Porträt der Woche

»Der beste Job der Welt«

»Ich bin Vollzeitvater«: Zachary Gallant (29) mit seinem kleinen Sohn Foto: Jörn Neumann

Ich lebe ein wirklich gesegnetes Leben. Meine Woche ist voll mit Freude. Derzeit habe ich keinen offiziellen Beruf, ich bin seit einem Jahr Hausmann und seit Kurzem auch Vollzeitvater. Das ist der beste Job der Welt. Vorher habe ich als Wahlkampfmanager in den USA gearbeitet, ebenso als Wissenschaftler und Aktivist für Menschenrechte im ehemaligen Jugoslawien. Aber in diesen Jahren habe ich nie die Freude empfunden, die meine Familie mir bereitet.

In meiner Freizeit bin ich Autor. Vergangenes Jahr habe ich ein eher populärwissenschaftliches Buch über internationale Politik geschrieben und ein Kinderbuch. Aber das ist nur ein Teilzeitjob: In erster Linie bin ich Hausmann und Vater.

In letzter Zeit gab es in meinem Leben einige besondere Ereignisse: unsere Hochzeit, der Umzug von Berlin ins Rheinland, in eine Kleinstadt bei Bonn, und die Geburt unseres Sohnes. Kennengelernt habe ich meine Frau Katharina auf einer internationalen Konferenz in Berlin im Dezember 2011. Weniger als ein Jahr später lud ich sie nach Valencia ein, um mit ihr den größten Tomatenkampf der Welt, La Tomatina, zu erleben. Unser erstes Date. Einen Monat später, nach dem Ende meines Masterstudiums in London, kam ich wieder nach Berlin, um sie zu überzeugen, dass ich der richtige Mann für sie bin.

Hochzeit Vor einem halben Jahr habe ich meine Frau geheiratet. Sie ist protestantisch. Es war einer der besten Tage meines Lebens. Dieser Eindruck wird unauslöschlich bleiben – wenngleich die Planung wirklich nicht einfach war. Auf der evangelischen Seite lief alles glatt: Der Pfarrer war glücklich über die Idee einer interreligiösen Hochzeit, und auch mit der Familie meiner Frau gab es keine Probleme. Es war meine Seite, die Schwierigkeiten machte.

Einige in meiner Familie waren nicht wirklich begeistert über die Idee einer Hochzeit in Deutschland. Wir bekamen auch keine Unterstützung von der hiesigen jüdischen Gemeinde. Trotz eines sehr komplizierten Planungsprozesses wurde es dann aber doch noch die schönste Hochzeit, die ich mir vorstellen kann.

In der Kirche in Bonn wurden wir vom Pfarrer und von Susan Borofsky, unserer jüdischen Kantorin mit der goldenen Stimme, begrüßt. Eingebettet in deutsche und hebräische Gebete hielt der Pfarrer eine schöne Predigt über Versöhnung und die Einheit der monotheistischen Religionen. Dann schritten wir zum Eingang der Kirche, wo unsere Mütter und Schwestern die Chuppa hielten. Die Großmutter meiner Frau verlas den Text des jüdischen Ehevertrags. Susan Borofsky sang die hebräischen Gebete und Lieder und erklärte den nichtjüdischen Gästen unsere Bräuche und deren Bedeutung.

Nachdem wir die Ringe getauscht hatten und in drei Sprachen gesegnet worden waren, fuhren wir in ein Hotel am Rheinufer. Dort haben wir mit rund 100 Gästen gefeiert. Sie kamen aus 15 Ländern auf fünf Kontinenten. Die meisten allerdings waren Deutsche: Studenten, Professoren, Mechaniker, Ärzte, Künstler, Barone, Ritter, Lehrer, Kellner ... Bis vier Uhr morgens feierten wir wie eine große Familie.

Familie
Die Heilung, die in den Herzen meiner Familie bei unserer Hochzeit stattfand, kann ich kaum in Worte fassen, und ich bezweifle nicht, dass auch meine neue deutsche Familie etwas Ähnliches empfunden hat. Eine solche Heilung wäre nicht möglich in dem Deutschland, das sich meine Familie vor diesem Ereignis vorgestellt hatte.

Judentum ist für mich mehr, als an die Opfer des Holocaust zu erinnern, mehr, als Israel zu unterstützen, mehr, als auf Antisemitismus aufmerksam zu machen. Judentum ist ein moralisches System und eine Kultur, die dabei helfen, ein gutes Leben zu führen. Eine empathische Weltanschauung, die Wichtigkeit von Bildung, das Aufgehen in der großen Gemeinde und der Menschheit – das sind die jüdischen Elemente, die mein Leben bestimmen.

Unsere Kinder werden jüdisch aufwachsen. Und sie werden evangelisch aufwachsen. Sie werden als Amerikaner aufwachsen. Und als Deutsche. All das wird in Deutschland stattfinden, inmitten liebevoller Freunde und Familienmitglieder verschiedener ethnischer Hintergründe und Glaubensrichtungen.

religion Religion ist meiner kleinen Familie wichtig, aber das Wichtigste ist ethisches Handeln: Großzügigkeit, Freundlichkeit, der Glaube an die Menschenrechte und die jüdisch-ethische Verpflichtung, sich für die Verbesserung der Welt einzusetzen – das sind für mich die wichtigsten Elemente bei der Beurteilung einer Person, nicht die Religionszugehörigkeit. Die wichtigste Botschaft unser beider Religionen, jüdisch und evangelisch, ist: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst! Wir sind alle Kinder Gottes. Alles andere ist Beiwerk.

Als Antwort auf das Schreckliche der jüngeren Vergangenheit ist Deutschland heute einer der führenden Staaten in der Praxis einer empathischen Weltanschauung. Von hohem Verantwortungsgefühl fürs Soziale geprägt, umweltbewusst und pazifistisch, unter starker Betonung der globalen Entwicklung und der Menschenrechte. Hier ein moralisch gutes jüdisches Leben zu leben, ist leichter als überall sonst, wo ich schon gelebt habe.

Gemeinde Wir haben versucht, mit der jüdischen Gemeinde in Deutschland in Kontakt zu kommen. Ich stamme aus einer jüdischen Tradition in Amerika, die Wert legt auf interkulturellen Kontakt und – noch wichtiger – die Gleichheit der Geschlechter und aller Menschen. In meiner Gemeinde hatten wir eine »Offene-Tür-Politik«, wo sich an hohen Feiertagen Männer und Frauen zusammensetzten und islamische oder christliche Redner zwischen dem Lesen der Tora und der Predigt des Rabbis zu uns sprachen.

In Deutschland habe ich das Gegenteil erlebt: eine Gemeinde, die in der Synagoge Männer und Frauen trennt, eine Gemeinde, die sich von der Welt isoliert, eine Gemeinde, wo der eigentlich fortschrittliche Rabbi sich nicht traut, eine jüdisch-christliche Verbindung einzusegnen. Ich kann diese altmodische Ethik nicht unterstützen. Und so bleibe ich Mitglied meiner alten jüdischen Gemeinde in Amerika, bis ich eine aufgeschlossene Gemeinde in Deutschland finde.

Das Rheinland ist ein besonderer Ort – perfekt für meinen jetzigen Lebensabschnitt. Das Siebengebirge und der Rhein sind beide direkt vor unserer Tür, und hier kann ich mit meinem Sohn an der frischen Luft rennen und klettern, ohne die Sorgen und Ängste von Eltern in Großstädten wie Berlin oder Washington. Wir leben auch in der Nähe einer fortschrittlichen jüdischen Gemeinschaft, die allerdings keine tatsächliche Gemeinde ist. Die Leute im Rheinland sind friedlich, und die Menschen sagen einander »Guten Tag«, wenn sie sich im Park oder auf der Straße begegnen.

Bevor ich meine Frau kennenlernte, hatte ich viel Stress im Leben. Bei Wahlkämpfen in korrupten und unterprivilegierten Städten in den USA und bei Aktionen in Osteuropa und im ehemaligen Jugoslawien habe ich Konflikte in vielen Formen erlebt. Für meine Familie wünsche ich mir nur Frieden und Freude.

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