Judenhass

»Der Gewalt entgegenstellen«

Michael Blume, Antisemitismusbeauftragter der Landesregierung von Baden-Württemberg Foto: Chris Hartung

Judenhass

»Der Gewalt entgegenstellen«

Michael Blume, Landesbeauftragter gegen Antisemitismus, zieht eine erste Bilanz seiner Tätigkeit

von Heidi Hechtel  09.01.2020 15:54 Uhr

Michael Blume, der Antisemitismusbeauftragte der Landesregierung von Baden-Württemberg, ist ein Mann der klaren Worte. Auf die Frage »Glauben Sie, dass der Antisemitismus überhaupt zu stoppen ist?« gibt er eine eindeutige Antwort: »Nein!«

Lehrhaus Als Titel einer Veranstaltung mit Michael Blume im Haus Abraham der Stiftung Lehrhaus in Stuttgart bewusst plakativ formuliert, hat diese Frage ein spürbar beunruhigtes Publikum angezogen. Blumes Befürchtung einer geringen Resonanz, weil selbst der antisemitische Anschlag von Halle durch Alltag und Aktualität verdrängt sein könnte, war unbegründet. Die Frage brennt auf den Nägeln, der Schrecken ist nachhaltig.

»Ich habe meine meisten Einsätze in Schulen.« Michael Blume

»Der Antisemitismus ist kein Oberflächenphänomen, sondern weiter verbreitet, als gemeinhin angenommen wird«, warnte Blume bereits in seinem ersten Bericht an die Landesregierung vom Juli.

Pittsburgh »Wir werden weiterhin solche Gewalttaten erleben«, sagt er und rekapituliert antisemitische Anschläge wie in Oslo, Charlottesville, Pittsburgh, immer wieder Frankreich, auch Polen und gerade vor ein paar Tagen New Jersey. »Die Gewalt nimmt weltweit zu. Wir müssen uns entgegenstellen. Mit aller Macht.«

»Und wir haben doch gedacht, das Thema sei, zumindest für uns in Deutschland, nach NS-Terror und Holocaust für immer erledigt«, spricht Heiner Küenzlen vom Vorstand des Hauses Abraham vielen Zuhörern aus der Seele.

Der Antisemitismus, zitiert Blume einen englischen Rabbiner, »beginnt zwar mit Juden, doch er endet nicht mit Juden« und setze sich fort in der Diskriminierung anderer Gruppen wie Sinti, Roma, Homosexuellen, Behinderten. »Es steigt nicht die Zahl der antisemitischen Taten«, betont Blume, »aber die Radikalisierung nimmt zu. Man sagt laut und ungeniert, was man noch vor zehn Jahren nicht zu sagen wagte, und tauscht sich darüber einvernehmlich aus.«

Internet Das Internet habe großen Anteil daran. Jeden Tag, so Blume, müsse er sich mit unsäglichem Hass und Verschwörungstheo­rien auseinandersetzen, die fassungslos machen und darin gipfeln, dass der Anschlag von Halle vom Bundesnachrichtendienst inszeniert worden sei. Dass die Bundesrepublik von Juden kontrolliert werde, gehöre zum Stammrepertoire.

»Reden wir lieber davon, was wir dem Antisemitismus entgegensetzen können und müssen.« Heiner Küenzlen

Der Humor, den Blume sich trotzdem bewahren will, hat dabei schon etwas von Galgenhumor: »Es hat keinen Sinn, gegen Verschwörungstheorien zu argumentieren, diesem Wahn ist nicht zu entkommen.« Blume nennt erwachsene Menschen, die mit diesem vergiftenden Hass infiziert seien, »hoffnungslose Fälle«.

»Reden wir lieber davon, was wir dem Antisemitismus entgegensetzen können und müssen.« Mit diesen Worten gibt Küenzlen das Signal für eine Strategie des Widerstands und der Hoffnung.

Bildung Der Bildung von Kindern und Jugendlichen kommt dabei naturgemäß die größte Rolle zu. »Ich habe meine meisten Einsätze in Schulen«, berichtet Blume. Dort treffe er immer wieder auf Lehrer, die ihm ihr Leid klagen: dass sie im Unterricht über die monotheistischen Weltreligionen auch über das Judentum aufklären sollen, dafür zwar formales Wissen an die Hand bekommen, aber keine Juden kennen.

Der Religionswissenschaftler Blume hat dazu klare Vorstellungen: »Die gemeinsamen Wurzeln von Judentum, Christentum und Islam müssen viel stärker herausgearbeitet werden. Und den Lehrern muss die Möglichkeit zu Begegnungen auf Augenhöhe gegeben werden.« Seine Forderungen lauten unter anderem: Ethikunterricht von der ersten Klasse an, Lehreraustausch mit Israel und nicht zuletzt eine Durchforstung der Schulbücher im Hinblick auf antisemitische Stereotype.

Konstanz Michael Blume erinnert daran, dass die Regierung von Baden-Württemberg 2010 einen Staatsvertrag mit den jüdischen Gemeinden im Land geschlossen hat, der die finanzielle Unterstützung regelt. »Mit dem Geld konnten neue Synagogen im Land, wie gerade in Konstanz, gebaut werden.«

Die Bereitstellung von Mitteln im nächsten Haushalt des Landes, zum Beispiel für den Bereich Bildung, werde zur Messlatte, ob der Kampf gegen Antisemitismus von der Politik ernst gemeint oder nur »wolkiges Gerede« ist.

Es sei unverzichtbar, betont der Antisemitismusbeauftragte, »damit sie es dieses Mal nicht schaffen, unsere Demokratie zu zerstören«.

Jubiläum

»Eine Zierde der Stadt«: Vor 30 Jahren wurde das Centrum Judaicum in Berlin eröffnet

Es ist einer der wichtigsten Orte jüdischen Lebens in Deutschland: Vor 30 Jahren wurde das Centrum Judaicum in der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin eingeweiht. Am Dienstag würdigt dies ein Festakt

von Gregor Krumpholz, Nina Schmedding  11.11.2025

Vertrag

Jüdische Gemeinde Frankfurt erhält mehr Gelder

Die Zuwendungen durch die Mainmetropole sollen bis 2031 auf 8,2 Millionen Euro steigen

von Ralf Balke  11.11.2025

Berlin

Ein streitbarer Intellektueller

Der Erziehungswissenschaftler, Philosoph und Publizist Micha Brumlik ist im Alter von 78 Jahren gestorben. Ein persönlicher Nachruf

von Julius H. Schoeps  11.11.2025

Hannover

Ministerium erinnert an 1938 zerstörte Synagoge

Die 1938 zerstörte Neue Synagoge war einst mit 1.100 Plätzen das Zentrum des jüdischen Lebens in Hannover. Heute befindet sich an dem Ort das niedersächsische Wissenschaftsministerium, das nun mit Stelen an die Geschichte des Ortes erinnert

 10.11.2025

Chidon Hatanach

»Wie schreibt man noch mal ›Kikayon‹?«

Keren Lisowski hat die deutsche Runde des Bibelquiz gewonnen. Jetzt träumt sie vom Finale in Israel

von Mascha Malburg  10.11.2025

München

Gelebte Verbundenheit

Jugendliche engagieren sich im Rahmen des Bundesfreiwilligendienstes in den Einrichtungen der Israelitischen Kultusgemeinde

von Esther Martel  09.11.2025

Sport

»Die Welt spielt gerade verrückt«

Alon Meyer über seine Wiederwahl zum Makkabi-Präsidenten in ganz besonderen Zeiten, den enormen Mitgliederzuwachs und die Zukunft des jüdischen Sportvereins

von Helmut Kuhn  09.11.2025

Erlangen

Bald ein eigenes Zuhause

Nach jahrzehntelanger Suche erhält die Jüdische Kultusgemeinde ein Grundstück für den Bau einer Synagoge

von Christine Schmitt  09.11.2025

Erinnerung

Den alten und den neuen Nazis ein Schnippchen schlagen: Virtuelle Rundgänge durch Synagogen

Von den Nazis zerstörte Synagogen virtuell zum Leben erwecken, das ist ein Ziel von Marc Grellert. Eine Internetseite zeigt zum 9. November mehr als 40 zerstörte jüdische Gotteshäuser in alter Schönheit

von Christoph Arens  09.11.2025