27. Januar

Die letzten acht Buchstaben

Bundeskanzlerin Angela Merkel und Rabbiner Shaul Nekrich während der Zeremonie im Bundestag Foto: picture alliance/dpa/AFP POOL

Ein symbolhafter Akt mit tiefgreifender Bedeutung stand im Zentrum des Holocaust-Gedenkens am 27. Januar in Berlin: Im Andachtsraum des Deutschen Bundestages wurde im Anschluss an die Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus die vemutlich älteste Torarolle Süddeutschlands vervollständigt. Der Sofer schrieb mit dem Gänsekiel und reiner Tinte die letzten acht Buchstaben in die heilige Schrift.

Normalerweise geschieht dies in einer Synagoge. Am Mittwoch aber standen die Repräsentantinnen und Repräsentanten der Verfassungsorgane Deutschlands Pate: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU), Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Bundesratspräsident Reiner Haseloff (CDU) und Bundesverfassungsgerichtspräsident Stephan Harbarth verpflichten sich mit den letzten Buchstaben der Torarolle, jüdisches Leben in Deutschland zu schützen und dauerhaft zu ermöglichen.

rabbiner Von jüdischer Seite nahmen an der Zeremonie teil: der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, die Gedenkrednerin und Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, sowie der Amberger Rabbiner Elias Dray.

Dem Rabbiner ist es zu verdanken, dass die mehr als 200 Jahre alte Torarolle überhaupt gefunden wurde. Die Schriftrolle datiert auf das Jahr 1793 und trägt die Inschrift »Sulzbach«. Gut 70 Jahre hatte sie unerkannt im Schrein der Amberger Synagoge gestanden, bevor Rabbiner Dray das wertvolle Stück im Jahr 2015 fand, wie er erzählt. »Es war ein Glück, dass sie eine Inschrift an der Halterung hatte mit der Jahreszahl ihrer Entstehung.« Sonst wäre er kaum auf sie aufmerksam geworden. »Nur etwa jede tausendste Rolle trägt außen eine Jahreszahl.«

Angefertigt wurde das Pergament mit den fünf Büchern Mose für die Synagoge in Sulzbach. Dort existierte bis 1851 auch eine der fünf größten hebräischen Buchdruckereien der Welt. 1934 löste sich die dortige Gemeinde auf, die Rolle kam in die jüdische Gemeinde nach Amberg. Kurz vor der Pogromnacht 1938 versteckte sie der letzte Religionslehrer der jüdischen Gemeinde im Amberger Heimatmuseum.

sulzbach Damit hat das Schriftstück wie durch ein Wunder nicht nur den großen Stadtbrand von 1822 in Sulzbach überdauert, sondern auch den Nationalsozialismus und legt heute Zeugnis dafür ab, dass jüdisches Leben in der Oberpfalz schon seit Jahrhunderten existiert.

Nach ihrem Auftritt in Berlin kommt die Rolle zunächst erneut unter Verschluss, bevor sie im Juni in Amberg feierlich in Empfang genommen und in die Synagoge eingebracht wird.

Zur Begutachtung brachte Dray die Torarolle nach Israel. Dort stellte man fest, dass eine Restaurierung der aus 30 Tierhäuten bestehenden, 24 Meter langen und 65 Zentimeter hohen Rolle rund 45.000 Euro kosten würde – zu viel für die Israelitische Kultusgemeinde Amberg. Beschädigt aber darf eine Tora nach jüdischen Gesetzen nicht mehr für Gottesdienste verwendet werden. Sie kann, wie in solchen Fällen üblich, auf einem jüdischen Friedhof beerdigt werden.

Der Bund übernahm daraufhin fast die gesamten Kosten, um das imposante Zeugnis jüdischen Lebens in Bayern zu erhalten. Die aufwendige Restauration dauerte fast zwei Jahre. Vor jeder Schreibsitzung bittet der Sofer Gott um die physische und mentale Kraft. Es wird von rechts nach links geschrieben. Kein Buchstabe darf an den anderen anstoßen, sonst ist alle Arbeit umsonst.

synagoge Nach ihrem Auftritt in Berlin kommt die Rolle zunächst für ein paar Monate erneut unter Verschluss, bevor sie im Juni im Amberger Rathaus feierlich in Empfang genommen und bei einem Festumzug in die Synagoge eingebracht wird. Dort soll sie auch wieder im Gottesdienst verwendet und nicht nur wie ein Museumsstück ausgestellt werden, sagt der Rabbiner.

Das Holocaust-Gedenken im Deutschen Bundestag stand diesmal im Zeichen des Jubiläumsjahres »321-2021: 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland«.

Das Jubiläumsjahr, das an den frühesten Quellennachweis einer jüdischen Gemeinde im deutschsprachigen Raum im Jahr 321 erinnert, soll auf die jahrhundertelange gemeinsame christlich-jüdische Geschichte aufmerksam machen sowie auf die prägende Rolle jüdischen Lebens und jüdischer Kultur in Deutschland und Europa vor und nach der Schoa.

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