Jerusalem

Zur Sache

Heiligtum und Ort der Sehnsucht: der Jerusalemer Tempelberg und die Klagemauer Foto: Flash 90

Ein Gespenst geht um in der internationalen Staatengemeinschaft. Das Gespenst von der »Veränderung des Status quo am Tempelberg« in Jerusalem.

Einerlei, ob Staaten demokratisch regiert werden wie die EU-Mitgliedsländer und die USA et cetera oder ob von Gewaltherrschaften à la China, Syrien, Iran – in seltener Eintracht äußern die Diplomaten vieler Staaten wie zuletzt die US-Botschafterin bei der UNO, Linda Thomas-Greenfield, und Diktaturen plus Arabischer Liga ihren Protest sowie ihre »tiefe Besorgnis« über die Verschiebung des Status quo am Tempelberg, den die Juden Har Habait und die Muslime Haram al Sharif, Edles Heiligtum, nennen. Unter »Veränderung des Status quo« wird eine Umverteilung der Macht- und Rechtssituation zugunsten Israels bezeichnet und verurteilt.

propagandalüge Wenn derartig unterschiedliche Staaten nahezu einträchtig die Veränderung des Status quo am Tempelberg beklagen und davor warnen, könnte man meinen, es handle sich um einen Angriff gegen die bislang feststehende friedliche Ordnung. Tatsächlich ist es eine bewusst gepflegte Propagandalüge. Denn jeder, der sich mit Geschichte beschäftigt, weiß, dass ein Status quo dem menschlichen Verhalten und jenem von Staaten eklatant widerspricht. Die menschliche Spezies und ihre Länder agieren dynamisch. Ein »Ende der Geschichte« gibt es nicht.

Ein »Ende der Geschichte« gibt es nicht.

Beispiel Tempelberg in Jerusalem: Der Erste Tempel wurde auf den Trümmern anderer Stätten, wohl auf Anweisung König Salomos, vor 3000 Jahren errichtet. Nach der Rückkehr aus dem babylonischen Exil erbauten die Juden ihren Zweiten Tempel 515 v.d.Z. Römische Truppen zerstörten Jerusalem und den Tempel im Jahre 70.

Übrig blieben Teile der Westmauer. Nach Fortdauer des jüdischen Widerstandes wurden alle Hebräer des Landes vertrieben. Dennoch blieb die Westumfassung des Tempels als Klagemauer im Herzen der Juden in aller Welt. Sie war das einzige Heiligtum und Ort der Sehnsucht der Israeliten in zwei Jahrtausenden Diaspora.

stillstand Da die Geschichte keinen Stillstand kennt, wechselte die Herrschaft über Jerusalem im Laufe der Zeit fortwährend. Unter anderem eroberten die Heere der Araber 638 die Stadt. Es folgten die Fatimiden, die Kreuzritter, später die Osmanen, bis die Briten 1917 Jerusalem im Ersten Weltkrieg eroberten. Während der Herrschaft Londons über das Völkerbundmandatsgebiet Palästina einschließlich Jerusalems bewegte sich das Geschehen im Land, in Jerusalem und am Tempelberg.

Die zionistische Aktivität erzürnte arabische Nationalisten, an ihrer Spitze den von den Briten ernannten Mufti der Stadt. 1929 verübte ein aufgehetzter arabischer Mob ein Massaker an jüdischen Betern vor der Klagemauer. Im nahen Hebron wurde die gesamte jüdische Gemeinschaft umgebracht oder musste fliehen.

Die meisten Muslime empfinden Besuche von Juden auf dem Tempelberg als Provokation.

1947 beschlossen die Vereinten Nationen die Teilung Palästinas. Jerusalem sollte internationalen Status erhalten. Die Zio­nisten nahmen den Plan an, die Araber antworteten mit Krieg am Tag der Proklamation Israels. Das Westjordanland, das biblische Judäa und Samaria einschließlich Ost-Jerusalems inklusive Altstadt wurden von der von britischen Offizieren befehligten Arabischen Legion Transjordaniens erobert.

vertreibung Als Folge wurden alle dortigen Juden vertrieben. Sämtliche Synagogen und jüdische Stätten wurden zerstört. Juden wurde der Zugang, selbst zu ihrer Klagemauer, verwehrt. Auf dem angrenzenden Ölberg wurden die meisten Grabstätten zerstört – auch die meines Großvaters Isaak Raphael Seligmann.

Gegen diesen Bruch des Status quo gab es keine nennenswerten internationalen Proteste. Wohl aber gegen die nächste Veränderung. Nachdem der israelische Westteil Jerusalems im Juni 1967 von Jordaniens Militär angegriffen worden war, eroberte Israels Armee Jerusalem. Die Stadt wurde unter Israels Souveränität wiedervereinigt und erstmals seit Langem wieder die Hauptstadt des jüdischen Staates. Auf dem Tempelberg aber gab es nur geringe Veränderungen.

Die internationale Gemeinschaft reagiert gegenwärtig wie gewohnt.

Das Gelände blieb unter der Verwaltung der islamischen Stiftung Waqf, die von Jordanien kontrolliert wurde. Juden wurde wieder der Zugang erlaubt. Gebete sollten sie nicht leisten. Dennoch empfinden die meisten Muslime Besuche von Juden, speziell jüdischer Politiker, als Provokation. So die Visiten Ariel Scharons im Jahre 2000 und des neuen israelischen Sicherheitsministers Ben-Gvir Anfang Januar.

koalition Die internationale Gemeinschaft reagiert gegenwärtig wie gewohnt. Sie zückt erneut das Propagandaschwert der Verwarnung wegen einer Veränderung des Status quo. Was anderen erlaubt ist, darf Israel nicht. Tatsächlicher Stein des Anstoßes ist die Bildung der neuen israelischen Regierung. Benjamin Netanjahu hat eine nationalistisch-religiöse Koalition geschmiedet.

Netan­jahus Likud will die Rechte des Obersten Gerichts beschränken. Die Minister Smotrich und Ben-Gvir wollen obendrein die Rechte der jüdischen Siedler in den besetzten Gebieten zuungunsten der Araber stärken. Das ist diskriminierend, dumm und provozierend obendrein. Dagegen wird in Israel scharf protestiert. Auch das Ausland soll Stellung beziehen. Zur Sache, aber aufgrund von Fakten, nicht durch deren propagandistische Verdrehung.

Der Autor ist Schriftsteller und Historiker. Zuletzt veröffentlichte er seine Familientrilogie »Lauf, Ludwig, lauf«, »Hannah und Ludwig« und »Rafi, Judenbub«.

Innere Sicherheit

Dschihadistisch motivierter Anschlag geplant: Spezialeinsatzkommando nimmt Syrer in Berlin-Neukölln fest 

Nach Informationen der »Bild« soll der Mann ein Ziel in Berlin im Blick gehabt haben

 02.11.2025 Aktualisiert

Interview

»Wir hatten keine Verwandten«

Erst seit einigen Jahren spricht sie über ihre jüdischen Wurzeln: Bildungsministerin Karin Prien erzählt, warum ihre Mutter davon abriet und wann sie ihre eigene Familiengeschichte erst begriff

von Julia Kilian  02.11.2025 Aktualisiert

Meinung

Ich kann euch nicht hören

Während im Sudan die schwerste humanitäre Krise der Welt tobt, schweigen die selbst ernannten Menschenrechts-Demonstranten in Europa und auf der Welt

von Sophie Albers Ben Chamo  02.11.2025

Berlin/München

Nach Terror-Skandal beim ZDF: ARD überprüft Mitarbeiter in Gaza

Alle in Gaza tätigen Mitarbeiter hätten versichert, keinerlei Nähe zu Terrororganisationen zu haben, sagt der zuständige Bayerische Rundfunk

 02.11.2025 Aktualisiert

Jerusalem/Düsseldorf

Yad Vashem will beim Standort in Deutschland eine schnelle Entscheidung

In Nordrhein-Westfalen, Bayern oder Sachsen soll erstmals außerhalb Israels ein Bildungszentrum zum Holocaust entstehen. Die Entscheidung soll zügig fallen

 02.11.2025 Aktualisiert

Düsseldorf

Wolfgang Rolshoven mit Josef-Neuberger-Medaille geehrt

Mit der Auszeichnung würdigte die Jüdische Gemeinde Rolshovens jahrzehntelanges Engagement für jüdisches Leben und seinen entschlossenen Einsatz gegen Judenhass

 31.10.2025

Nürnberg

»Nie wieder darf Hass die Oberhand gewinnen«

Kongressabgeordnete aus Washington D.C., Touristen aus China und Geschichtsinteressierte aus Franken: Das Interesse an den Nürnberger Prozessen ist 80 Jahre nach dem Start des historischen Justizereignisses ungebrochen

von Michael Donhauser  31.10.2025

Ankara

Offene Konfrontation zwischen Erdogan und Merz über Israel und Gaza

Eigentlich wollte der Bundeskanzler bei seinem Antrittsbesuch neue Harmonie in die deutsch-türkischen Beziehungen bringen. Bei einer Pressekonferenz mit mit türkischen Präsidenten kommt es stattdessen zur offenen Konfrontation

von Anne Pollmann, Michael Fischer, Mirjam Schmitt  31.10.2025

Halle

»Hetze gegen Israel«: Rektorin der Uni Halle gibt Fehler zu 

Die Veranstaltung an der (MLU) fand unter dem Titel »Völkermord in Gaza« statt

 30.10.2025