Rabbinerausbildung

»Wenn es kriselt: durchatmen«

Dmitrij Belkin Foto: Foto Kirsch

Rabbinerausbildung

»Wenn es kriselt: durchatmen«

Dmitrij Belkin ist Vorstand der neuen Nathan Peter Levinson Stiftung. In seinem ersten Semester am Potsdamer Standort, der durch den Homolka-Skandal vorbelastet ist, hat er gelernt, Ruhe zu bewahren

von Mascha Malburg  03.04.2025 12:47 Uhr Aktualisiert

Herr Belkin, für die Studierenden der Rabbinerseminare unter dem Dach der Nathan Peter Levinson Stiftung beginnt nun das Sommersemester. Was erwartet sie?
Wir haben unsere Stiftungsarbeit im September 2024 aufgenommen. Das bedeutet, wir sind nun keine »Erstis« mehr und haben schon eine gewisse Routine entwickelt. Aus der Erfahrung des ersten Semesters haben wir gemeinsam mit den sechs Rabbinerinnen und Rabbinern, die in unseren Seminaren lehren, ein vollumfängliches Programm für das Semester entwickelt. Es erfüllt mich als Historiker und zugleich politisch bewegten Menschen mit Stolz, dass sowohl die jüdisch-traditionellen als auch total gegenwärtigen Themen darin vertreten sind. Unser Angebot reicht vom klassischen Tora- und Talmudstudium über Fragen rabbinischer Leitung und Gestaltung des Gottesdienstes bis hin zu Kursen zur Philosophie der heutigen jüdischen Existenz.

Sie haben fünf Jahre die jüdisch-muslimische Denkfabrik »Schalom Aleikum« im Zentralrat der Juden geleitet, bevor Sie zum Vorstand der Stiftung ernannt wurden. Wie hat sich Ihr Alltag gewandelt?
Die jüdisch-muslimische Zusammenarbeit ist heute ähnlich wie die liberale Rabbinerausbildung ein politisch und gesellschaftlich anspruchsvolles Thema. Es wird Sie vielleicht überraschen, aber ich stelle doch fest, dass der innerjüdische Dialog sich für mich ähnlich herausfordernd anfühlt wie der jüdisch-muslimische. Die jüdische Community ist eben wie eine große Patchworkfamilie, und da fliegen auch mal ganz direkt die Fetzen. Wir versuchen in unserer Arbeit wieder Vertrauen nach innen und nach außen aufzubauen.

Als die Nathan Peter Levinson Stiftung gegründet wurde, gab es bereits eine liberale und konservative Rabbinats- und Kantoratsausbildung in Potsdam. Nach den Vorwürfen des Machtmissbrauchs musste Walter Homolka die Leitung des Geiger Kollegs niederlegen, mittlerweile unterrichtet er wieder. Wie gehen Sie mit solchen Konflikten am Campus um?
Es empfiehlt sich immer, auf diejenigen zuzugehen, die einen ablehnen, und Gemeinsamkeiten zu finden. Ich habe zum Beispiel versucht, die Bücher derjenigen zu lesen, die unsere Stiftung kritisieren, um diese Menschen und ihre Denkweise besser zu verstehen. Und wenn es kriselt: durchatmen, dem Stress ein bisschen Raum geben und dann sachlich, positiv und selbstironisch weitermachen. Was ich auch gelernt habe: Es ist besser, nicht jeden Tag öffentlich über Sachen zu reden. Mein Ziel ist, dass unsere Arbeit möglichst geräuschlos über die Bühne geht. Die Stiftung an sich ist eine Struktur, in der mein Team und ich als Dienstleister tätig sind. Unsere Aufgaben sind Transparenz, Ehrlichkeit und konkrete Arbeit im Interesse der Studierenden und der jüdischen Gemeinschaft. Aber natürlich treffen wir am Campus aktuell auch auf Verwundungen und Schmerz, mit denen man menschlich Umgang finden muss.

Es gibt weiterhin Studierende in den »alten« Seminaren. Wie gehen Sie auf diese zu?
Acht Studierende des konservativen Zacharias Frankel College sind zu uns gewechselt, die liberalen Rabbinatsstudierenden sind am Abraham Geiger Kolleg geblieben. Wir begegnen ihnen selbstverständlich ohne Druck und mit Empathie. Wir versuchen, mit allen im Gespräch zu bleiben und offen zu sein. Wir hoffen, dass einige, die uns im letzten Semester als Gaststudierende entdeckt haben, in diesem Semester zu unseren regulären Studierenden werden.

Und wie sieht es mit neuen Studierenden aus?
Zurzeit laufen die Bewerbungsprozesse. Wir rechnen mit bis zu zehn neuen Studierenden. Interessierte kommen aus Deutschland, den USA, Israel und Osteuropa. Das passt ganz wunderbar zu unserem internationalen Profil. Wir arbeiten beispielsweise eng mit der Ziegler School of Rabbinic Studies in Los Angeles zusammen. Gleichzeitig haben wir die deutsch-jüdische Gemeinschaft perspektivisch vor Augen und freuen uns über Bewerbungen von jungen Menschen, die hier groß geworden sind. Die Nachfrage nach Rabbinerinnen und Rabbinern sowie Kantorinnen und Kantoren in Gemeinden, in Krankenhäusern, für die Polizei, für das Militär und in den Pflege-
einrichtungen ist groß.

Die meisten Juden in Deutschland sind Mitglieder in orthodoxen Gemeinden. Wie überzeugen Sie diese, dass ein liberaler oder konservativer Rabbiner, oder eben eine Rabbinerin, auch zu ihnen passt?
Das funktioniert heute schon ganz gut bei den großen Einheitsgemeinden. Da begegnen sich die unterschiedlichen Strömungen, und wir sehen zum Beispiel bei den Kantoren, dass die Gemeindemitglieder nicht immer interessiert: Woher kommt der jetzt? Solange die Person jüdisch ist und das beherrscht, was gefragt ist, stellt man sie gerne ein. Bei den Rabbinerinnen wird es schon etwas komplizierter, das ist nicht mit jeder Ausrichtung des Judentums kompatibel. Aber da blicke ich beispielsweise nach Amerika, wo das Reform- und Masortijudentum stark und selbstbewusst ist. Wir machen hier in Deutschland nun auch einen wichtigen Schritt in diese moderne Richtung. Und dann gibt es ja auch noch die Jüdinnen und Juden in Deutschland, die überhaupt nichts mit den bestehenden Gemeindestrukturen anfangen können. Ich spreche da auch biografisch: Wenn du aus der ehemaligen Sowjetunion kommst, bist du von diesen Räumen zunächst relativ weit entfernt. Viele jüdische Intellektuelle fanden sich da nicht wieder. Unsere angehenden Rabbinerinnen und Rabbiner können genau da ansetzen.

Hat sich denn für Sie als postsowjetischen, eher säkularen Akademiker die Sicht auf Religion verändert, seitdem Sie so eng mit Rabbinerinnen und Rabbinern, mit religiös begeisterten jungen Menschen arbeiten?
Mich haben die Kriege in der Ukraine und in Israel persönlich und biografisch stark mitgenommen, und ich finde es in dieser derart krisenhaften Zeit wichtig, sich mit etwas zu beschäftigen, das so zeitlos, grundlegend und aufrichtig ist. Unseren Lehrkräften und Studierenden geht es um menschliche Fragen, die Religion ist der Türöffner. Ihnen ist wichtig, human zu bleiben, authentisch und ehrlich zu sein. Das jüdische Miteinander entscheidet. Ich bin überzeugt, dass das mit der Levinson Stiftung eine Zukunft hat.

Mit dem Vorstand der Nathan Peter Levinson Stiftung sprach Mascha Malburg.

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