Einspruch

Widerspruch rettet Leben

Shai Hoffmann Foto: Peter van Heesen

Der 24. April 2007 hat sich tief in mein Gedächtnis eingebrannt. Es ist der Tag, an dem mir mein Vater eine Niere spendete. Seitdem habe ich zwei Geburtstage. Meine neue Niere ist ein Geschenk, das mein Leben veränderte und mich seit bald 13 Jahren ein zum größten Teil normales und sehr aktives Leben führen lässt. Auf ein solches Geschenk hoffen allein in Deutschland derzeit rund 10.000 Menschen. Sie stehen auf der »Eurotransplant«-Liste und warten sehnsüchtig auf den Anruf.

Wenn der Tag heute vergangen ist, werden hierzulande wieder drei Menschen gestorben sein, weil ein lebensrettendes Organ nicht früh genug gefunden wurde. Die Spendenbereitschaft in Deutschland ist – Tacheles gesprochen – dramatisch. Zusammen mit Rumänien, Bulgarien und Griechenland hat das Land die geringste Organspendenquote in der EU. Woran liegt es? Es ist paradox: Laut Umfragen wären rund 80 Prozent der Deutschen bereit, nach ihrem Tod ihre Organe zu spenden, doch einen Spendeausweis besitzen lediglich rund 30 Prozent. In Deutschland muss man sich zu Lebzeiten proaktiv für eine Organspende aussprechen – die »Zustimmungslösung«.

diskrepanz Das setzt jedoch voraus, dass man sich mit dem eigenen Tod befasst. Wer tut das schon gerne? Diese hohe Diskrepanz ist verständlich, aber nicht hinnehmbar.

Die Politik muss dringend handeln und am Donnerstag im Bundestag für die Widerspruchsregelung votieren.

Die Politik muss deshalb dringend handeln und am Donnerstag im Bundestag für die Widerspruchsregelung votieren. Diese besagt, dass jede*r künftig automatisch Organspender*in sein soll. Wenn Sie zu Lebzeiten also kein*e Organspender*in sein möchten, dann widersprechen Sie proaktiv.

Und dieser Widerspruch ist auch vollkommen in Ordnung, denn es besteht keine Pflicht, Spender*in zu sein. Er setzt lediglich voraus, dass Sie sich zeitlebens mit der Frage auseinandergesetzt haben, was nach dem Tod mit Ihren Organen geschehen soll. Dabei behalten Sie als Widersprechende*r stets das Recht, ein Organ zu empfangen – und statistisch gesehen, ist die Chance, ein Organ zu benötigen, noch immer viermal höher als die Bereitschaft, eines zu spenden.

nutzniesser Deutschland importiert Organe aus Ländern, in denen die Widerspruchslösung gilt – ist also Nutznießer des Angebots im EU-Ausland. Das muss sich ändern! Es geht um Menschenleben, um Schicksale von Müttern, Vätern, Großeltern und Kindern. Es ist unser Gebot, unseren Mitmenschen zu helfen, wie es auch die Tora vorschreibt. »(...) Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.« (Lev 19,18). Mein Leben ist wieder lebenswerter geworden – dank der Niere meines Vaters.

Ich wünsche mir, dass der 16. Januar mein dritter Geburtstag wird. Der Tag, der Menschen, die auf ein lebensrettendes Organ warten, wieder Lebensmut schenkt. Stimmen Sie am Donnerstag bitte für die Widerspruchslösung, liebe Bundestagsabgeordnete!

Shai Hoffmann ist Publizist in Berlin.

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