Antisemitismus

Von wegen »Nie wieder«

Israelfeindliche Demonstration im Mai in Berlin, bei der es auch zu massiven judenfeindlichen Ausschreitungen kam. Foto: picture alliance / SULUPRESS.DE

Der Knall war laut und heftig. Er sollte jene wachrütteln, die sich gern die Ohren zuhalten und Judenhass zu Israelkritik umdeuten. Die Veröffentlichung der unerträglich obszönen Hassmails war der verzweifelte Hilferuf des Zentralrats der Juden: Hört uns endlich! Tut was!

Prompt sprang die »Nie-Wieder-Floskel«-Maschine an. Folgenlos wie immer. Statt Flagge zu zeigen, holte etwa die Stadt Hagen die tapfer gehisste israelische Fahne am Rathaus gleich wieder ein – aus Angst vor Mitgliedern der muslimischen Community, die andernorts bereits »Bomben auf Tel Aviv« forderten, Synagogen und Gedenkstätten angriffen.

entlastungshorn »Wir haben Antisemitismus importiert«, plakatiert Die Linke und bläst damit ins selbe Entlastungshorn wie die AfD. Antisemitismus ist stets das Problem der anderen, ganz so, als ob der muslimische Judenhass, der durch Flüchtlinge aus arabischen Ländern Zulauf erhalten hat, den Antisemitismus der Rechten, Linken und der Mitte aufheben würde.

Der Sieger im makabren Wettstreit um die Frage, welche Form des Antisemitismus die meisten Anhänger hat, steht noch nicht fest. Der Verlierer schon: die Juden in Deutschland.

Der Sieger im makabren Wettstreit um die Frage, welche Form des Antisemitismus die meisten Anhänger hat, steht noch nicht fest. Der Verlierer schon: die Juden in Deutschland. Insgesamt sei ein »ganz aggressives antisemitisches Klima« zu erleben, dem mit »Prävention, Interven­tion und Repression« begegnet werden müsse, so Samuel Salzborn, der Antisemi­tismusbeauftragte der Stadt Berlin, in einem bemerkenswerten Interview in den »Tagesthemen«.

Sein Aufruf richtet sich an Staat und Gesellschaft und an die Medien mit ihrer besonderen Verantwortung, der sie viel zu oft nicht gerecht werden. Es beginnt schon bei der Sprache. Stets ist die Rede von der »radikal-islamischen« Hamas, nicht aber von der »Terrororganisation«, als die sie die EU eingestuft hat. Wer in wenigen Tagen mehr als 4000 Raketen wahllos auf Zivilisten schießt, ist nicht radikal, sondern ein »Kriegsverbrecher«.

floskelkiste Selbst ein erfahrener Journalist wie Claus Kleber griff tief in die Floskelkiste, als er im »heute journal« von »primitiven Raketen« sprach. Das aber sind sie längst nicht mehr, wie der Raketenhagel auf Jerusalem und Tel Aviv doch gerade zeigte. Klischees statt Recherche. Erst Tage später wurde endlich gefragt: Wer hat die Hamas militärisch so aufgerüstet? Woher kommt das Geld für Abertausende Raketen und die großflächige Untertunnelung Gazas? Die Antworten stehen schnellen Empörungsurteilen im Weg. Fakten haben es schwer gegen gefühlte Wahrheiten und politische Reflexe.

Antisemitismus ist stets das Problem der anderen.

Zu Letzterem gehört auch die Forderung von »Reporter ohne Grenzen«, Israel wegen der Sprengung von vier Hochhäusern, in denen auch Medien ihren Sitz hatten, vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag anzuklagen. Nach israelischen Geheimdienstinformationen wurden die Journalisten allerdings von der Hamas als menschliche Schutzschilde benutzt, um aus den Häusern ungefährdet operieren zu können. Dem widerspricht nicht einmal die Hamas.

Warum sich viele Kolleginnen und Kollegen vor Ort einspannen lassen für die Terrorstrategie der Hamas, ist leicht verständlich, wird aber kaum berichtet. Der palästinensische Journalist Khaled Abu Toameh twittert, dass allein 43 Palästinenser wegen der »Verbreitung von Gerüchten, die die Stabilität der Heimatfront untergraben«, verhaftet wurden. In Gaza gibt es keine Pressefreiheit. Wer unliebsame Fragen stellt, riskiert Freiheit und Leben.

propaganda Umso wichtiger ist es, die journalistischen Möglichkeiten in Deutschland zu nutzen, um der palästinensischen Propaganda durch differenzierte Berichterstattung und Fakten entgegenzuwirken. Wenn aber Demonstranten in bereitwillig gezückte Mikrofone »Kindermörder Israel« brüllen können, ohne Widerspruch und ohne Nachfrage, dann ist das kostenlose Sendezeit für judenfeindliche Hetze. Das antisemitische Framing erreicht so ein Millionenpublikum.

In der Kürze liegt die Lüge. Und in der Auslassung.

Es ist journalistisch völlig in Ordnung, Aufnahmen einer Überwachungskamera zu senden, die zeigen, wie mutmaßlich jüdische Extremisten in Jaffa die Wohnung einer arabischen Familie angreifen und einen kleinen Jungen schwer verletzen. Dann aber muss auch berichtet werden, wenn sich zwei Tage später herausstellt, dass es arabische Täter waren, die sich im Haus geirrt und geglaubt hatten, eine jüdische Familie anzugreifen. Andernfalls bestätigen diese Bilder nur das Weltbild derer, die ihren Judenhass ins Netz stellen und auf der Straße ausleben.

So wie am 15. Mai, dem »Nakba-Tag«. Fast durchgängig wurde das arabische Narrativ transportiert, wonach damit an die »Vertreibung« der Palästinenser als Folge der Staatsgründung Israels erinnert werde. Verkürzt und damit falsch. Es fehlte fast unisono der Hinweis auf den Angriff der arabischen Nachbarn, die noch in derselben Nacht dem Judenstaat den Krieg erklärten und so Hundertausende Palästinenser heimatlos machten – vor allem als Flüchtlinge. In der Kürze liegt die Lüge. Und in der Auslassung.

Dass sich an diesem 15. Mai 2021 in Deutschland auch Menschen versammeln, um ihre Solidarität mit Israel auszudrücken, ist in der Berichterstattung bestenfalls eine Randnotiz. In Frankfurt sind es rund 700 Demonstranten. Sie sind vereint in der Sorge um Freunde und Verwandte in Israel – und im Wissen darum, wie wenig Verlass auf markige Versprechungen ist. Aus dem »Nie wieder« ist längst ein »Immer wieder« geworden.

Die Autoren sind Journalisten. 2015 veröffentlichten sie gemeinsam das Buch »Israel ist an allem schuld«.

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