Freiwilligendienst

30 Bufdis weniger

Leah Floh protestiert. Sie habe den Protestbrief gegen die Kürzungen bei den sozialen Angeboten sofort unterschrieben, sagt die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Mönchengladbach. Kurz vor der abschließenden Sitzung des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestags am Mittwoch (nach Redaktionsschluss, Anm. d. Red.), in der die Abgeordneten letzte Änderungen am Bundeshaushalt erwirken konnten, forderten die Freien Wohlfahrtsverbände Deutschlands eine Rücknahme der Kürzungspläne. Obwohl die Freien Wohlfahrtsverbände, darunter auch die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden (ZWST), Alarm geschlagen haben, gehen sie davon aus, erhebliche Einschnitte in ihrem Etat hinnehmen zu müssen.

Unter anderem könnten die Mittel für die Bundesfreiwilligendienste (BFD) im nächsten Jahr um 26 Prozent gekürzt werden. »Bisher konnten wir 340 Bufdi-Stellen anbieten, nun werden es 30 weniger«, sagt Aron Schuster, Direktor der Zentralwohlfahrtsstelle, über die diese Stellen organisiert werden.

»Wir werden im nächsten Jahr nur noch zwölf statt 16 Freiwillige haben.«

Schweren Herzens hat Schuster bereits den Rotstift angesetzt und Stellen in den jüdischen Gemeinden gestrichen. Weitere Kürzungen seien auch 2025 vorgesehen. Die jüdische Community stehe unter einem enormen psychischen Druck, den vor allem Strukturen jüdischer Wohlfahrtspflege abfangen, sagt Schuster. »Dieser Umstand macht eindrücklich deutlich: Eine resiliente und krisenfeste Wohlfahrtspflege ist wichtiger denn je. Nach den Kürzungsplänen der Bundesregierung wird diese ernsthaft gefährdet.«

Für das Jahr 2025 sind weitere Kürzungen vorgesehen.

»Wir werden im nächsten Jahr nur noch zwölf statt 16 Freiwillige haben«, sagt Leah Floh. In der Mönchengladbacher Gemeinde gebe es 126 Schoa-Überlebende, mehrere davon hätten KZs und Todesmärsche durchstanden. »Unsere Bufdis kümmern sich um sie, gehen mit ihnen einkaufen, unternehmen Spaziergänge oder lesen ihnen vor.« Gerade für die Schoa-Überlebenden sei diese Zuwendung wichtig. Aber nicht nur für die Älteren seien die Bufdis im Einsatz, sondern auch in der Bibliothek, im Jugendzentrum, der Sonntagsschule, im Deutschunterricht und bei den mobilen sozialen Diensten. 2011 wurden die Bufdi-Stellen noch über das Ministerium für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration angeboten. »Da haben wir damals, als sie eingeführt wurden, sofort nachgefragt und bekamen 51 Stellen bewilligt«, sagt Floh. Am Anfang hätten noch nicht so viele Gemeinden diese Dienste in Anspruch nehmen wollen. »Wir gehörten zu den Ersten.« Diese Unterstützung sei für die Gemeinde wichtig. Nur so sei ein breites Angebot möglich. Beispielsweise war die Leiterin des Gemeindechors ein Bufdi, bis die 18 Monate ausliefen.

In der Regel arbeiten die Bundesfreiwilligen 20 Stunden pro Woche – für ein Taschengeld von 250 Euro. In Mönchengladbach seien sie zwischen 50 und 70 Jahre alt. 2015 übernahm die ZWST deren Organisation und Betreuung.

»Wir haben Glück«, sagt Maria Cornea, Sozialpädagogin der Jüdischen Gemeinde im Lande Bremen, denn »wir haben junge, engagierte Leute als Bufdis«. Sie seien eine enorme Hilfe, wie beispielsweise Ron, der in der Kita arbeitet. Der 18-Jährige überlegt, nach seinem Freiwilligendienst Erzieher zu werden, weil die Arbeit ihm so viel Spaß mache.

»Die meisten, die bei uns waren, sind jung und wurden anschließend alle Pädagogen«, erzählt Cornea. Die Gemeinde brauche ihre Arbeitskraft, denn »auch Förderkinder besuchen unsere Kita. Bei dem Personalmangel an Erziehern sind wir glücklich, Bufdis zu haben.«

Neben Ron ist eine junge Frau als Bufdi dabei, eine Geflüchtete aus der Ukraine. »Wir hoffen, dass uns die Stellen erhalten bleiben«, sagt Maria Cornea.

Elena Egorova, Sozialarbeiterin in der Jüdischen Kultusgemeinde Bielefeld, ist froh, dass Bufdis sie bei ihrer Arbeit unterstützen. »Unsere Gemeinde, die 450 Mitglieder zählt, ist dank der Geflüchteten aus der Ukraine größer geworden. Das heißt aber auch, dass wir Leute brauchen, die sie begleiten, wenn sie Behördengänge zu erledigen haben oder zum Arzt müssen.«

Überwiegend Ältere arbeiten in der Gemeinde als Bufdi. Alle sprechen Russisch und können dolmetschen. »Wir haben eine lange Liste von Gemeindemitgliedern, die von uns betreut werden.« Für etliche müsse eingekauft werden – und da freut sich die Sozialarbeiterin, dass der eine Bufdi ein Auto hat, mit dem die Einkäufe erledigt werden können.

»Seit Corona ist es uns wichtig, mit unseren Mitgliedern einmal in der Woche zu telefonieren und im Kontakt zu bleiben – was zum Teil auch die Bufdis übernehmen.« In den Telefonaten werde auch gefragt, ob Hilfe benötigt werde. Seit einigen Wochen hört Elena Egorova immer wieder, dass sich einige Gemeindemitglieder wegen der aktuellen Lage nicht mehr vor die Tür trauen.

»Die meisten, die bei uns waren, wurden später Pädagogen.«

Maria Cornea, Sozialarbeiterin

»Wir sind derzeit alle doppelt belastet, es gibt den Krieg in der Ukraine, was vielen nahegeht, und jetzt kommt auch noch der Krieg in Israel dazu.« Fast jeder habe in beiden Ländern Freunde und Verwandte. Manchmal erzählen die Mitglieder auch Geschichten aus ihrem Leben oder berichten, was ihnen gerade durch den Kopf geht. Egorova berichtet, sie habe es auch schon erlebt, dass sie gefragt werde, warum sie gestern nicht angerufen habe. Manche warteten den ganzen Tag auf den Anruf der Gemeinde.

Olga Rosow, Leiterin der Sozialabteilung der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf, musste schlucken, als sie hörte, dass nur noch acht von zwölf Bufdi-Stellen erhalten bleiben sollen. »Ich sehe das wie die Wohlfahrtsverbände, wir haben das Gefühl, dass unsere Arbeit vergessen wird. Sie scheint an Bedeutung zu verlieren.« Die BFDler sind in Düsseldorf im mobilen sozialen Dienst eingesetzt und kümmern sich um alleinstehende ältere Personen. Sie helfen außerdem bei HaTikwa, einer Gruppe von Menschen mit Behinderungen sowie im Seniorenzentrum und in der Kulturakademie. Sechs Stellen seien in diesem Jahr mit Geflüchteten aus der Ukraine besetzt worden.

In der Israelitischen Kultusgemeinde Rottweil sind vier Bufdis in der Küche, bei der Gartenarbeit und im Religionsunterricht im Einsatz. Sie kümmern sich außerdem um die älteren Gemeindemitglieder, so Geschäftsführerin Tatjana Malafy.

»Die Kürzungen im Bereich des Bundesfreiwilligendienstes treffen viele Gemeinden unmittelbar«, betont ZWST-Direktor Schuster. »Die jüdische Gemeinschaft wird sich fragen müssen, wie die teils überdimensionierten Repräsentationsbau­ten, vielerorts symbolpolitisch unterstützt, zukünftig mit Leben gefüllt werden können, wenn soziale Strukturen und ehrenamtliches Engagement wegbrechen.«

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