Meinung

Versagen auf allen Ebenen

Alles, was in den letzten Tagen über die Affäre um die Thüringer Terrorgruppe NSU bekannt geworden ist, verweist auf ein sehr tief liegendes Problem der deutschen Demokratie: Es gibt nämlich bislang keinen Konsens darüber, dass die Ablehnung von Neonazismus Staatsräson zu sein hat. Es ist außenpolitisch gut und richtig, wenn die Kanzlerin die deutsche Solidarität mit Israel so betont, aber die Ablehnung von jeder Form von Rechtsextremismus ist die innenpolitische Entsprechung dieser Staatsräson.

Wenn es ein Bewusstsein über eine eindeutige Haltung der deutschen Demokratie in dieser Frage gegeben hätte, wären die Pannen rund um die Aufklärung der NSU-Straftaten nicht passiert: Dann wäre allen Ermittlern vom ersten Mord an klar gewesen, dass es sträflich war, die Täter nicht auch im rechtsextremistischen Milieu zu suchen. Und dann wären selbstverständlich nicht wenige Tage nach dem Bekanntwerden der Täter Ermittlungsakten geschreddert worden.

Versagen Man kann nur hoffen, dass sich Verfassungsschutzpräsident Heinz Fromm nicht deswegen in den Ruhestand schicken ließ, weil er weiß oder ahnt, dass noch mehr Pannen aufgedeckt werden. Doch selbst wenn nicht noch Schlimmeres nachkommt: Das Vertrauen in die Rolle der Geheimdienste ist nachhaltig beschädigt. Offensichtlich gibt es ein Versagen auf allen Ebenen: vom Mitarbeiter des Amtes, der genau dann in einem Internetcafé war, als der Inhaber erschossen wurde, aber nichts bemerkt haben will, bis hin zum Behördenleiter, der es versäumt hat, seinen Mitarbeitern zu vermitteln, dass es Rechtsextremismus in Deutschland nicht geben darf. Es stellt sich die Frage, was die Geheimdienste den ganzen Tag machen – und wer sie eigentlich kontrolliert.

Die groben Fehler, auch die bei Polizei und Verfassungschutz, müssen weiter aufgeklärt und ihre Mitarbeiter über die Gefahr des Rechtsextremismus fortgebildet werden. Der Rücktritt von Heinz Fromm ist der erste Schritt. Die Mitarbeiter der Geheimdienste sollten solche fatalen Fehler fürchten und Angst vor der Reaktion der Politik haben, damit sich Fahndungspannen, wie sie in Thüringen mit der NSU passiert sind, nicht wiederholen. Ideologien der Ungleichwertigkeit von Menschen zu bekämpfen, muss deutsche Staatsräson sein.

Die Autorin ist Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung.

Deutschland

»Völlige Schamlosigkeit«: Zentralrat der Juden kritisiert AfD-Spitzenkandidat für NS-Verharmlosung

Der AfD-Spitzenkandidat aus Sachsen-Anhalt, Ulrich Siegmund, äußert sich einschlägig in einem Podcast zur NS-Zeit

von Verena Schmitt-Roschmann  21.11.2025

München

»Wir verlieren die Hoheit über unsere Narrative«

Der Publizist und Psychologe Ahmad Mansour warnte in München vor Gefahren für die Demokratie - vor allem durch die sozialen Netzwerke

von Sabina Wolf  21.11.2025

Tobias Kühn

Wenn Versöhnung zur Heuchelei wird

Jenaer Professoren wollen die Zusammenarbeit ihrer Universität mit israelischen Partnern prüfen lassen. Unter ihnen ist ausgerechnet ein evangelischer Theologe, der zum Thema Versöhnung lehrt

von Tobias Kühn  21.11.2025

Kommentar

Martin Hikel, Neukölln und die Kapitulation der Berliner SPD vor dem antisemitischen Zeitgeist

Der bisherige Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln ist abgestraft worden - weil er die Grundwerte der sozialdemokratischen Partei vertreten hat

von Renée Röske  21.11.2025

Gespräch

»Der Überlebenskampf dauert an«

Arye Sharuz Shalicar über sein neues Buch, Israels Krieg gegen den palästinensischen Terror und die verzerrte Nahost-Berichterstattung in den deutschen Medien

von Detlef David Kauschke  21.11.2025

Nazivergangenheit

Keine Ehrenmedaille für Rühmann und Riefenstahl

»NS-belastet« oder »NS-konform« – das trifft laut einer Studie auf 14 Persönlichkeiten der Filmbranche zu. Ihnen wird rückwirkend eine Auszeichnung aberkannt, die die Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) zukünftig nicht mehr vergeben will

von Niklas Hesselmann  21.11.2025

Deutschland

»Hitler ist niedergekämpft worden. Unsere Städte mussten in Schutt und Asche gelegt werden, leider«

Militanter Linker, Turnschuhminister, Vizekanzler und Außenminister: Das sind die Stationen im Leben des Grünenpolitikers Joschka Fischer. Warum er heute vom CDU-Kanzler Konrad Adenauer ein anderes Bild als früher hat

von Barbara Just  21.11.2025

Berlin

Bundesinnenministerium wechselt Islamismusberater aus

Beraterkreis statt Task Force: Die schwarz-rote Bundesregierung setzt einen anderen Akzent gegen islamistischen Extremismus als die Ampel. Ein neues Expertengremium, zu dem auch Güner Balci gehören wird, soll zunächst einen Aktionsplan erarbeiten

von Alexander Riedel  21.11.2025

Glosse

Auf, auf zum bewaffneten Kampf!

Eine deutsche Komikerin wechselte am Wochenende wieder einmal das Genre. Enissa Amani versuchte allen Ernstes, rund 150 Berlinern zu erklären, dass Nelson Mandela das Vorgehen der Hamas gegen Israel gutgeheißen hätte

von Michael Thaidigsmann  21.11.2025 Aktualisiert