Krieg

Das Eigene im Sinn

Vorwärts: Balak hatte Führungsqualitäten – im Guten wie im Schlechten. Foto: Fotolia

Unsere Sidra ist den meisten Lesern bekannt, weil darin eine Eselin spricht. Leider sind sprechende Esel heute nichts Besonderes mehr – auch unsere Gemeinden sind von diesem Phänomen nicht verschont. Das Besondere an der Eselin in unserem Wochenabschnitt ist aber, dass sie vernünftig und klar redet. Unsere Sidra trägt den Namen Balak, er war der König von Moab. Wir lesen davon, wie die Israeliten das Land der Emoriter verlassen und nach Moab kommen. Sie lagern »in den Tälern Moabs«, östlich des Jordans, gegenüber der Stadt Jericho.

Balaks Vater hieß Zippor, aber mehr wissen wir nicht von ihm. Als König ist es Balaks Pflicht, für den Schutz seines Volkes zu sorgen. Die Moabiter haben Angst, große Angst, denn sie haben gesehen, wie ihre Nachbarn, die Emoriter, von den Israeliten besiegt wurden. Die Israeliten sind längst keine Sklaven mehr, sondern ein starkes Volk: hart, wüstenerfahren und gut organisiert.

Sichon, der König der Emoriter, hatte sich geweigert, die Israeliten durch sein Land ziehen zu lassen (21, 21-23). Warum, wissen wir nicht. Dachte er vielleicht, diese Nomaden werden schon wieder abziehen? Doch statt zu verschwinden, gingen die Israeliten weiter, schlugen die Emoriter und danach auch Og, den König von Baschan. Da wurde auch Balak klar, dass er ein ernstes Problem an seinen Landesgrenzen hatte.

Stratege Es ist nicht einfach, König zu sein. Alle erwarten von ihm, dass er immer weiß, was zu tun ist. Zunächst versuchte Balak, ein Bündnis mit den Midianitern zu schließen (22,4). Er wusste, dass ein Volk allein keine Chance gegen diese kriegerischen Israeliten hat. Man muss sich also mit anderen zusammentun. Schließlich wählt Balak einen Berater aus, einen berühmten Mann: Bileam. Er ist kein Kämpfer, sondern ein Stratege, ein Prophet, der allein durch einen Fluch, durch ein paar Worte, den aufziehenden Krieg beeinflussen kann, sodass sich das Blatt wenden und Moab gerettet werden würde.

So denkt der König und lädt den Propheten ein. Über die Vertragsverhandlungen sowie Bileams Reise per Eselin aus dem Land am Euphrat nach Moab kann man im 4. Buch Moses 22, 5-35 lesen. Vermutlich nimmt er nicht den direkten Weg, denn der würde ihn durch die Wüste führen. Und so dauert es; Wochen vergehen.

Inzwischen nähern sich die Israeliten der Grenze. Was denkt Balak, was denken die Moabiter? Gab es Kontakte zwischen ihnen und den Israeliten? Gespräche, Angebote, Verhandlungen? Steht Balaks Heer in Alarmbereitschaft? Sind die Städte auf die Belagerungen vorbereitet, sind genügend Vorräte eingelagert? Was tut ein König in einer solchen Situation? Vertraut er darauf, dass Bileam bald kommen wird?

Dreimal bringt Balak seine »Geheimwaffe« gegen die Israeliten in Stellung. Er baut Altäre, opfert Tiere; er tut alles, was ihm gesagt wurde. Und dreimal weigert sich Bileam, die Israeliten zu verfluchen. In Kapitel 23, Vers 7 wird Balak sogar vor seinen Fürsten gedemütigt. Bileam sieht, wie er mit ihnen beim Opfer steht und spricht: »Erhebe dich und höre, Balak! Vernimm mein Wort, du Sohn des Zippors! Kein Mensch ist Gott, dass er Lüge spricht«.

In 24,10 wird Balak wütend. »Er schlug die Hände zusammen« und sagte zu Bileam: »Damit du meine Feinde verfluchst, habe ich dich rufen lassen, und nun hast du sie schon dreimal gesegnet. Geh in deine Heimat zurück! Ich dachte, ich würde dir Ehre erweisen, doch siehe, der Ewige hat sie dir versagt.« Bileam verteidigt sich, doch am Ende trennen sich die Männer: »Und Bileam machte sich auf, ging weg und kehrte in seine Heimat zurück; und auch Balak ging seines Weges« (24,25). Aber mit welchen Gefühlen? Welche Hoffnung hat er noch und welche weiteren Pläne?

verhängnis Ironischerweise geht in den nächsten Kapiteln die große Gefahr für die Israeliten von ihnen selbst aus. Die Töchter Moabs sind für Israel verhängnisvoller als Soldaten.
Was aber passierte mit Moab? Und wie starb Balak? Die Tora erzählt nichts davon. Doch auch nach seinem Tod blieb Balak in Erinnerung. In Jehoschua 24, 9-10 spricht Gott zu den Israeliten: »Da erhob sich Balak, der Sohn Zippors, der König von Moab, und kämpfte gegen Israel. Und er sandte hin und rief Bileam, den Sohn Beors, um euch zu verfluchen. Ich wollte aber nicht hören auf Bileam, und er musste euch segnen, und ich rettete euch aus seiner Hand.«

In Richter 11, 23-25 spricht Jiftach, um Israels Existenzrecht zu verteidigen und den Vorwurf der Ammoniter, Israel habe das Land Moabs gestohlen, zu widerlegen. Sarkastisch fragt er die Ammoniter: »Bist du denn besser als Balak?« Und der Prophet Micha (6,5) ruft den Israeliten zu: »Mein Volk, bedenke doch, was Balak, Moabs König, beschlossen hat, und was Bileam, der Sohn Beors, ihm erwiderte!«

Ich möchte Balak gern rehabilitieren. Er hat einen Krieg verloren, aber das heißt nicht, dass er ein schlechter König war. Er hat seine Pflicht erfüllt und sein Bestes gegeben. Nur – Gott war gegen ihn. Das Wort »Balak« heißt »zerstören«, wie in Jeschajahu 24,1 oder Nahum 2,11.

Wie sollen Diplomaten, politische Berater und Militärs heute vorgehen gegen gefährliche und zerstörerische Völker, die behaupten, Gott sei auf ihrer Seite? Sind wir bedroht, oder ist es nur unnötige Panik? Soll man sich gegen sie verbünden? Wenn ja, wie?

Ich bin weder Diplomat noch Prophet, und ich möchte auch kein Esel sein – ich werde hier also keine polemischen Antworten anbieten. Ich möchte nur empfehlen, dass wir versuchen sollen, König Balak besser zu verstehen. Er hatte es nicht einfach, und er hat sein Bestes getan.

Der Autor ist Landesrabbiner von Schleswig-Holstein.

Inhalt
Der Wochenabschnitt Balak hat seinen Namen von dem moabitischen König. Dieser fürchtet die Israeliten und beauftragt den Propheten Bileam, das Volk Israel zu verfluchen. Doch Bileam segnet sie und prophezeit, dass die Feinde fallen werden.
4. Buch Moses 22,2 – 25,9

Gespräch

Beauftragter Klein: Kirche muss Antijudaismus aufarbeiten

Der deutsche Antisemitismusbeauftragte Felix Klein kritisiert die Heiligsprechung des Italieners Carlo Acutis. Ihm geht es um antijüdische Aspekte. Klein äußert sich auch zum christlich-jüdischen Dialog - und zum Papst

von Leticia Witte  13.06.2025

Beha’Alotcha

Damit es hell bleibt

Wie wir ein Feuer entzünden und dafür sorgen, dass es nicht wieder ausgeht

von Rabbiner Joel Berger  13.06.2025

Talmudisches

Dankbarkeit lernen

Unsere Weisen über Hakarat haTov, wie sie den Menschen als Individuum trägt und die Gemeinschaft zusammenhält

von Diana Kaplan  13.06.2025

Tanach

Schwergewichtige Neuauflage

Der Koren-Verlag versucht sich an einer altorientalistischen Kontextualisierung der Bibel, ohne seine orthodoxen Leser zu verschrecken

von Igor Mendel Itkin  13.06.2025

Debatte

Eine »koschere« Arbeitsmoral

Leisten die Deutschen genug? Eine jüdische Perspektive auf das Thema Faulheit

von Sophie Bigot Goldblum  12.06.2025

Nasso

Damit die Liebe bleibt

Die Tora lehrt, wie wir mit Herausforderungen in der Ehe umgehen sollen

von Rabbiner Avichai Apel  06.06.2025

Bamidbar

Kinder kriegen – trotz allem

Was das Schicksal des jüdischen Volkes in Ägypten über den Wert des Lebens verrät

von Rabbiner Avraham Radbil  30.05.2025

Schawuot

Das Geheimnis der Mizwot

Der Überlieferung nach erhielt das jüdische Volk am Wochenfest die Tora am Berg Sinai. Enthält sie 613 Gebote, oder sind es mehr? Die Gelehrten diskutieren seit Jahrhunderten darüber

von Rabbiner Dovid Gernetz  30.05.2025

Tikkun Leil Schawuot

Nacht des Lernens

Die Gabe der Tora ist eine Einladung an alle. Weibliche und queere Perspektiven können das Verständnis dabei vertiefen

von Helene Shani Braun  30.05.2025