Synagoge

Animateur auf der Bima

Manchmal werde ich gefragt, ob ich auch ›was Jüdisches‹ im Programm habe»: Assaf Levitin Foto: Stephan Pramme

Assaf Levitin steht vor dem Bücherregal seines Arbeitszimmers und blättert in einem Gesangbuch des deutschen Synagogenkomponisten Abraham Baer. Das seltene Notenbuch konnte der Bassbariton, der in Israel geboren wurde, als Reimport aus den USA ergattern. Die Partitur weist eine Besonderheit auf, denn die Melodie kann entweder in der polnischen Weise oder in der deutschen Weise gesungen werden.

Gerade für Assaf Levitin, der sich am Abraham Geiger Kolleg in Potsdam zum Kantor ausbilden lässt, sind derlei »Spitzfindigkeiten« von größter Bedeutung. Denn in der polnischen Weise haben die Ostjuden gesungen, in der deutschen Weise dagegen die hiesigen Reformgemeinden – zumal in Berlin, wo der 42-Jährige lebt.

beterschaft »Wir versuchen, die deutsche Tradition, die eigentlich nicht nur eine einzelne Tradition ist, wieder zu etablieren. Dabei stammt die hiesige Beterschaft vorwiegend aus der ehemaligen Sowjetunion. Das ist nicht ihre Tradition. Es gibt durchaus Verständigungsprobleme, und man wird gefragt, ob ›man auch was Jüdisches‹ im Programm habe.«

Mit Humor spricht Levitin ein gängiges Problem an, denn jüdische Musikreformer wie Louis Lewandowski haben sich vor allem an klassischer Musik aus Deutschland orientiert, allen voran an Felix Mendelssohn Bartholdy. Kein Wunder also, dass diese Musik für so manches Ohr nicht traditionell jüdisch klingt.

Assaf Levitin ist beides – Kantor und klassischer Sänger. Seine Ausbildung hat der Musiker aus Tel Aviv zunächst in seiner Heimatstadt begonnen und sie dann in Saarbrücken an der Hochschule des Saarlandes für Musik und Theater fortgesetzt. Später hat er jahrelang als klassischer Sänger an den Opernbühnen dieser Welt gesungen, war am Theater Dortmund oder am Operhaus Zürich engagiert.

Die drei Kantoren
Gemeinsam mit zwei Kommilitonen des Geiger-Kollegs hat er 2013 »Die Drei Kantoren« gegründet. In dieser A-cappella-Formation singt er mit dem Tenor Ido Ben-Gal und dem Bariton Amnon Seelig.

»Ich wurde eines Tages gefragt, ob ich nicht irgendetwas für den Jahresempfang der israelischen Botschaft in Berlin anbieten könne. 1500 Menschen, viel Prominenz. Ich dachte mir, das sollte etwas Cooles sein, und habe Ido und Amnon gefragt, ob sie Lust haben, das mit mir durchzuziehen. Und so haben wir mit ein paar israelischen Liedern angefangen.«

Seither singen sich die drei Israelis durch ein breites Repertoire – und haben bereits eine CD herausgebracht. Anfangs gibt es bekannte israelische Songs wie »Erev shel shoshanim« von Joseph Hadar oder Sascha Argovs »Shir Lakerem« – Songs ihrer Kindheit, die die drei Kantoren neu arrangiert haben. Daneben singen sie liturgische Lieder, Pijutim oder Festgesänge wie »Shalom Aleychem«, »Adonai Malach« oder »Magen Avot«. Zuletzt bietet das Trio auch noch ein paar jiddische Lieder an. Nicht nur den alten Schtetlhauer »Shein vi di Levone«, sondern auch Klassiker wie Abraham Ellsteins »Vos iz Gevorn fun Mayn Shtetele?«.

Repertoire Berührungsängste hat Assaf Levitin schon von Berufs wegen nicht. Das Repertoire eines Kantors sei mit einem Baukasten zu vergleichen. Jeder habe seine Vorlieben, die sich je nach Jahreszeit und Ritus ändern. »Weil wir uns zur Union progressiver Juden zählen, lassen wir uns auch sehr von der neuen amerikanischen Richtung inspirieren. Es gibt bekannte Namen darunter. Debbie Friedman ist sicherlich die bekannteste der neuen Komponisten. Doch eine Sache ändert sich nie: Es wird heute wie damals darüber diskutiert, ob so etwas Schrott oder eine ganz neue Richtung ist.«

Assaf Levitins Hinwendung zur Musik der Synagoge hat einen langen Vorlauf. Noch bevor er anfing, Gesang am Konservatorium zu studieren, sang er in jüdischen Chören. »Und damals gab es an den Hohen Feiertagen eine große Nachfrage nach Sängern. Mein erster großer Einsatz als Sänger der Liturgie war mit einem Chor aus Israel in Sydney. Das haben wir vier Jahre hintereinander gemacht. Ein Jahr später dann in São Paulo, und so habe ich erste Erfahrungen gesammelt.«

Die Entscheidung, Kantor zu werden, reifte aber erst durch den Zuspruch des Pianisten Jascha Nemtsov, der den Sänger bei Schuberts Winterreise begleitet hatte. Als Nemtsov Leiter des Kantorenseminars in Potsdam wurde, konnte er Levitin davon überzeugen, sich als Student einzuschreiben, denn eine Existenz als Kantor bedeute nicht, nur Sänger zu sein – sondern auch Gemeindearbeit, Seelsorge und Konfliktmanagement.

Klassikbetrieb Der Entschluss, den Kantorenberuf zu ergreifen, hat auch mit Assaf Levitins Unzufriedenheit mit dem Klassikbetrieb zu tun. »Ich habe gemerkt, dass ich mich als Konzertsänger sehr oft erkältet habe oder krank wurde. Eine Zeit lang konnte ich nur mit Antibiotika singen. Das ist mir, seitdem ich Kantor bin, nicht mehr passiert. Als Kantor kann ich viel besser loslassen.«

Dabei geht es ihm nicht um technische oder stimmliche Aspekte. Das Singen bleibe gleich, egal, ob er auf der Opernbühne oder in der Synagoge steht. Aber der Charakter des Singens ändere sich beim Gottesdienst fundamental: »Dort bin ich eher eine Art Animateur. Ich muss eine Atmosphäre kreieren, die günstig ist für die Beter. Ich improvisiere viel. Und das Wichtigste: Das Singen ist echt, das ist nicht ein ›So-tun-als-ob‹. Als Sänger auf der Opernbühne schlüpft man in eine Rolle. Als Kantor braucht man das nicht. Wenn ich das Kol Nidre in der Synagoge singe, dann bin ich wie die anderen Anwesenden ein Jude, der Jom Kippur begeht, der fastet, der betet, der seinen jüdischen Glauben praktiziert.«

Chorsingen
Das gemeinschaftliche Singen wurde Assaf Levitin in die Wiege gelegt. Seine Mutter, eine Klavierlehrerin, lernte ihren Mann 1965 beim Chorsingen kennen. Beide Eltern wurden in Israel geboren, aber die Familien stammen aus Schtetln in Polen, Weißrussland und der Ukraine. Der Großvater mütterlicherseits wuchs in Augsburg auf: »Er war einer der ersten Häftlinge in Dachau, weil er Kommunist war. Er schaffte es rechtzeitig nach Eretz Israel. Auch dort wurde er als Kommunist inhaftiert – diesmal von den Briten.«

Assaf Levitin sagt von sich, er sei die »zweite Generation Sabra«. Doch Deutschland ist ihm längst zur zweiten Heimat geworden. Nicht nur, weil er mit einer Jüdin in Berlin eine Familie gründen konnte, sondern auch, weil er hier seine persönliche Stimme gefunden hat.

Die nächsten Konzerte der Drei Kantoren: am 28.6. in der Jüdischen Gemeinde Pforzheim, am 5.7. im Gewandhaus Leipzig, am 12.7. in der Jüdischen Gemeinde Weiden und am 19.7. in der Jüdischen Gemeinde Darmstadt.

Weitere Informationen unter http://www.3kantoren.com/#!music/c24vq

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