Parlament

Verspätete Debatte

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich im Bundestag Foto: dpa

Der Bundestag hat sich am Mittwochnachmittag mit dem »Bericht des unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus« befasst. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) nannte dabei als Beispiel für die Dringlichkeit der Frage den Angriff auf Rabbiner Daniel Alter im August in Berlin-Schöneberg. Diese antisemitische Gewalttat sei ein »Handlungsauftrag an alle«, sich dafür einzusetzen, dass Menschen wegen ihrer Religion oder Hautfarbe nicht um ihr Leben fürchten müssen. Es sei Aufgabe des Staates und jedes Demokraten, Antisemitismus zu bekämpfen, gleichgültig, in welcher Maske oder Form er daherkäme, betonte Friedrich.

Experten Der rund 300 Seiten umfassende Bericht wurde bereits im Dezember 2011 von einem Gremium um den Historiker Peter Longerich vorgestellt. Die Experten kamen darin zu dem Schluss, das Antisemitismus in vielen Facetten auftrete: Mehr als 90 Prozent aller judenfeindlichen Straftaten würden von Tätern aus dem rechtsextremen Spektrum begangen, auch der Islamismus sei inzwischen ein gefährlicher Träger von Judenhass. Bei einzelnen Personen des linksextremistischen Lagers gebe es außerdem antisemitische Tendenzen, die häufig als Israelkritik verbrämt würden.

Wolfgang Thierse (SPD) bedauerte, dass die Aussprache zum Antisemitismusbericht erst nach fast einem Jahr zustande gekommen ist. Auch er unterstützte den Vorschlag des Bundesinnenministers, dass das Parlament in jeder Legislaturperiode über Antisemitismus debattieren solle. Thierse kritisierte die »Zyklen medialen und politischen Engagements« nach judenfeindlichen Überfällen und stellte fest, dass die »öffentliche Erschütterung« dann nicht lange anhielte. Er forderte eine Bundesstiftung, die mehr als nur »punktuelle« Hilfe leisten könne.

Konsequenzen Zwar gebe es Programme gegen Judenfeindlichkeit, allerdings stünden die oftmals aus finanziellen Gründen vor dem Aus, sagte Petra Pau (Linke). Sie rief dazu auf, dem Bericht »Taten folgen zu lassen« und forderte »das Thema Antisemitismus sollte in der Ausbildung von Pädagogen, Journalisten, Polizisten oder Juristen viel präsenter sein.«

Volker Beck (Bündis 90/Grüne) widersprach dem Abgeordneten Stefan Ruppert (FDP), der zuvor sagte, Antisemitismus käme in »Wellen«. Judenfeindlichkeit sei vielmehr Teil des Alltags, betonte Beck. Kritik übte er auch an der Bundesregierung, die seit Veröffentlichung des Berichts keine konkreten Maßnahmen gegen Antisemitismus umgesetzt habe.

Hans-Peter Uhl (CDU/CSU) wies dies zurück: Nie sei so viel Geld »für dieses Thema« ausgegeben worden, wie unter der derzeitigen Bundesregierung. Er verwies dabei auch auf den Staatsvertrag mit dem Zentralrat der Juden. Gabriele Fograscher (SPD) warnte davor, dessen Zuwendungen als »Maßnahme« gegen Antisemitismus zu verstehen. Jüdinnen und Juden müssten sich hier im Land sicher fühlen: Es könne nicht sein, sagte Fograscher, dass man anziehen könne, was man wolle, »nur eine Kippa nicht«.

Lesen Sie das Interview zum Antisemitismusbericht mit Peter Longerich: prelive.juedische-allgemeine.de/article/view/id/11687

Sabine Brandes

Trump greift Israels Demokratie an

Der US-Präsident hat angekündigt, in den Korruptionsprozess gegen Israels Premierminister Benjamin Netanjahu eingreifen zu wollen. Damit geht der Amerikaner eindeutig zu weit

von Sabine Brandes  12.11.2025

Interview

»Niemand hat Jason Stanley von der Bühne gejagt«

Benjamin Graumann, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, weist die Vorwürfe des amerikanischen Philosophen zurück und beschuldigt ihn, Unwahrheiten über den Abend in der Synagoge zu verbreiten

von Michael Thaidigsmann  12.11.2025

Hessen

Margot Friedländer erhält posthum die Wilhelm-Leuschner-Medaille

Die Zeitzeugin Margot Friedländer erhält posthum die höchste Auszeichnung des Landes Hessen. Sie war eine der wichtigsten Stimme in der deutschen Erinnerungskultur

 12.11.2025

Justiz

Anklage wegen Hausverbots für Juden in Flensburg erhoben

Ein Ladeninhaber in Flensburg soll mit einem Aushang zum Hass gegen jüdische Menschen aufgestachelt haben. Ein Schild in seinem Schaufenster enthielt den Satz »Juden haben hier Hausverbot«

 12.11.2025

Berlin

Verhandlung über Waffenlieferungen an Israel

Insgesamt sechs Kläger wollen vor dem Berliner Verwaltungsgericht in zwei Fällen feststellen lassen, dass der Export deutscher Rüstungsgüter an Israel rechtswidrig war. Eine Entscheidung wird noch für Mittwoch erwartet

 12.11.2025

Interview

»Erinnern, ohne zu relativieren«

Kulturstaatsminister Wolfram Weimer über das neue Gedenkstättenkonzept der Bundesregierung, Kritik an seiner Vorgängerin Claudia Roth und die Zeit des Kolonialismus in der deutschen Erinnerungskultur

von Ayala Goldmann  12.11.2025

Erinnerungspolitik

Weimer: Gedenkstätten sind zentrale Pfeiler der Demokratie

Das Bundeskabinett hat ein neues Konzept für Orte der Erinnerung an die NS-Verbrechen und die SED-Diktatur beschlossen. Die Hintergründe

von Verena Schmitt-Roschmann  12.11.2025 Aktualisiert

Wien

Juden protestieren gegen FPÖ-Veranstaltung für Antisemiten im Parlament

Als »radikalen Antisemiten« hatte sich der Österreicher Franz Dinghofer einst selbst bezeichnet - auch der NSDAP trat er bei. Die rechtsextreme FPÖ gedenkt des Politikers nun - und wird dafür hart kritisiert

 11.11.2025

Projekte gegen Antisemitismus

Berliner Kultursenatorin räumt Defizite bei Fördermittel-Vergabe ein

In Berlin sollen Mittel für Projekte gegen Antisemitismus nach unklaren Kriterien und auf Druck und Wunsch aus der CDU-Fraktion vergeben worden sein. Kultursenatorin Wedl-Wilson will nun »aufräumen«

 11.11.2025