Sukkot

Bitternote mit Brandy

Seine Küche wurzelt im Orient: Gal Ben Moshe Foto: imago images / F. Anthea Schaap

Sukkot

Bitternote mit Brandy

In seinem Sternerestaurant entlockt Gal Ben Moshe der traditionellen Zitrusfrucht Etrog neue Facetten

von Ute Cohen  01.10.2020 08:59 Uhr

Von herber Süße ist sie, nicht lieblich, glatt und saftig. Ihre Perfektion besteht in Rauheit, Bitternoten und länglichen Kerben in einer wulstigen Schale. Verführerisch klingt das nicht, und doch gilt sie als Paradiesapfel: die Zitrusfrucht Etrog, die ihren Charme erst auf den zweiten Blick entfaltet. Neben Palmwedel, Myrtenzweig und Bachweidenruten ist die Zitronatzitrone das vierte Gewächs im Feststrauß zu Sukkot. Gal Ben Moshe ist sie vertraut.

Der in Tel Aviv aufgewachsene Koch, 2020 mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet, bietet Etrog in seinem Charlottenburger Restaurant »Prism« facettenreich dar. Die Frucht wird eingelegt wie klassische marokkanische Salzzitronen, die je nach Gusto mit Zimt, Lorbeer oder Koriandersamen verfeinert werden.

KOSHO Fermentiert wird Etrog auch für Kosho verwendet, eine in Japan mit Salz, Yuzu und Chilipfeffer hergestellte scharfwürzige Paste aus Zitruszesten. In der Mango-Variante, fruchtiger, den Papillen schmeichelnd, hält sie dem intensiven Fleisch der Bernsteinmakrele, das hier als Tatar serviert wird, stand.

Das ist nicht erstaunlich, denn Gal Ben Moshe legt vor allem Wert auf Eigenständigkeit und Charakter der Zutaten. Er lässt sich nicht vereinnahmen, weder von Folklore noch gastronomischen Hysterien. Er schöpft aus der Historie und schätzt regionale Erzeugnisse, wobei diese vor allem der Levante entstammen.

Seine Küche wurzelt im Orient – Israel, Syrien, Jordanien, Libanon, Irak – und ist zugleich nomadisch. Im Gegensatz zum Fusion Food strebt Gal Ben Moshe nicht nach Globalisierung, sondern nach der detaillierten Erkundung eines Landstrichs, der seine Jugend geprägt hat.

Der aus Etrog gebrannte Brandy stammt aus der israelischen »Jullius Craft Distillery« im Kibbuz Hanita in Nordisrael.

Nostalgisch aber ist sein Ansatz nicht. Gal Ben Moshe betont seine akademische Neugier, sein historisches Schürfen und Graben nach verlorenen Rezepten und kulinarischen Strängen. Die eigene Familien­tradition reicht mütterlicherseits bis vor das 16. Jahrhundert zurück. In diesem Zweig der Familie, der Calderons aus Jerusalem, wurde vor allem syrisch und panarabisch gekocht, aber auch Sushi und italienisches Essen waren in der Familie präsent.

In Israel arbeitete Gal Ben Moshe vor allem in französisch inspirierten Restaurants. Weniger liegen ihm Authentizität und Historizismus am Herzen als kulinarische Streifzüge und Integration verschiedenster Traditionen.

PERSIEN Nicht sefardisch sei seine Küche, betont der Meisterkoch, Nordafrika spüre man kaum in seinen Gerichten, wohl aber Syrien und Persien. Die persische Gurke findet im Acht-Gänge-Dinner Platz neben Mandeln, gelben Datteln und Malfouf, gefülltem Weißkohl. Auch auf Foie gras wird nicht verzichtet. Dem Klassiker der französischen Küche verpasst der Koch einen derben Touch. Die Leber wird gegrillt und verträgt sich so mit Kaffee und Pilzen.

Für Gal Ben Moshe bedeutet Wandern, Migration auch Wandel im positiven Sinne.

Auch Jacqueline Lorenz, die »Prism«-Sommelière und Gal Ben Moshes Lebensgefährtin, geht ihren ganz eigenen Weg. Mit Blick für das Außergewöhnliche, ohne Chichi. Karanika, Schaumwein aus Griechenland, wird zum Auftakt angeboten, perfekt zur geschmeidigen Auberginencreme, einem Olivenaufstrich und scharfem Grillgemüse – ganz im Sinne von Sukkot ein Wandern der Geschmackseindrücke.

Für Gal Ben Moshe bedeutet Wandern, Migration auch Wandel im positiven Sinne. »Ich glaube, Migration ist der Motor der Gesellschaft«, sagt der Küchenchef. In Berlin sei er selbst nach Jahren des Wanderns wieder in Verbindung mit der eigenen Herkunft getreten.

Vor allem die syrische Zuwanderung habe die Gemüsesorten, Gewürze und Kräuter der Levante mit sich geführt; auch hochwertige Zubereitungsarten hätten so Eingang in die Berliner Gastronomie gefunden. Qualität, Anspruch und die »Erschaffung einer neuen kulinarischen Sprache« – daran wirke er.

BERGAMOTTE Darauf einen Brandy! Aus Etrog gebrannt natürlich, in der israelischen »Jullius Craft Distillery« im Kibbuz Hanita in Nordisrael. Das »Eau de Vie d’Etrog«, Etrog-Lebenswasser, wird aus galiläischem Etrog hergestellt und ist naturgemäß streng limitiert. Fehlt nur noch eine »Pâte de fruit« aus der Zedernfrucht.

Gal Ben Moshe serviert zum Abschied Fruchtgelee aus Bergamotte, einem Hybrid aus Etrog und Bitterorange, nussig ergänzt durch Mini-Madeleines mit Sesam. Für Marcel Proust war das Feingebäck in Form einer Jakobsmuschel Wegweiser auf der »Suche nach der verlorenen Zeit« in einem vergangenen Frankreich. Gal Ben Moshes Madeleines aber weisen in die Zukunft, in der vielleicht alsbald ein zweiter Michelin-Stern erstrahlen wird.

Judenhass

Charlotte Knobloch warnt: Zukunft jüdischen Lebens ungewiss

Die Hintergründe

 16.11.2025

Porträt der Woche

Bühne und Heimweh

Emiliia Kivelevich inszeniert Theater zwischen Kunst, Glaube und Migration

von Christine Schmitt  16.11.2025

Ehrung

Göttinger Friedenspreis für Leon Weintraub und Schulnetzwerk

Zwei Auszeichnungen, ein Ziel: Der Göttinger Friedenspreis geht 2026 an Leon Weintraub und ein Schulprojekt. Beide setzen sich gegen Rassismus und für Verständigung ein

von Michael Althaus  13.11.2025

Israel

Voigt will den Jugendaustausch mit Israel stärken

Es gebe großes Interesse, junge Menschen zusammenzubringen und Freundschaften zu schließen, sagt der thüringische Regierungschef zum Abschluss einer Israel-Reise

von Willi Wild  13.11.2025

Karneval

»Ov krüzz oder quer«

Wie in der NRW-Landesvertretung in Berlin die närrische Jahreszeit eingeleitet wurde

von Sören Kittel  13.11.2025

Jüdische Kulturtage Berlin

Broadway am Prenzlauer Berg

Vom Eröffnungskonzert bis zum Dancefloor werden Besucherrekorde erwartet

von Helmut Kuhn  13.11.2025

Justiz

Anklage wegen Hausverbots für Juden in Flensburg erhoben

Ein Ladeninhaber in Flensburg soll mit einem Aushang zum Hass gegen jüdische Menschen aufgestachelt haben. Ein Schild in seinem Schaufenster enthielt den Satz »Juden haben hier Hausverbot«

 12.11.2025

Interview

»Niemand hat Jason Stanley von der Bühne gejagt«

Benjamin Graumann, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, weist die Vorwürfe des amerikanischen Philosophen zurück und beschuldigt ihn, Unwahrheiten über den Abend in der Synagoge zu verbreiten

von Michael Thaidigsmann  12.11.2025

Hessen

Margot Friedländer erhält posthum die Wilhelm-Leuschner-Medaille

Die Zeitzeugin Margot Friedländer erhält posthum die höchste Auszeichnung des Landes Hessen. Sie war eine der wichtigsten Stimme in der deutschen Erinnerungskultur

 12.11.2025