Wirtschaft

SWR: Siemens unterschrieb Israel-Boykott-Klausel

Der Velaro-Zug von Siemens, der auf der neuen Hochgeschwindigkeitsstrecke von Ankara nach Istanbul zum Einsatz kommen soll, auf der InnoTrans-Messe in Berlin 2016 Foto: imago images/Jochen Eckel

Eigentlich ist es deutschen Unternehmen untersagt, von Drittstaaten verhängten Sanktionen und Boykotten beizutreten, um in diesen Ländern an staatliche Aufträge zu gelangen. Ausnahmen gelten nur für Maßnahmen, die von der Bundesrepublik, der Europäischen Union oder dem UN-Sicherheitsrat beschlossen wurden.

In Paragraf 7 der Außenwirtschaftsverordnung heißt es: »Die Abgabe einer Erklärung im Außenwirtschaftsverkehr, durch die sich ein Inländer an einem Boykott gegen einen anderen Staat beteiligt (Boykott-Erklärung), ist verboten. Satz 1 gilt nicht für eine Erklärung, die abgegeben wird, um den Anforderungen einer wirtschaftlichen Sanktionsmaßnahme eines Staates gegen einen anderen Staat zu genügen, gegen den auch der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen, der Rat der Europäischen Union im Rahmen des Kapitels 2 des Vertrags über die Europäische Union oder die Bundesrepublik Deutschland wirtschaftliche Sanktionsmaßnahmen beschlossen haben.«

ZUG-DEAL Recherchen des »Südwestrundfunks« (SWR) zufolge hat der Münchner Siemens-Konzern diese rechtliche Hürde unterlaufen, um an einen Großauftrag in der Türkei zu kommen. 2018 unterzeichnete das Unternehmen gemeinsam mit seiner türkischen Tochterfirma einen Vertrag über die Lieferung von Hochgeschwindigkeitszügen mit einem Volumen von 341 Millionen Euro.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Doch laut dem SWR, welcher firmeninterne Unterlagen auswertete, gab es eine Bedingung für das Geschäft: Siemens sollte eine Boykott-Erklärung unterzeichnen. Grund dafür war, dass das Darlehen zur Finanzierung des Projekts von der im saudi-arabischen Dschidda ansässigen Islamic Development Bank (IDB) kam. Diese fordere, so der SWR, dass in der Ausschreibung unmissverständlich festgelegt werde, dass die vom Auftragnehmer gelieferten Waren und Dienstleistungen »in strikter Übereinstimmung« mit den seit mehr als 75 Jahren bestehenden Boykottbestimmungen der Konferenz der Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC) und anderer islamischer Staatengemeinschaften stehen müsse. Dazu müssten sich alle Bieter an Eides statt verpflichten.

SAUDI-ARABIEN Die Boykott-Bestimmungen zielen vor allem auf ein Land: Israel. Zwar haben die meisten arabischen Staaten seit den 90er-Jahren darauf verzichtet, den schon vor der Staatsgründung Israels 1948 ausgesprochenen Wirtschaftsboykott umzusetzen. Einige der muslimischen Staaten, die 1973 im Rahmen der OIC die Islamic Development Bank gründeten, haben mittlerweile sogar Friedensverträge mit Israel abgeschlossen. Auch die Türkei boykottiert Israel nicht - allerdings sind dort Boykottklauseln nicht illegal. Auch Saudi-Arabien – der größte Anteilseigner der IDB – hat seine Haltung Israel gegenüber in den letzten Jahren zumindest inoffiziell etwas gelockert. Formal ist der Boykott des jüdischen Staates aber dort immer noch in Kraft.

Laut den vom SWR eingesehenen Dokumenten war dem Siemens-Management der mögliche Konflikt zwischen deutschem Recht und Anforderungen der IDB bekannt. Mehrere Optionen seien diskutiert worden, berichtet der Sender. Das Unternehmen habe am Ende beschlossen, dass Mitarbeiter der Konzerntochter Siemens AŞ im Namen der Siemens AG den Vertrag für die Lieferung von zwölf Hochgeschwindigkeitszügen unterschreiben sollten. Juristisch könnte das Verfahren sogar korrekt sein, da die Türkei nicht EU-Mitglied ist und die türkische Siemens-Tochter damit auch nicht an europäisches und deutsches Recht gebunden sei.

ANZEIGE Das Unternehmen teilte dem SWR auf Anfrage mit, man halte sich »an alle nationalen und internationalen Compliance-Standards. Wir zeigen keinerlei Toleranz gegenüber Korruption, Verstößen gegen die Grundsätze des fairen Wettbewerbs oder anderen Verstößen gegen geltende Gesetze und interne Richtlinien«. Man pflege zudem »langjährige Geschäftsbeziehungen mit Israel«, habe auch dorthin Züge geliefert und sei für deren Wartung zuständig. Zur möglichen Boykotterklärung wollte sich das Unternehmen aber nicht äußern.

Kritisch äußerte sich Volker Beck, Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG). Er nannte es einen »moralischen Offenbarungseid«, wenn sich ein deutsches Unternehmen so verhielte. Beck sagte, er werde Anzeige erstatten, um das Vorgehen von Siemens von der Justiz überprüfen zu lassen.

Siemens hat den Bericht des SWR zwischenzeitlich dementiert. Ein Siemens-Sprecher sagte am Freitag: »Weder die Siemens AG noch Siemens Türkei haben 2018 im Zusammenhang mit der Vergabe von Hochgeschwindigkeitszügen eine Boykotterklärung unterschrieben.« Es sei lediglich eine übliche Erklärung zur Herkunft der verbauten Teile abgegeben worden. Der Konzern sei seit rund 60 Jahren in Israel in verschiedenen Geschäftsbereichen aktiv und »dort tief verwurzelt«. mth/dpa

Meinung

Die »Staatsräson« mit neuem Leben füllen

Umfragen zeigen, dass Israel hierzulande alles andere als beliebt ist. Dabei sollte allen Deutschen das Schicksal des jüdischen Staates am Herzen liegen - gerade angesichts der Bedrohung aus dem Iran

von Nikolas Lelle  16.06.2025

Terror

Sorge vor Anschlägen auf jüdische Einrichtungen

Die Auswirkungen des Kriegs gegen den Iran könnten auch in Deutschland zu spüren sein, warnt Felix Klein. Auch Thüringens Verfassungsschutzchef Stephan Kramer rechnet mit erhöhter Terrorgefahr

von Christoph Arens  16.06.2025

Luftfahrtmesse

Frankreich schließt israelische Stände

Die Betreiber sollen entgegen der Auflagen Angriffswaffen ausgestellt haben

 16.06.2025

Krieg gegen Iran

Exodus aus Teheran

Der Krieg gegen das iranische Regime und dessen Atom- und Raketenprogramm treibt Bewohner der Hauptstadt in die Flucht

von Aref Taherkenareh, Arne Bänsch  16.06.2025

Urteil

Sicherungsverwahrung nach Brandanschlag auf Oldenburger Synagoge

Der Mann hatte die Tat eingeräumt und von »Stimmen« berichtet, die ihn zu dem Brandanschlag aufgefordert hatten

von Jörg Nielsen  16.06.2025

Brüssel

EU-Chefdiplomatin organisiert Krisenschalte zu Nahost-Krieg

Kann die EU einen Beitrag zur Deeskalation des Konflikts zwischen Israel und dem Iran leisten? Am Dienstag soll es eine Videokonferenz der zuständigen Außenminister geben

 16.06.2025

Nahost

Krieg gegen Iran: EU will mit USA Energiemarkt sichern

Seit dem Angriff Israels auf das iranische Atomprogramm steigen die Rohölpreise und in der Folge die Sprit- und Heizölpreise. Die EU und die USA sind alarmiert - und wollen notfalls handeln

 16.06.2025

Berlin

Karin Prien: »Ich gestatte mir keine Ängstlichkeit«

Die Bundesbildungsministerin spricht in einem Interview über ihre jüdischen Wurzeln. Und geht bei manchen Themen auf Distanz zu ihrem Parteivorsitzenden

von Alexander Missal  16.06.2025

Iran

Iran: Geheimdienstchef der Revolutionsgarden und sein Vize getötet

Israel hat seit Beginn des Krieges mit dem Iran bereits etliche führende Militärs getötet. Nun sind bei einem weiteren Angriff Geheimdienstvertreter der nationalen Eliteeinheit getötet worden

 15.06.2025