Kaschrut

Thunfisch statt Schwein

Kein Schweinefleisch, dafür Thunfisch. Kein Rinderfett, aber Fett von Hirschen und Rehen: Wir kommen also nicht zu kurz. Foto: Thinkstock

Wir dürfen viele Dinge nicht essen. Shrimps, Schweineschnitzel und vieles mehr sind für uns tabu. Wir sollten nur koscher essen. Und der Begriff Kaschrut umfasst die vielen Vorschriften, die uns laufend daran erinnern, dass wir jüdisch sind.

Aber wenn wir nur von koscheren Tieren essen dürfen, stellt sich doch die Frage: Weshalb hat G’tt so viele unkoschere Tiere geschaffen? Die Antwort des Midrasch darauf lautet, dass dies ein Test, eine Herausforderung ist: Haschem möchte sehen, ob wir genügend Willenskraft aufbieten, von Trejfem, also Unreinem, Abstand zu halten.

Wir müssen aber nicht glauben, dass wir zu kurz kommen. Der Midrasch Tanchuma erklärt: Für jedes Vergnügen, das durch die Tora verboten wird, hat G’tt etwas Vergleichbares wieder erlaubt. Haschem sagt: »Ich habe euch verboten, Blut zu essen. Aber doch habe Ich euch erlaubt, Leber zu essen, die voll mit Blut gefüllt ist.«

Hirsch Weiter steht im Midrasch, Er habe verboten, Chasir (Schwein) zu konsumieren. Dafür habe Er aber erlaubt, den Fisch »Schibuta« (manche meinen, es handele sich um Thunfisch) zu essen, der nach Schweinefleisch schmeckt. Außerdem: »Das Fett von Rindern habe Ich euch verboten, aber ihr dürft wohl das Fett von Wild, wie zum Beispiel von Hirschen und Rehen, essen.«

Kein Schweinefleisch, dafür Thunfisch. Kein Rinderfett, aber Fett von Hirschen und Rehen: Wir kommen also nicht zu kurz. Doch darum geht es eigentlich nicht wirklich. Kaschrut hat eine tiefere Bedeutung. Das wird am Ende der Sidra angedeutet: »Ich bin dein G’tt, du sollst dich selbst heiligen, und du wirst heilig sein, da Ich heilig bin.« Koscheres Essen verleiht uns eine zusätzliche Keduscha (Heiligkeit).

Löwengrube Dies sehen wir bei Daniel, der in die Löwengrube geworfen wird. Der Sohar berichtet, dass die Löwen Daniel nichts Böses antun konnten – wegen der großen Kedduscha, die er ausstrahlte, da er nie Trejfes gegessen hatte.

Aber auch die Einzelheiten der Kaschrutgesetze sprechen Bände. Zuallererst ist uns das Schwein verboten, obwohl es eindeutig ein koscheres Merkmal aufweist – gespaltene Hufe. Auf Jiddisch sagen wir dazu »ein koscheres Chaserfiessel«. Es streckt seine Pfoten nach vorne, als ob es sagen möchte: Schau her, wie koscher ich bin, während es aber kein Wiederkäuer und somit trejfe ist. Diese Eigenschaft des Schweins deutet auf einen sehr verwerflichen Charakterzug hin: Heuchelei.

Unsere Weisen machen deutlich, weshalb bei Tieren, die ein koscheres Zeichen haben, zuerst das koschere Merkmal erwähnt wird und erst danach das nichtkoschere – wie beim Kamel, wo zuerst steht, dass es wohl ein Wiederkäuer ist. Erst danach wird erwähnt, dass es keine gespaltenen Hufe hat.

Über Esau sagten unsere Weisen, dass er mit einem Chasir verglichen werden könne, das seine Pfoten ausstreckt, um zu zeigen, wie koscher es ist, während es im Grunde ein großer Betrüger ist. Diese Scheinheiligkeit ist noch viel schlimmer als »aufrechte Unehrlichkeit«. Daher beginnt der Vers bei unreinen Tieren zuerst mit einem reinen Merkmal, um uns vor dem Fallstrick zu warnen, der gerade das einzige koschere Merkmal bildet.

Storch Beim Storch, der Chassida, finden wir noch einen anderen Aspekt dieser koscheren Merkmale. Der Storch wird unter den unreinen Tieren aufgelistet. Der Talmud fragt: »Weshalb wird er Chassida genannt? Die Antwort lautet: Da er gut zu seinen Artgenossen ist.« Weshalb ist der Storch dennoch trejfe? Es scheint doch gut zu sein, wenn man sich anderen gegenüber anständig verhält. Wenn man jedoch nur gut zu den eigenen Artgenossen ist und in seiner Zuwendung diskriminiert, ist man trejfe.

Physisch betrachtet, ist der Mensch ein außergewöhnliches Tier. Der Unterschied liegt auf der geistigen Ebene: Tiere denken im moralischen Sinn nicht über Für und Wider nach. Auf sittlichem und moralischem Gebiet ist der Mensch Alleinherrscher. Wenn die Grenze zwischen Mensch und Tier zu verblassen droht, mahnt uns die Tora zur Vorsicht.

Der Mensch vereint von Natur aus viele tierische Aspekte in sich. Doch er muss dafür Sorge tragen, dass Moral und Spiritualität im Denken, Sprechen und Handeln die Oberhand behalten. Die Frage lautet, wie der Mensch darüber wachen kann, dass das Geistige bei seinen Lebensentscheidungen der Leitfaden bleibt. Das Tierische im Menschen ist nicht von vornherein schlecht, es muss jedoch sorgfältig in die richtigen Bahnen gelenkt werden.

Rabbiner Samson Raphael Hirsch umschreibt den Begriff Heiligkeit mit einer etwas anderen Nuance. Heiligkeit bedeutet, für das G’ttliche in der Welt empfänglich zu sein, G’tt ins Privatleben hineinzulassen, selbst in die intimsten Angelegenheiten. Der Mensch muss eine Sphäre schaffen, in der das möglich wird.

Pflanzenfresser Säugetiere, die sowohl Wiederkäuer sind als auch gespaltene Hufe haben, gehören zu den passiveren Tierarten, sie fressen kein Fleisch, sondern Pflanzen. Was macht eine Kuh – als Prototyp des koscheren Tieres – den ganzen Tag? Käuen und Wiederkäuen. Kühe machen einen wenig aktiven Eindruck, sind nicht wild, töten keine anderen Tiere und sind ein Beispiel für Passivität. Der typische animalische Instinkt scheint sich bei der Kuh wenig entwickelt zu haben. Die Beschaffenheit ihrer Hufe ist nicht geeignet, um zu töten. Deshalb ist sie koscher.

In der mystischen Literatur wird erklärt, dass die Speisegesetze im Grunde genommen weniger eine Diät für die Seele seien, sondern dazu geeignet, den menschlichen Körper von jeder tierischen Verschmutzung reinigen zu können. Der Körper ist das Instrument der Seele, durch das unsere höchsten menschlichen Anteile mit der irdischen Umgebung kommunizieren können.

Wir müssen unseren Körper so sauber wie möglich halten, sodass die Seele mit einem Minimum an physischen Hindernissen durch den Körper hindurch ihr geistiges Licht auf die materielle Welt scheinen lassen kann.

Diamantenschleifer In der Kabbala wird die Seele mit einem Diamantenschleifer verglichen, der von der Qualität seiner Instrumente abhängig ist – das heißt, dem Körper. Wie geschickt er auch ist, es genügt bereits, dass nur ein kleines Manko oder ein Fehler an seinem Instrumentarium besteht, damit seine Erzeugnisse keine Topqualität mehr besitzen.

Dasselbe gilt für den menschlichen Körper. Koscheres Essen sorgt für die Reinheit der Seele. Maimonides wurde einmal gefragt, wie es dazu komme, dass die Menschen so wenig Gefühl für Religion hätten. Seine Antwort lautete: weil man die Speisegesetze nicht mehr richtig beachte.

Doch G’tt hat uns am Berg Sinai die Tora gegeben – und damit auch die Kaschrutregeln. Um die höchste Stufe von psychischer Reinheit zu erreichen, sollten sie bis auf den heutigen Tag in breiten Kreisen beachtet bleiben.

Der Autor ist Dajan beim Europäischen Beit Din und war Rabbiner der Niederlande. Er ist jetzt Oberrabbiner der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf.

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