100 Jahre Synagoge

Das Wunder von Augsburg

Feierliche Stimmung in der Augsburger Synagoge Foto: dpa

100 Jahre Synagoge

Das Wunder von Augsburg

Mit einem Festakt feierte die Israelitische Kultusgemeinde das Jubiläum

von Katrin Diehl  04.07.2017 10:38 Uhr

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) nennt sie »unser großes Glück«. Und sie wird im Laufe dieses festlichen Abends noch einige schmucke Titulierungen bekommen: »Juwel«, »Meisterwerk«, »Wunder«. Die Augsburger Große Synagoge wird 100 Jahre alt, und ja, sie ist atemberaubend schön mit orientalischen Elementen, Anleihen aus dem Jugendstil und der Neuen Sachlichkeit. Doch was ihr die größte Bedeutung verleiht, ist, dass es sie überhaupt noch gibt. Als einzige Großstadtsynagoge Bayerns, als eine der wenigen Synagogen Deutschlands überstand sie das Dritte Reich. Die Nationalsozialisten hatten sie geschändet. Völlig zerstört haben sie sie nicht.

800 Plätze bietet die Synagoge. Sie sind alle besetzt. Ganz vorne haben neben Alexander Mazo, Präsident der IKG Schwaben-Augsburg, der Bundespräsident und seine Frau Platz genommen, daneben sitzt der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU), auch er mit Gattin. Wenn man von der Frauenempore hinunterschaut, leuchten einem die rotseidenen Kippot entgegen, die im mediterran anmutenden Vorhof zur Synagoge für die männlichen Gäste bereitlagen. Mit den grün schillernden Programmheften fächelt man sich an diesem warmen Tag ein wenig Luft zu.

In acht Reihen im hinteren Bereich machen auf den Plätzen weiße Zettel auf Reservierungen aufmerksam. Fast 100 Nachkommen ehemaliger jüdischer Augsburger sind aus aller Herren Länder angereist. Man spricht Englisch oder Hebräisch miteinander, ein kleiner Junge, fein herausgeputzt, räkelt sich auf der Bank und beäugt gelangweilt die Szene. Unter den Erwachsenen kursieren Zeitungsartikel mit Fotos, auf denen sie sich freudig wiedererkennen.

symbolik Ganz Augsburg scheint berührt von den Festivitäten während der Arbeitswoche. Die ausländischen Gäste waren im Goldenen Saal des Rathauses von Oberbürgermeister Kurt Gribl (CSU) empfangen worden. Die Lokalzeitung berichtete auf Seite eins, weiträumig werden Blöcke auf freien Plätzen verteilt, Polizisten und Security allerorten. Der Festakt war für die 1500 Mitglieder zählende Augsburger Gemeinde ein Kraftakt, der jetzt endlich nach seinem Höhepunkt verlangte.

Nach Händels Feuerwerksmusik (Philharmonisches Orchester Augsburg; später hören die Gäste noch den wunderbaren Madrigalchor bei St. Anna sowie die liturgischen Gesänge von Kantor Amnon Seelig), die den Raum bis in die Kuppel mit Erhabenheit erfüllt, tritt Alexander Mazo ans Rednerpult. Seine Begrüßung fällt trotz nüchterner Sprache persönlich aus, hat beinahe etwas Poetisches. Mazo nennt es ein »Wunder«, dass die Synagoge »die Katastrophen des 20. Jahrhunderts überstanden« habe. Zudem seien dem Gebäude während der gesamten Nachkriegszeit hässliche Um- oder Ausbauten im Innern erspart geblieben – auch das ein Wunder.

»Man überließ die Schönheit des Raumes den Tauben, die durch die zerbrochenen Fensterscheiben ein- und ausflogen. Welch eine Symbolik!« Und dann nennt er das »größte Wunder«: »Die jüdischen Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion, sie strömten in großer Zahl in die Stadt, die Gemeinde platzte aus allen Nähten.« Ein hoffnungsfroheres Kompliment hätte er seinen Gemeindemitgliedern kaum machen können.

herzensanliegen »Was für ein schöner Raum und was für ein besonderes Haus«, schwärmt Frank-Walter Steinmeier. Dass die Augsburger Große Synagoge nicht »durch den Mut Einzelner gerettet« worden sei, »sondern durch die Angst des braunen Mobs, der befürchtet hatte, eine benachbarte Tankstelle könnte explodieren«, dass es allerorten »fehlendes Mitleid mit den jüdischen Nachbarn, fehlenden Mut gegenüber den Mächtigen« gegeben habe, das mache es für einen Bundespräsidenten sehr schwer, Worte zu finden.

Steinmeier äußert sich scharf und deutlich zum Thema Antisemitismus. »Er steckt in der tumben Hetzparole ebenso wie in der versteckten, scheinbar entgleisten intellektuellen Nebenbemerkung. An das eine wie das andere dürfen wir uns niemals gewöhnen!«

Er erntet langen und dankbaren Applaus, auch von Ministerpräsident Seehofer, der als nächster Redner schon bereitsteht und es kurz darauf ein »persönliches Herzensanliegen« nennen wird, »Rechtsradikalismus und Antisemitismus keinen Millimeter Platz zu geben«. Er verspricht – und auch hierfür gibt es Applaus –, dass die anstehende Generalrenovierung der Augsburger Synagoge von der bayerischen Staatsregierung unterstützt werde.

heimat Yakov Hadas-Handelsman, Botschafter des Staates Israel, bezeichnet die Biografie des israelischen Komponisten Paul Ben-Haim, der 1933 als Paul Frankenburger aus Deutschland emigriert war und von 1924 bis 1931 Kapellmeister in Augsburg war, als Lebensgeschichte unter Lebensgeschichten, die Israel ausmachen. Paul Ben-Haims Three Songs without Words ist gerade als Zwischenmusik erklungen und rührt so manchen der Anwesenden zu Tränen. Hadas-Handelsman betont, welche Bedeutung es hat, dass es heute ein Land gibt, »in dem jeder Jude Zuflucht und Heimat finden kann«.

Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, wendet sich in seiner Rede einem Detail zu, einer Steinplatte, eingelassen im Boden des Synagogen-Innenhofs. Auf der Platte befindet sich die Abbildung eines Magen David sowie einer Zirbelnuss.

Die Zirbelnuss, wahrscheinlich von den Römern nach Augsburg importiert, ist seit ewigen Zeiten Teil des Augsburger Stadtwappens. »Was durch diese Kombination zum Ausdruck gebracht werden sollte«, sagt Josef Schuster, »liegt auf der Hand: Wir sind Augsburger Bürger.« Ein »starkes Statement«, wie er meint, von dem man auch heute nicht ablassen sollte. »Denn gerade heute habe ich verstärkt den Eindruck, dass Juden oft nicht als selbstverständlicher Bestandteil unserer Gesellschaft wahrgenommen werden, sondern dass wir als Fremde betrachtet werden.«

Nach einer langen Rednerliste gehört Landesrabbiner emeritus und Gemeinderabbiner von Schwaben-Augsburg, Henry G. Brandt, das letzte Wort. Bald feiert er seinen 90. Geburtstag, er wird geführt und gestützt, öffnet den Mund und lässt mit seiner ausdrucksstarken Stimme und Sprache Kraft, Tiefe sowie Raum spüren. Man hört ihn atmen. Er spricht Gebete, erteilt den rabbinischen Segen und sagt mit einem weiten Blick in die Augsburger Synagoge voller Menschen: »Von so einem Moment habe ich geträumt, als ich hier vor über zehn Jahren angefangen habe. Es ist wahr geworden, und dafür danke ich Gott.«

Lesen Sie Auszüge aus den Reden von Frank-Walter Steinmeier und Josef Schuster:
www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/29020

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