Debatte

Jüdische Erwartungen an neuen Papst

Möwen stehen am frühen Morgen auf dem leeren Petersplatz vor dem Petersdom. Morgen beginnt das Konklave zur Wahl eines neuen Papstes. Foto: picture alliance/dpa

Für den nächsten Papst wird es nicht leicht, in die Fußstapfen von Franziskus zu treten - dieser Meinung ist Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt. Ab Mittwoch wählen die Kardinäle im Konklave ein neues Oberhaupt für die weltweit rund 1,4 Milliarden Katholiken. Der am Ostermontag gestorbene Franziskus habe mit einer »mitfühlenden Führung« die katholische Welt geprägt, sagte Goldschmidt der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).

Wenn er über einen neuen Papst nachdenkt, hat der Präsident der orthodoxen Europäischen Rabbinerkonferenz insbesondere dies im Blick: »Es wird eines weisen Mannes bedürfen, um die Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und der jüdischen Welt neu zu gestalten.«

Komplexe Beziehungen

Was er damit genau meint? »Die Beziehung von Papst Franziskus zur jüdischen Gemeinschaft seit dem Hamas-Angriff auf Israel am 7. Oktober 2023 war komplex und sowohl von Bemühungen um einen interreligiösen Dialog als auch von erheblichen Spannungen aufgrund seiner Äußerungen und Handlungen zum Israel-Hamas-Konflikt geprägt.«

Zwar sei Franziskus’ Ansatz von seinem langjährigen Engagement für die jüdisch-katholischen Beziehungen geprägt gewesen, so Goldschmidt. Auch habe er sich zur Vatikan-Erklärung »Nostra aetate« bekannt, die vor 60 Jahren das Verhältnis der katholischen Kirche zum Judentum auf eine neue Basis stellte.

Seine Reaktion auf den Gaza-Krieg habe aber Kritik von jüdischen Führungspersönlichkeiten und Wissenschaftlern hervorgerufen. Dies habe zu Spannungen geführt, obwohl der Papst allgemein die Beziehungen zur jüdischen Gemeinschaft gefördert habe.

Kritik nach 7. Oktober

Papst Franziskus war von jüdischer Seite immer wieder Parteinahme für die Palästinenser und einseitige Kritik an der israelischen Regierung vorgeworfen worden. Vor Weihnachten 2024 sorgte außerdem ein Foto des Papstes vor einer von Künstlern aus Bethlehem gestalteten Krippe für den Vatikan für Aufsehen. Darin lag das Jesuskind auf einem Palästinensertuch. Wie das politisch brisante Objekt, das später verschwand, dorthin gekommen war, wurde nie wirklich geklärt.

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In Nachrufen großer jüdischer Organisationen auf Franziskus wurden oftmals beide Seiten unterstrichen: sein Engagement für die jüdische Gemeinschaft und den katholisch-jüdischen Dialog - und zugleich die Irritationen und Empörungen nach dem 7. Oktober 2023.

»Entschieden gegen Antisemitismus«

Der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, Josef Schuster, hatte am Todestag von Franziskus auch mit Blick auf das künftige Pontifikat gesagt: »Möge seine entschiedene Haltung gegen Antisemitismus, die er noch am gestrigen Ostersonntag klar formuliert hat, auch in Zukunft die katholische Kirche und die gesamte Weltgemeinschaft leiten.«

In seiner letzten Botschaft am Ostersonntag hatte Franziskus Antisemitismus sowie den Gaza-Krieg kritisiert. »Den leidenden Christen in Palästina und Israel wie dem gesamten israelischen und palästinensischen Volk bekunde ich meine Nähe.« Der Papst bezeichnete das »wachsende Klima von Antisemitismus, das sich in der ganzen Welt ausbreitet«, als besorgniserregend.

»Ohne Wenn und Aber«

Nahe dem Petersdom hatte der Jüdische Weltkongress (WJC) kurz nach dem 7. Oktober 2023 ein Büro eröffnet. Kontakte knüpfen und pflegen, das Judentum im Gespräch halten, Projekte anschieben - so hatte der Vertreter vor Ort, Viktor Eichner, seine Aufgabe benannt.

Eine Zäsur markiert der 7. Oktober nicht nur im Leben von Jüdinnen und Juden weltweit, sondern auch in den katholisch-jüdischen Beziehungen, die gleichwohl schon immer einen politischen Aspekt hatten. Maram Stern, geschäftsführender WJC-Vizepräsident, sagte kürzlich der Jüdischen Allgemeinen, dass der Dialog zwischen dem WJC und dem Heiligen Stuhl »regelrecht eingeschlafen« sei. Der Gesprächsfaden müsse wieder aufgenommen, der Dialog auf Augenhöhe geführt werden.

Auf Nachfrage der KNA erinnerten Stern und Eichner an die Besuche von Papst Franziskus in der Gedenkstätte Auschwitz 2016 und zwei Jahre zuvor an der Klagemauer in Jerusalem. Dies seien extrem wichtige Gesten gewesen. Der kommende Papst müsse von Tag eins an deutlich machen, dass der Kampf gegen Antisemitismus für ihn und die Kirche eine Priorität sei. Eine weitere Erklärung der Kirche sei sehr wichtig - »ohne Wenn und Aber«. Und: Ein Angriff auf einen Juden sei auch ein Angriff auf die Kirche.

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