Talmudisches

Birkat HaIlanot

Foto: Getty Images

Von Rav Jehuda stammt die Aussage, wer in den Tagen des Monats Nissan hinausgeht und blühende Bäume sieht, der soll folgenden Segensspruch sagen: »Gepriesen sei Er, der es in seiner Welt an nichts hat fehlen lassen, und der in ihr schöne Geschöpfe und schöne Bäume erschaffen hat, damit sich die Menschen an ihnen erfreuen« (Berachot 43b).

Offenbar war für die talmudischen Weisen mit dem Anblick der blühenden Bäume nicht nur eine visuelle Freude verbunden, sondern auch ein Wohlgeruch. Denn wir finden Rav Jehudas Aussage eingebettet zwischen einer Bracha über das Riechen an reifen Früchten und einer Diskussion darüber, weshalb man über Geruch eine Bracha sprechen solle.

Dazu erklärt Rav Sutra bar Tovja im Namen von Rav, es heiße doch: »kol haNeschama tehalel Haschem – jede Seele lobe den Ewigen« (Tehilim 150) –, und der Geruch erfreue schließlich die Seele, wenn auch kein körperlicher Genuss damit verbunden sei, anders als beim Essen. Dabei sind mit den blühenden Bäumen keine Ziergewächse gemeint, sondern die im Nissan blühenden Obstbäume. Über duftspendende Bäume und Sträucher, die keine Früchte tragen, wie den Balsambaum oder den Jasmin, lautet die Bracha dagegen: »Der wohlriechende Bäume erschafft« (Berachot 43ab).

Der Segensspruch wird nur einmal im Jahr gesagt

Es ist Brauch, die Birkat HaIlanot nur ein einziges Mal im Jahr zu sagen, im Sinn eines Schehechejanu, wenn man draußen in der Natur zwei oder mehr blühende Obstbäume erblickt, und zwar im Monat Nissan, wie es im Talmud heißt. Doch so wie beim Schehechejanu sind zum Sprechen der Bracha auch die Frauen verpflichtet. Dies mag einen Hinweis darauf geben, dass es sich hier lediglich um eine relative zeitliche Festsetzung handelt. Denn was soll man tun, wenn die Obstbaumblüte nicht in den Nissan fällt, oder wenn man sie zu einer anderen Zeit sieht?

In Australien beispielsweise fällt die Baumblüte in den Tischri. Von jenen fernen Ländern mit einer so deutlichen Verschiebung der Jahreszeiten im Vergleich zur ihnen damals bekannten Welt wussten unsere Weisen freilich noch nichts. Aber es gab schon zu früheren Zeiten Diskussionen darüber, ob die Birkat Ha­Ilanot wirklich nur im Nissan gesagt werden darf. Manche Kommentatoren erweiterten den Zeitraum auf die Monate Adar, Nissan und Ijar, mit der Begründung, Nissan sei als Zeitangabe eher symbolisch zu sehen und stehe für das Frühjahr als der Jahreszeit, in der eben die Obstbäume blühen.

Auch Maimonides, der Rambam (1138–1204), schaut auf die Natur und erklärt, man könne die Bracha bis zu dem Moment sagen, in dem die Bäume begonnen haben, ihre Fruchtstände anzusetzen, und so finden wir es auch im Schulchan Aruch. Wenn jemand also in einem Land lebt, in dem die natürliche Blütezeit der Obstbäume nicht in den Nissan fällt, kann er folglich die Bracha im entsprechenden anderen Monat sagen, sonst wäre der Segensspruch in dem Fall sinnlos.

Laut der Kabbala hat die Birkat HaIlanot tiefe spirituelle Bedeutung

Die Kabbala legt allerdings großen Wert darauf, die Birkat HaIlanot tatsächlich nur im Nissan zu sagen, und sie fügt der Rezitation dieser Bracha noch eine tiefe spirituelle Bedeutung hinzu, indem sie diese mit der Erlösung von Seelen verknüpft.

Raschi (1040–1105) sieht die enge Verbindung der Bracha mit dem Frühlingsmonat durch den Aspekt des Hinausgehens in die Natur gegeben, weil der Nissan, den die Tora als den ersten Monat bezeichnet, schließlich die Zeit ist, zu der die Benej Jisrael hinausgingen aus der ägyptischen Sklaverei in die Freiheit. Und in der Auslegung des Maharscha, Rabbiner Samuel Edels (1555–1631), kann die Erneuerung der Bäume, die durch ihre Blüte erkennbar wird, zudem als Symbol für die Rückkehr des jüdischen Volkes nach Israel gesehen werden.

Und wenn man es versäumt hat, die Birkat HaIlanot zur Baumblütezeit zu sagen? Dann verbleibt einem immer noch die Möglichkeit der allgemeinen Bracha beim Anblick eines schönen Baumes: »Gepriesen sei Er, der in Seiner Welt solches hat« (Berachot 58b).

USA

6500 Rabbiner auf einem Foto

»Kinus Hashluchim«: Das jährliche Treffen der weltweiten Gesandten von Chabad Lubawitsch endete am Sonntag in New York

 17.11.2025

Talmudisches

Torastudium oder weltliche Arbeit?

Was unsere Weisen über das rechte Maß zwischen Geist und Alltag lehren

von Detlef David Kauschke  14.11.2025

Chaje Sara

Bewusster leben

Sara hat gezeigt, dass jeder Moment zählt. Sogar ihr Schlaf diente einem höheren Ziel

von Samuel Kantorovych  13.11.2025

Spurensuche

Von Moses zu Moses zu Reuven

Vor 75 Jahren starb Rabbiner Reuven Agushewitz. Er verfasste religionsphilosophische Abhandlungen mit einer Intensität, die an Maimonides und Moses Mendelssohn erinnert. Wer war dieser Mann?

von Richard Blättel  13.11.2025

Wajera

Awrahams Vermächtnis

Was wir vom biblischen Patriarchen über die Heiligkeit des Lebens lernen können

von Rabbiner Avraham Radbil  07.11.2025

Talmudisches

Rabbi Meirs Befürchtung

Über die falsche Annahme, die Brachot, die vor und nach der Lesung gesprochen werden, stünden im Text der Tora

von Yizhak Ahren  07.11.2025

Festakt

Ministerin Prien: Frauen in religiösen Ämtern sind wichtiges Vorbild

In Berlin sind zwei neue Rabbinerinnen ordiniert worden

 06.11.2025

Chassidismus

Im Sturm der Datenflut

Was schon Rabbi Nachman über Künstliche Intelligenz wusste

von Rabbiner David Kraus  06.11.2025

Rezension

Orthodoxer Rebell

Sein Denken war so radikal, dass seine Werke nur zensiert erschienen: Ein neues Buch widmet sich den Thesen von Rabbiner Kook

von Rabbiner Igor Mendel  06.11.2025