Gesellschaft

Hochmut kommt vor dem Fall

Auch ein König kann sich nicht über den göttlichen Herrscher hinwegsetzen

von Rabbiner Salomon Almekias-Siegl  05.08.2013 19:12 Uhr

Yul Brunner und Gina Lollobrigida in dem Monumentalfilm »Salomon und die Königin von Saba« (USA 1959) Foto: cinetext

Auch ein König kann sich nicht über den göttlichen Herrscher hinwegsetzen

von Rabbiner Salomon Almekias-Siegl  05.08.2013 19:12 Uhr

Der Wochenabschnitt Schoftim ist reich an Gesetzen, die vom Aufbau eines jüdischen Staates handeln. Darunter befindet sich auch das Königsgesetz. Nach der Landnahme wünschte sich das Volk Israel einen König, wie ihn andere Völker hatten. Die Aussagen im 5. Buch Mose (17, 14–20) sind als eine Reaktion auf diese – nicht durchgängig positiv bewertete – Entwicklung in Israel zu verstehen.

Davon zeugen auch die Stimmen unserer Weisen. So sagt Rabbi Jehuda über den Vers: »Du sollst als König über dich setzen«, dass man ihn schon um der Erkenntnis willen fürchten und ehren soll, weil das Volk mit einem König nicht mehr wie eine hirtenlose Herde existiere. Ibn Esra ist der Meinung, dass es zur Freiwilligkeit gehöre und keine Mizwa darstelle, ob Israel einen König einsetze oder nicht. Demgegenüber sagt Rabbi Abarbanel (1437–1508): Einen menschlichen König zu haben, richte sich gegen den Willen des Himmelreiches, weil die Tora das Ziel anstrebt, ausschließlich Gott als König zu verehren.

interpretation Rabbiner Obadja Sforno (1475–1550) erklärt wie Abarbanel, dass Gott sich gegen die Idee einer Monarchie stelle. Sforno ordnet sie den rein »gojischen« Ideen zu, die im Endeffekt zum Frevel gegen Gott führten. Aharon Halevi (1235–1290) aus Barcelona schreibt in seinem Sefer Hachinuch, das die 613 Gebote erklärt: Einen König zu krönen, sei eine positive Mizwa. Sie verpflichte die Israeliten zum Gehorsam gegenüber den Geboten. Ein König habe das Recht, denjenigen zu töten, der ihm den Respekt verweigert.

Da es nun einmal zur Herausbildung einer Monarchie gekommen ist, setzt die Tora ihr Grenzen. Sie warnt Israel davor, den Wegen der Gojim zu folgen und sich eine Regierung zu schaffen, wie es unter den Völkern üblich ist. In der Auslegung der Tora versuchen unsere Weisen zu zeigen, dass es bei der Errichtung eines Königtums vor allem darauf ankommt, einen Staat mit jüdischem Charakter zu schaffen. Auf dessen Geist und Inspiration kommt es an.

So wie die Tora die besondere Stellung, das Herausgehobensein des Königs betont, so thematisiert sie auch eindringlich seine Kehrseite, die sich in der Gaawa, der Überheblichkeit zeigen kann. Königliche Weisheit weiß hier ein klares Wort zu sprechen: »Ein stolzes Herz ist dem Herrn ein Gräuel und wird gewiss nicht ungestraft bleiben« (Mischle 16,5). Das Buch Orchot Zadikim (Lebensweise der Gerechten) ergänzt, dass Überheblichkeit dazu führt, nach Ehre zu streben. Das wird am Beispiel Korachs und seiner Gemeinde erklärt.

inspiration Wie gestaltet sich nun die göttliche Inspiration (Theorie) des israelitischen Königtums im Verhältnis zum konkreten Fall eines amtierenden Königs (Praxis)? Wie kann ein König, den Gott selbst gewählt hat, davor gefeit sein, nicht stolz und überheblich zu werden? Ist ein Mensch imstande, Ehre anzunehmen, ohne sie zu genießen und sich darauf etwas einzubilden? Mit welchen Mitteln kann ein König gegen diese nachteilige Eigenschaft angehen?

Hier greift das Königsgesetz mit seinen Anweisungen, die Gefahr drohender Überheblichkeit (Gaawa) zu minimieren. Demnach soll sich der durch seine Position schon mit einem erheblichen Vermögen ausgestattete Herrschende in Bescheidenheit üben und mit dem zufrieden sein, was er hat. Die Vermögensfrage berührt auch die Forderung, die Anzahl der Frauen zu begrenzen, da diese dem König auf der Tasche liegen und letztlich die Staatskosten in die Höhe treiben.

Rabbi Bachjeh (11. Jahrhundert) nennt einen weiteren Grund: Eine Frau kann einen Mann davon abbringen, Gott zu dienen. Eine religiöse Auffassung behauptet, dass ein böser Trieb in der Frau verankert sei. Sie habe die Kraft, den Mann auf ihre Seite zu ziehen, so wie es die Geschichte von Adam und Eva im Paradies erzählt. Ein Mann, der eine dergestalt starke Frau hat, soll versuchen, gegen ihre Triebe zu kämpfen, damit sie mit ihm auf einem Level bleibt. Nach dem Verständnis der Kabbala ist das ein Teil des Tikkun, der sich auf das lebenslange Zusammensein von Mann und Frau bezieht.

Pferde Aber wozu dient das Verbot der Pferde? Rabbi Bachjeh erklärt: Damit der König das Volk Israel nicht nach Ägypten zurückbringt, da man damals von dort die Pferde bezog. Mit dem Land der Knechtschaft verbindet sich das Bild der 49 Tore der Unreinheit. Wären die versklavten Israeliten auch nur wenige Zeit länger dort geblieben, wären sie der akut drohenden Ansteckungsgefahr durch den ägyptischen Götzendienst erlegen und durch das 50. Tor der Unreinheit getreten, das ihren Exodus aus der Gefangenschaft unmöglich gemacht hätte.

Die Torarolle, die der einzusetzende König abschreiben soll, können wir als einen »Schulchan Aruch« ansehen. Sie soll die ganze Zeit bei ihm sein. Wenn er in den Krieg zieht, nimmt er sie mit, und wenn er zu Gericht sitzt, bleibt sie bei ihm (Babylonischer Talmud, Sanhedrin 21,2).

Nach unserem Urteil gilt König Salomo im Blick auf alle drei Kriterien als durchgefallen. Er besaß viele Pferde, hatte 1000 Frauen, häufte enorme Besitztümer an, und am Ende verließ er sich auf seine Weisheit, die ihn zum Götzendienst verführte. Es stellt sich nach diesem ernüchternden Befund die Frage, warum Salomo, der klügste Mensch der damaligen Zeit, obwohl er Götzendienst ausübte, dennoch im Tanach so groß gehandelt wird. Neben ihm sind wir Staub. Wie können wir denn dann noch gegen das Böse kämpfen, wenn er es schon nicht schaffte?

Eitelkeit Wenn wir uns aber einmal richtig in Salomos Geschichte und literarisches Schaffen vertiefen, dann stärken sie uns den Glauben und öffnen uns die Augen für seinen Weg und für letzte Erkenntnis. Meiner Meinung nach erschließt sich das Schicksal dieses Weisen von seinem Buch Kohelet her. Fassen wir dieses als sein Vermächtnis auf, dann lesen wir, dass Salomo sich selbst und sein Königtum darin – wie in einem Spiegel – kritisch sieht, aber seinen Glauben an Gottes Recht und Willen groß macht und hochhält über seine eigenen Verfehlungen hinaus.

Anfang und Ende dieses Weisheitsbuches bestärken uns in der Annahme dieser Sicht auf die Selbsteinschätzung Salomos und seinen Glauben an Gott: Es ist alles ganz eitel, sprach der Prediger, es ist alles ganz eitel (Kohelet 1,2). Gott wird alle Werke vor Gericht bringen, alles, was verborgen ist, es sei gut oder böse (Kohelet 12,14).

Am Ende sei die Frage erlaubt, was mit unseren Regierungen ist. Erfüllen sie die Maßstäbe, wenn wir das Königsgesetz an sie anlegen? Leider ist das Gegenteil der Fall: Viele Politiker – auch israelische – standen schon vor Gericht, weil sie ihre Position zum eigenen Vorteil ausnutzten und sich bestechen ließen. Die Medien bringen uns täglich traurige Bilder ins Haus: Premierminister und Minister wechseln so oft wie Fußballspieler einer Mannschaft. Es liegt auf der Hand: Regierungen bleiben nicht lange an der Macht, weil sie die Gesetze des Landes brechen.

Der Autor war bis 2011 Landesrabbiner von Sachsen.

Inhalt
Im Wochenabschnitt Schoftim geht es um die Organisation von Rechtsprechung und Politik. Dabei steht zunächst die Regierung im Vordergrund. Es werden Gesetze über die Verwaltung der Gemeinschaft mitgeteilt sowie Verordnungen über Richter, Könige, Priester und Propheten. Die Tora betont, dass die Kinder Israels in jeder Angelegenheit nach Gerechtigkeit streben sollen. Der Wochenabschnitt warnt vor Zauberei und Hexerei, denn das seien die Praktiken der Nachbarvölker, die Götzenanbetung betreiben. Bevor mit Verordnungen zum Verhalten in Kriegs- und Friedenszeiten geschlossen wird, weist die Tora darauf hin, dass ein Israelit, der einen anderen ohne Absicht totgeschlagen hat, sich in einer von drei Zufluchtsstädten vor Blutrache retten kann.
5. Buch Mose 16,18 – 21,9

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