten als das »Jerusalem am Rhein« und waren Mittelpunkt jüdischer Weisheit und Gelehrsamkeit.

»Sie waren das Epizentrum für Juden«, sagt die Historikerin Susanne Urban. Viele der wichtigsten Gelehrten haben hier studiert und unterrichtet. Die 48-Jährige ist seit November 2015 Geschäftsführerin des Vereins »SchUM-Städte Speyer, Worms, Mainz«. Ihm gehören das Land Rheinland-Pfalz, die Städte Worms, Speyer und Mainz, die Jüdische Gemeinde Mainz, die Jüdische Kultusgemeinde der Rheinpfalz und der Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Rheinland-Pfalz an. Rund 140.000 Euro stehen als jährliches Budget zur Verfügung.

Mittelalter Urban wirbt um Aufmerksamkeit für die Besonderheit der Städte und kümmert sich darum, dass die Bewerbung als Weltkulturerbe in Schwung kommt. Sie glaubt fest an den Erfolg. »Die drei Städte waren vom 11. bis 14. Jahrhundert religiös und auch architektonisch ein Verbund. Im Synagogen- und auch Mikwenbau etwa haben sie eine neue Architektursprache erfunden«, sagt Urban. So wurde 1212 in Worms ein Frauentrakt an die Synagoge angebaut, was zu dieser Zeit sehr ungewöhnlich war. Speyer übernahm die Idee. Auch die romanischen Mikwen entstanden auf diese Weise. Als Turm in die Erde gebaut statt an den Fluss, waren sie Statussymbol, nicht Zweckbau. Speyer war hier der Vorreiter für Worms.

Zusammen mit dem Friedhof in Mainz können die drei Städte sechs Monumente in die Waagschale für die UNESCO-Bewerbung legen. »Die SchUm-Städte waren ein Zentrum für ganz Europa.« Es gibt in Rumänien eine Synagoge aus Holz, in deren Decke sich ein großes Bild von Worms befand, erzählt die Historikerin. Sie hält die Bewerbung für aussichtsreich. »Es wäre die erste Weltkulturerbestätte, die das Judentum ins Zentrum stellt«, betont Urban. Zwar gebe es beispielsweise Masada in Israel, aber dessen Wurzeln seien römisch, nicht jüdisch. Der Welterbe-Status für die SchUM-Städte würde ihrer Ansicht nach ein Zeichen setzen und jüdische Geschichte als deutsches, europäisches und Welterbe wertschätzen.

Das sieht auch Stella Schindler-Siegreich so. »Es wäre die Anerkennung, dass jüdische Geschichte seit Jahrhunderten zu diesem Land und dieser Gesellschaft gehört.« Die SchUM-Städte bedeuten für sie, »dass es auch eine Geschichte vor der Schoa gab, an der sich viele Menschen orientiert und deren Lehren bis heute Einfluss haben«. Auch in Israel, sagt sie, sei man sich der Geschichte und der historischen Spuren der SchUM-Städte sehr bewusst.

Tourismus Touristisch und kulturhistorisch spielen diese jüdischen Wurzeln bereits heute eine wichtige Rolle für die drei Städte – erst recht seit der UNESCO-Bewerbung, aber auch unabhängig davon. »Wir merken schon jetzt, dass mehr Besucher kommen«, sagt Susanne Urban, darunter viele Schulklassen, aber auch Erwachsenengruppen – Juden wie Nichtjuden.

In Frankfurt, berichtet Stella Schindler-Siegreich, gebe es etwa ein Taxiunternehmen, das sich auf die SchUM-Städte spezialisiert hat und Besucher nach Worms, Speyer oder Mainz fährt. Bei einer erfolgreichen Welterbe-Bewerbung müssten diese Besucherströme mehr gelenkt werden, sagt Susanne Urban. Ein UNESCO-Besucherzentrum müsste gebaut, das museale Angebot und die Zahl an Führungen ausgebaut werden. Auch daran arbeitet Urban. Übung hat sie darin. Zuvor war sie Mitarbeiterin im Jüdischen Museum in Frankfurt.

Berlin

Bundesregierung und israelische Botschaft schicken gute Wünsche zu Jom Kippur

»Jüdisches Leben und jüdische Kultur gehören seit jeher zu unserem Land – gestern, heute und morgen«, so die Regierung in dem Feiertagsgruß

 01.10.2025

Terror

»Das Einfühlungsvermögen für Juden ist aufgebraucht«

Die Berliner Psychologin Marina Chernivsky zieht eine bittere Bilanz nach dem 7. Oktober

von Franziska Hein  30.09.2025

DP-Camp Föhrenwald

Geboren im »Wartesaal«: Das Leben nach dem Überleben der Schoa

Wer das Morden der Nazis überlebt hatte, wusste oft nicht, wohin. Hunderttausende Juden kamen zunächst in Camps für »Displaced Persons« unter. Fiszel Ajnwojner wurde dort geboren

von Leticia Witte  30.09.2025

Erfurt

Hinweise auf antisemitisches Motiv nach Attacke

Der weiterhin flüchtige Täter habe dem jungen Mann nicht nur seine Halskette mit Davidstern geraubt, sondern ihn auch als Juden beschimpft

 30.09.2025

Interview

»Der Attentäter ist mir egal. Das ist eine Sache zwischen mir und Gott«

Vor sechs Jahren wurde Rabbiner Jeremy Borovitz an Jom Kippur in der Synagoge in Halle beinahe ermordet. Seitdem hat dieser Feiertag für ihn eine ganz neue Bedeutung

von Mascha Malburg  30.09.2025

Andenken

Neues Buch über Margot Friedländer: »Eine Stimme für das Leben«

Am 9. Mai dieses Jahres ist mit Margot Friedländer eine der bekanntesten Schoa-Überlebenden gestorben. Nun kommt ein Buch über sie heraus - mit Fotos, Gedanken und Erinnerungen

von Leticia Witte  29.09.2025

Berlin

Mit Mohn, Kardamom und Sesam: Jüdische Backwaren mit Geschichte

Schokolade und Marzipan, Chili und Tahini: In einer einzigartigen Berliner Bäckerei beleben zwei Männer die jüdische Gebäckkunst neu

von Nina Schmedding  29.09.2025

Antisemitismus

Haltung zeigen

Judenhass im Klassenzimmer – in einem Workshop erfahren Lehrkräfte, wie sie klare Grenzen setzen

von Anita Hirschbeck  28.09.2025

Meinung

Steht auf gegen Judenhass!

Eine Reihe antisemitischer Vorfälle in den vergangenen Tagen hat die jüdische Gemeinschaft in Deutschland erschüttert. So darf es nicht weiter gehen. Ein Appell an die Zivilgesellschaft

von Jan Feldmann  26.09.2025