Terror

Unsere Geiseln?

Gehören die deutschen Geiseln wirklich zu »uns«? Ein halbes Jahr nach dem 7. Oktober zwingt sich ein anderer Eindruck auf. Foto: picture alliance/dpa

Am 12. März veröffentlichte US-Präsident Joe Biden ein Statement: »Heute sind unsere Herzen schwer.« Er sei entsetzt über die Nachricht, die ihn an diesem Tag erreicht hat: »Der Amerikaner Itay Chen wurde von der Hamas während ihres brutalen Terrorangriffs am 7. Oktober ermordet.« Monatelang hatte man gehofft, dass er noch am Leben ist. Doch schließlich die schreckliche Gewissheit: Der 19-Jährige war bereits tot, als er von der Hamas verschleppt wurde. Sein Leichnam ist noch in Gaza.

»Ich bekräftige mein Versprechen an alle Familien derer, die noch als Geiseln festgehalten werden«, gelobte Joe Biden. »Wir sind bei euch.«
Der deutsche Präsident, Frank-Walter Steinmeier, beglückwünschte in diesem Zeitraum das moldauische Staatsoberhaupt Maia Sandu zur Verleihung des Robert-Blum-Preises für Demokratie, lud zu einem Tag der offenen Tür in die Villa Hammerschmidt in Bonn ein und gratulierte der Schauspielerin Uschi Glas zum 80. Geburtstag. Eine Pressemitteilung zum Tode Itay Chens findet sich auf der Seite des Bundespräsidialamtes nicht.

Dabei hatte Itay Chen neben der israelischen und amerikanischen Staatsbürgerschaft auch die deutsche. Dabei hatte Steinmeier, genau wie Biden, dessen Angehörige getroffen. Dabei hatte der Bundespräsident im Oktober den Familien der deutschen Entführten gesagt: »Ihr gehört zu uns!«

Deutschland hat verdrängt, wie sehr es von den Folgen dieses Tages betroffen ist.

Doch gehören die deutschen Geiseln wirklich zu »uns«? Ein halbes Jahr nach dem 7. Oktober zwingt sich ein anderer Eindruck auf: Deutschland hat verdrängt, wie sehr es von den Folgen dieses Tages betroffen ist. Das Drama der Geiseln und ihrer Angehörigen wirkt hierzulande fern.

Deutsche Medien und ihr Interesse an den Entführten

Schon kurz nach dem 7. Oktober nahm das Interesse an den Entführten in deutschen Medien ab. Kollegen erzählen, dass sie sich dafür rechtfertigen mussten, »schon wieder« über das Thema schreiben zu wollen. Gleichzeitig hielt sich die Bundesregierung von Anfang an bedeckt, wenn es um die Identität der deutschen Geiseln ging. Informationen über die Entführten werden nur tröpfchenweise preisgegeben.

Dies verhindert, dass ein Gesamtbild der deutschen Betroffenheit vom 7. Oktober entsteht, und erschwert die Anteilnahme am Schicksal der Geiseln in der deutschen Öffentlichkeit. Zudem widerspricht es dem Anliegen der Angehörigen: Sie wollen so viel Aufmerksamkeit wie möglich für ihre Kinder, Ehepartner oder Eltern.

Die Geiseln berühren den Kern von Deutschlands Selbstverständnis.

Um diesem Wunsch nachzukommen, sollen hier die Namen aller deutschen Geiseln veröffentlicht werden, die bisher bekannt sind. Insgesamt geht es um mindestens 30 Personen mit deutschem Pass, die am 7. Oktober entführt wurden – deutlich mehr als häufig angenommen.

Das sind Namen und Alter der 14 deutschen Geiseln, die im Rahmen eines Deals zwischen Israel und der Hamas im November freigelassen wurden:
Aviv Asher (2), Raz Asher (5), Raz Ben-Ami (57), Shoshan Haran (67), Doron Katz-Asher (34), Rimon Kirsht-Buchshtab (36), Margalit Moses (78), Yarden Roman-Gat (36), Amit Shani (16), Adi Shoham (38), Naveh Shoham (8), Yael Neri Shoham (3), Or Yaakov (16), Yagil Yaakov (12).

Immer wieder mussten israelische Behörden den Tod von Geiseln verkünden. Darunter sind auch mindestens sechs Deutsche. Hier sind ihre Namen:
Tamir Adar (38), Itay Chen (19), Shay Levinson (19), Shani Louk (22), Itay Svirsky (38), Yair Yaakov (59).

Erinnert sei auch an die von der Hamas getötete Deutsche Carolin Bohl (22) sowie an Ravid Katz (51), den ermordeten Bruder der freigelassenen Doron Katz-Asher.

Unvorstellbar gepeinigte Menschen

Das Auswärtige Amt spricht zudem von einer »niedrigen zweistelligen Anzahl von Personen mit Deutschlandbezug«, die sich noch in der Gewalt der Hamas befinden. Hinter dieser technischen Formulierung stehen unvorstellbar gepeinigte Menschen, die ihre Hoffnung auch auf Hilfe aus Deutschland setzen. Das sind ihre Namen:
Ohad Ben-Ami (55), Gali Berman (26), Ziv Berman (26), Ariel Bibas (4), Kfir Bibas (1), Shiri Bibas (32), Gadi Moses (79), Tamir Nimrodi (19), Arbel Yehoud (28), Dolev Yehoud (35).

Die deutsch-jüdischen Geiseln gehören zu »uns«? Unter Beweis gestellt hat es Deutschland nicht.

Hinweise auf eine deutsche Staatsbürgerschaft gibt es auch bei Rom Braslavski (19). Eng verwandt mit Deutschen sind zudem die Geiseln Yarden Bibas (34), Yagev Buchshtab (34) sowie Carmel Gat (39).
Allein die schiere Anzahl der deutschen Entführten sollte betroffen machen. Doch warum wird in Deutschland so wenig über sie berichtet? In den USA sind die »Gaza Six«, die sechs in Geiselhaft verbliebenen Amerikaner, medial präsent. In Deutschland gibt es für die eigenen »Gaza Ten« – Oder sind es elf? Oder zwölf? – keine vergleichbare Aufmerksamkeit.

Dabei rührt ihre Geschichte an den Kern von Deutschlands Selbstverständnis. Viele Vorfahren der hier Genannten wurden von den Nazis entrechtet, ermordet oder aus ihrer Heimat vertrieben. Und doch: Ihre Kinder und Enkel nahmen irgendwann das Angebot Deutschlands auf Wiedereinbürgerung an.

Der Umgang mit den Geiseln und ihren Angehörigen hätte eine Gelegenheit sein können, dem gerecht zu werden, was von deutscher Seite so gern beschworen wird: das besondere Verhältnis zu Israel, das »Wunder der Versöhnung« nach der Schoa.

Die deutsch-jüdischen Geiseln gehören zu »uns«? Unter Beweis gestellt hat es Deutschland nicht.

Der Autor ist Journalist und lebt in Berlin.

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