Debatte

»Tiefschlag in der Bekämpfung von Judenhass«

Im Fokus der Kritik: Felix Klein, der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung Foto: Gregor Zielke

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»Tiefschlag in der Bekämpfung von Judenhass«

Worum es in dem offenen Brief geht, der den Umgang mit »Israelkritik« kritisiert

von Michael Thaidigsmann  06.08.2020 08:47 Uhr

Angela Merkel hat dieser Tage Post in Sachen Antisemitismus bekommen, und das gleich mehrfach. Anfang vergangener Woche schrieben mehr als 60 »besorgte deutsche und israelische Bürgerinnen und Bürger« – unter ihnen viele Professoren, Schauspieler und Künstler – der Bundeskanzlerin einen offenen Brief.

Darin warnen sie vor einem angeblich »inflationären, sachlich unbegründeten und gesetzlich unfundierten Gebrauch des Antisemitismus-Begriffes, der auf die Unterdrückung legitimer Kritik an der israelischen Regierungspolitik zielt«. Die »missbräuchliche Verwendung des Antisemitismusvorwurfs« schüre »eine Stimmung der Brandmarkung, Einschüchterung und Angst«, behaupten die Kritiker in ihrem Brief.

Auch in einem weiteren Brief wurde Klein in Schutz genommen.

Zielscheibe des Briefes waren der deutsch-israelische Publizist Arye Sharuz Shalicar und der Beauftragte der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus, Felix Klein. Seit Mai 2018 im Amt, ist Klein wiederholt angegangen worden für seine Stellungnahmen in der Öffentlichkeit, in denen er sich nicht gescheut hatte, auch linke und linksliberale Israelkritiker sowie Aktivisten der BDS-Bewegung des Antisemitismus zu zeihen.

RESOLUTION Im Dezember vergangenen Jahres hatte der Bundestag eine Resolution verabschiedet, in der Boykottaufrufe gegenüber Israel als »inakzeptabel« verurteilt wurden. Solche Aufrufe führten auch zur Brandmarkung von Juden in Deutschland. Das Parlament begrüßte zudem ausdrücklich, dass einzelne Städte und Gemeinden BDS-nahen Organisationen keine Veranstaltungsräume mehr zur Verfügung stellen wollten. Organisationen, die das Existenzrecht Israels infrage stellten, sollten nicht mit Steuermitteln gefördert werden, so der Bundestag.

Im April hatte Felix Klein zudem die Einladung des israelkritischen Historikers Achille Mbembe zur Ruhrtriennale verurteilt. Mbembe sollte ursprünglich dort die Eröffnungsrede halten, die Veranstaltung wurde wegen der Corona-Pandemie aber abgesagt. Der Historiker habe in seinen Schriften zudem den Staat Israel mit dem Apartheidsystem Südafrikas gleichgesetzt. Das entspreche »einem bekannten antisemitischen Muster«, erklärte Klein.

Der »Zeit« sagte der Antisemitismusbeauftragte: »Ich kritisiere Herrn Mbembe nicht für seine gesamte Forschung, die unbestritten verdienstreich ist. Er hat alle Wissenschafts- und Redefreiheit, sich auch über Israel zu äußern, aber er muss sich nicht wundern, dass es auf Widerspruch stößt, wenn er dabei bestimmte antisemitische Klischees bedient.«

VERSCHWÖRUNG Die Unterzeichner des an die Bundeskanzlerin adressierten offenen Briefes sind da anderer Meinung, wittern gar eine Verschwörung amtlicher Stellen in Jerusalem und Berlin. »Wo kritischer Dialog notwendiger denn je ist, schafft die missbräuchliche Verwendung des Antisemitismusvorwurfs zunehmend auch in Deutschland eine Stimmung der Brandmarkung, Einschüchterung und Angst«, schreiben sie.

Bereits im Mai unterzeichneten rund 700 afrikanische Intellektuelle eine Internet-Petition an Merkel, in der sie eine nicht näher genannte »konservative Lobby« beschuldigten, unberechtigterweise Antisemitismusvorwürfe gegen Mbembe zu erheben. Zwei Wochen zuvor schon hatten »jüdische Gelehrte und Künstler aus Israel und anderswo« in einem offenen Brief an Innenminister Horst Seehofer die Ablösung Felix Kleins gefordert – insbesondere wegen dessen Kritik an Mbembe.

Zahlreiche Organisationen und Verbände stärken Felix Klein den Rücken.

Schon damals sprang der Zentralrat der Juden in Deutschland dem Antisemitismusbeauftragten bei und nannte die Kritik an Klein »ungerechtfertigt und inakzeptabel«. Nach dem erneuten offenen Brief an Merkel setzte nun auch Zentralratspräsident Josef Schuster ein Schreiben an die Bundeskanzlerin auf, in dem er Klein ausdrücklich den Rücken stärkte. Der Beauftragte fülle sein Amt »mit hoher Sachkompetenz, Empathie und Engagement aus«, so Schuster. Der Vorwurf, Klein wolle die Israelkritiker »mundtot« machen, sei »haltlos«.

Neben Schuster unterzeichneten mehr als 20 weitere jüdische Gemeinde- und Verbandsvorsitzende den Brief. Einen Tag später bekam Angela Merkel noch einmal Post. Moskaus Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt, Präsident der Europäischen Rabbinerkonferenz, schrieb ihr, die Anwürfe der Unterzeichner des offenen Briefes hätten die jüdische Gemeinschaft verletzt.

Wer solche fehlgeleiteten Debatten initiiere, leiste dem erneuten Aufflammen des Judenhasses Vorschub. Man könne mit der Politik Israels einverstanden sein oder auch nicht, diese Debatte aber auf die in Deutschland lebenden Juden zu projizieren, sei ein Tiefschlag in der Bekämpfung von Judenhass, so Goldschmidt.

UNTERSTÜTZUNG Auch in einem weiteren Brief wurde Klein in Schutz genommen. Zu dessen Unterzeichnern gehörten die Deutsch-Israelische Gesellschaft, die Jüdische Studierendenunion Deutschland, das Berliner Büro des American Jewish Committee, die Amadeu Antonio Stiftung und das Jüdische Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus.

Als Einzelpersonen unterschrieben unter anderem der baden-württembergische Antisemitismusbeauftragte Michael Blume, die frühere Berliner Gemeindevorsitzende Lala Süsskind, der Politikwissenschaftler und Berliner Antisemitismusbeauftragte Samuel Salzborn, der Rapper Ben Salomo und der Präsident der Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände in Deutschland, Ali Toprak.

Persönlich hat Angela Merkel bislang nicht in die Debatte eingegriffen. Die stellvertretende Sprecherin der Bundesregierung, Ulrike Demmer, sagte, offene Briefe beantworte die Regierung normalerweise nicht. Einen Anlass, Kleins Arbeit neu zu bewerten, gebe es nicht.

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