Lag BaOmer

Trauer und Freude

An Lag BaOmer werden in Israel riesige Lagerfeuer entzündet – hier in Mea Schearim, einem charedischen Stadtteil von Jerusalem, im Jahr 2019. Foto: Flash90

Meine Freunde sagten mir immer: »Wenn du nicht erlebt hast, wie in Meron an Lag BaOmer gefeiert wird, hast du noch nie eine richtige Party gesehen.« Nun übertreiben meine Freunde manchmal. Also ging ich hin, um mir das alles selbst anzusehen. Ich muss sagen, dass die große Begeisterung sehr ansteckend war. Riesige Lagerfeuer wurden entzündet, die Musik heizte uns ein. Ich sah einige alte Bekannte, die inzwischen wieder chassidischer geworden waren, mit Pejes und weißen Strümpfen.

Das ist einige Jahre her. Doch im vergangenen Jahr kam es genau an diesem Ort der Freude zu einer schrecklichen Tragödie. Es war noch mitten in der Corona-Pandemie, und es hätten nicht fast 100.000 Menschen auf einmal an diesen Ort kommen dürfen. Der Platz in Meron ist sehr begrenzt, aber der Andrang war unaufhaltsam. Menschen stürzten, und Panik brach aus. 45 Menschen wurden an Lag BaOmer im Jahr 2021 zu Tode getrampelt. Einer von ihnen war ein Cousin zweiten Grades meiner Frau. Sein Vater war so erschüttert, dass auch er kurz darauf starb.

buchstabe Trauer und Freude liegen an Lag Ba­Omer eng beieinander. Doch was bedeutet Lag BaOmer überhaupt? Jeder Buchstabe des hebräischen Alphabets hat einen numerischen Wert. Alef bedeutet 1, Bet 2 und so weiter. Der Buchstabe »Lamed« ist 30, und der Buchstabe »Gimel« ist 3. Die Abkürzung »Lag« hat also den Zahlenwert 33. Das Omer ist die Zählung der Tage zwischen Pessach und Schawuot, dem Pessachfest im April und dem Wochenfest im Juni. Lag BaOmer ist der 33. Tag des Omer.

Die Omerzählung wird in der Tora im dritten Buch Mose (23, 15–16) zur Pflicht gemacht: »Du sollst von dem Tag an zählen, der auf den festlichen Ruhetag (Pessach) folgt, von dem Tag an, an dem du das Omer (ein großes Maß Gerste) der Bewegung zu dem Tempel gebracht hast; es müssen sieben volle Wochen sein. Bis zu dem Tag, der auf die siebte Woche folgt, musst du 50 Tage zählen.«

24.000 Schüler von Rabbi Akiwa starben, weil sie sich gegenseitig nicht mit Respekt behandelten.

Am 50. Tag feiern wir dann das Wochenfest, Schawuot, an dem wir uns daran erinnern, dass wir sieben Wochen nach dem Auszug aus Ägypten, also vor mehr als 3300 Jahren, auf dem Berg Sinai die Tora erhalten haben. An Pessach bringen wir das Omer-Opfer dar, ein Gerstenopfer. An Schawuot verlangt die Tora von uns, ein Weizenopfer in den Tempel zu bringen. Traditionell gilt Gerste als Tierfutter und Weizen als menschliche Nahrung. Die Juden waren Sklaven in Ägypten gewesen. Sie haben dort kein anständiges Leben geführt. Daran erinnert uns die Gerste.

Aber innerhalb von sieben Wochen war das jüdische Volk von einem Volk von Sklaven zu einem Volk des Buches aufgestiegen. Wie kleine Kinder zählten die Juden in der Wüste nach dem Exodus den Moment heran, in dem G’tt sich offenbaren und uns unsere Verfassung, die Tora, mit einer mündlichen Erklärung, dem Talmud, geben würde, die Mosche während der 40 Tage, die er auf dem Berg Sinai verbrachte, mitgeteilt wurde.

EPIDEMIE So gesehen hätte die Omerzeit eine freudige Zeit sein sollen, in der wir auf immer größere spirituelle Erfahrungen hätten hoffen können. Leider war dies nicht der Fall. Dem Talmud zufolge starben im zweiten Jahrhundert, genau während der Omerzeit, 24.000 Schüler von Rabbi Akiwa. Sie starben, weil sie sich gegenseitig nicht mit Ehre behandelten.

Deshalb halten wir während der Omerzeit bestimmte Trauerrituale ein: Wir machen keine Musik, wir heiraten nicht und rasieren uns nicht. Hier gibt es ein Problem. Vor etwa 1900 Jahren starben diese 24.000 Menschen durch eigenes Verschulden.

Müssen wir das immer noch betrauern? Leider ist das der Fall. Denn seit dem zweiten Jahrhundert hat sich nicht viel geändert. Wir sind immer noch intolerant gegenüber Menschen, die anders denken oder anders glauben als wir. Außerdem kam es im Mittelalter zu zahlreichen Pogromen, bei denen viele Juden ihr Leben verloren.

Das ist ein weiterer Grund, warum wir trauern. Der Antisemitismus hat noch immer nicht aufgehört. Wir trauern um die Opfer der Corona-Pandemie. Und natürlich trauern wir auch um die 45 Menschen, die am Berg Meron ums Leben kamen.

HOCHZEITEN Doch laut unserer Tradition hörte die Todesplage unter den Schülern von Rabbi Akiwa an Lag BaOmer plötzlich auf. An diesem Tag finden viele Hochzeiten statt, und wir gehen wieder zum Friseur. In Israel machen die Schulkinder Ausflüge, entzünden Lagerfeuer und spielen mit Pfeil und Bogen. Und das Epizentrum der Freude liegt nach wie vor in Meron – auch wenn sicherlich niemand vergessen kann, was vor einem Jahr dort geschah.

An Lag BaOmer sind Hochzeiten und Haareschneiden erlaubt – mitten in der Omerzeit.

Einer der wichtigsten Schüler von Rabbi Akiwa war Rabbi Schimon bar Jochai, der das Hauptwerk der jüdischen Mystik, den Zohar, herausgab. Rabbi Schimon und sein Sohn Rabbi Elazar sind in Meron, im Norden Israels, begraben. Beide waren Schüler von Rabbi Akiwa. Beide hatten die Todesplage überlebt.

Heute pilgern viele Menschen zu ihren Gräbern, um dort zu beten und Lag BaOmer zu feiern. Ihre letzten Ruhestätten sind für die Menschen von großer Bedeutung.

respekt Halten wir zum Schluss fest: Die Schüler von Rabbi Akiwa hassten sich nicht gegenseitig. Sie waren nur so überzeugt, dass ihre Art, G’tt zu dienen, die einzig richtige war, dass jeder versuchte, dem anderen sein Jüdischsein aufzuzwingen. Dieser Mangel an gegenseitigem Respekt führte zu vielen Streitigkeiten. Diese Intoleranz ist auch heute noch eine Quelle vieler interner Konflikte.

Interne Streitigkeiten führten zu Chilul Haschem, der Entweihung von G’ttes Namen. Die Schüler von Rabbi Akiwa machten den Eindruck, dass die jüdischen Gelehrten ständig miteinander stritten, anstatt sich zu vereinen. Das wurde so schlimm, dass G’tt dem ein Ende setzte.

Bei allen wichtigen Lehren, die Lag BaOmer vermittelt: Das ist bis heute die größte Herausforderung. Die gegenseitige Toleranz muss unter allen Umständen aufrechterhalten werden. Nur so kann die Kontinuität des jüdischen Volkes gewährleistet werden. Sonst geht das Licht aus. Eine Lektion für die Ewigkeit!

Der Autor ist Rabbiner und lebt in Israel.

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